DIE 30 BESTEN PSYCHEDELIC-PLATTEN
30
CARIBOU
ANDORRA (2007)
Erst u nter dem Namen Manitoba, später dann als Caribou veröffentlichte Dan Snaith eine Reihe von Alben, die man wunderbar loben konnte, später aber nur noch sehr selten auflegte. ANDORRA änderte alles. Snaith entwickelte ein Klanglabor, um den Sound der goldenen Psychedelia-Jahre von 1966 bis 1968 einzufangen. Da stecken die Beach Boys drin, aber auch The Left Banke – wobei der Track „Desiree“ kein Cover des gleichnamigen Songs der US-Barock-Popper ist, sondern eine wundervolle Hommage. Die Gesangsharmonien klingen, als irrten Glühwürmchen durch einen dunklen Raum. Die Drums pendeln dicht am Ohr von links nach rechts. Früher hätte der Mann aus dem Hi-Fi-Laden geschwärmt: „Ja, das ist Stereo!“ Doch das Album ist keine rein nostalgische Geste. Digitales Flirren und computergenerierte Verschiebungen machen ANDORRA zu einem originären Album der Nullerjahre. Dan Snaith entdeckte sich daraufh in als Songwriter neu, der seine Melodien quer durch die Genres zum Leuchten bringen kann. – André Boße
Key Tracks: „Melody Day“, „She’s The One“, „Desiree“
29
THE SEEDS
THE SEEDS (1966)
Das Woodstock-Festival lag noch in weiter Ferne, da tauchte in Kalifornien der Begriff „Flower Power“ auf. Die bekannten Quellen nennen den Poeten Allen Ginsberg als Urheber, aber die Pop-Legende erzählt eine andere Geschichte: Erfinder war ein Mann namens Richard Elvern Marsh alias Sky „Sunlight“ Saxon, jedenfalls reklamiert er das für sich. Der 2009 verstorbene Sänger war noch ein Teenager, als er 1965 The Seeds in L. A. gründete. Die ersten beiden Singles, „Can’t Seem To Make You Mine“ und das heute legendäre, von einem erbarmungslosen Gitarrenriff getriebene „Pushin‘ Too Hard“, floppten total, schafften es aber im zweiten Anlauf in die Charts und bilden das Zentrum dieses Debütalbums. Das Quartett mit den damals wohl längsten Haaren der Szene stand mit einem Bein im Garagen-Rock beziehungsweise Sixties-Punk, mit dem anderen aber in halluzinogenen Sounds. Die werden geprägt von Orgel und Piano – der unglaubliche Daryl Hooper nahm den Sound vorweg, der The Doors später berühmt machen sollte. The Seeds aber kamen nie über den Status einer Underground-Sensation hinaus, und natürlich fand Woodstock ohne sie statt. – Sven Niechziol
Key Tracks: „Can’t Seem To Make You Mine“, „Pushin‘ Too Hard“
28
THE BYRDS
YOUNGER THAN
YESTERDAY (1967)
Gerade mal ein halbes Jahr nach FIFTH DIMENSION kam der Nachschlag, und der zeigt noch heute, dass die Byrds zu den hellsichtigsten Bands der 60er gehörten. Denn die Psychedelic-Einflüsse des Vorgängers prägen die Platte zwar nicht in ihrer Gesamtheit, die erzählt eher viel über die Emanzipation Chris Hillmans zum vollwertigen Songwriter und die Hinwendung der Band zum Country-Rock. Aber die Art, auf die in einzelnen Songs Strukturen aufgebrochen oder abgewandelt werden, ist hochinteressant: In „C.T. A.-102“ etwa flirrt nach einem stringenten Anfang unvermittelt ein Analogsynthie durch den Raum, am Ende wird der Song durch ein Störgeräusch und gepitchte Radiofrequenzen geführt, und das ist ebenso abenteuerlich wie die mantrische, gleichzeitig vor-und rückwärts abgespielte Gitarrenarbeit in „Mind Gardens“. Daneben stehen todernste Popsongs wie David Crosbys „Everybody’s Been Burned“ – eine wunderbare Mischung. – Jochen Overbeck
Key Tracks: „C.T.A.-102“, „My Back Pages“, „So You Want To Be A Rock’n’Roll Star“
27
MGMT
CONGRATULATIONS (2010)
Möglicherweise gratulierten sich Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser mit dem Titel ihres zweiten Albums selbst – zum überragenden Erfolg des hitlastigen Vorgängers ORACULAR SPECTACULAR oder zu dem Mut, sich von ebendiesem Erfolg überhaupt nicht beeindrucken zu lassen. „Auf dem Album ist bestimmt kein ‚Time To Pretend‘ und kein ‚Kids'“, verkündete Goldwasser im Vorfeld der Veröffentlichung stolz. Er sollte recht behalten. So spinnert, wie die Welt dann tat, war das Album aber auch wieder nicht. Zwar folgt ein Stück wie „Flash Delirium“ gewiss keiner Hitformel, verfügt aber über so viele Hooks, dass man vier Hits vom Schlage eines „Kids“ aus dem Song hätte basteln können. CONGRATULATIONS-Album des Jahres 2010 im Musikexpress – ist an allen Stellen derart catchy, dass die Grenzen von Strophen, Bridge und Refrain verschwimmen. Die vielleicht letztgültige Definition von Psychedelic Pop. – Stephan Rehm
Key Tracks: „Flash Delirium“, „Siberian Breaks“, „Brian Eno“
26
DUNGEN
TA DET LUGNT (2004)
So richtig wusste niemand, wo sie herkamen. Es konnte nur eine Höhle gewesen sein, in der die Zeit stehen geblieben war. Fuzz-Gitarren, rumpelndes Schlagzeug, Streichersätze und Flöten hören sich so an, als befände man sich mitten im Jahr 1968. Aber Dungen geht es nicht darum, einen Stil nachzuspielen. In „Panda“ touchieren sie den Pop, weil sich ein einladender Einstieg immer gut macht. Danach lassen die Stockholmer die Zügel schleifen und geben sich einer Abenteuerreise ohne Angst vor Experimenten hin. Eigentümlich ist das Umschalten von harten, mit Gitarrensoli versetzten, an Blue Cheer erinnernden Passagen auf kosmische Free-Jazz-Trips. Diesem Treiben setzt die Band erst nach acht Minuten ein Ende. Bei Dungen wird auf Schwedisch gesungen, was im Normalfall internationale Anerkennung verhindert. Hier aber verstärkt die Sprache den Eindruck von einer Produktion aus einer anderen Zeit und Welt. – Thomas Weiland
Key Tracks: „Gjort Bort Sig“, „Ta Det Lugnt“, „Lipsill“
25
SOFT MACHINE
THIRD (1970)
Ein ähnlicher Fall wie The Red Crayola (Platz 4). Das dritte Album von Mike Ratledge, Hugh Hopper, Robert Wyatt und Elton Dean stand eher symbolisch für das anything goes eines kurzen Zeitraums Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre und die Offenheit des „Rockpublikums“ gegenüber musikalisch Neuem – weniger für ein bestimmtes Genre. Wer sich aber damals von Pink Floyd das Bewusstsein erweitern ließ, hat bestimmt nicht Nein zu Soft Machine gesagt. Zeit war jedenfalls genug vorhanden für die Reise ins Ich. Startpunkt: die äußersten Ränder des Rockuniversums. Die Original-Doppel-LP enthielt vier seitenfüllende Stücke zwischen 18 und 19 Minuten Länge. Ein 75-minütiger, ja, Trip zwischen freiem Jazz-Rock und Dissonanzen, radikalen Improvisationen und hochkomplexen Kompositionen, Tape-Manipulationen und lyrischen Passagen. Für Soft Machine bedeutete THIRD nach den nicht weniger faszinierenden, aber eher kleinteilig angelegten ersten beiden Alben einen Schritt in Richtung komplette musikalische Freiheit. – Albert Koch
Key Tracks: „Facelift“, „Moon In June“
24
TAME IMPALA
LONERISM (2012)
Auf der Rückseite des Covers sieht man Kevin Parker in für ihn typischer Arbeitshaltung. Er liegt auf dem Boden und greift in den Bass. Um ihn herum stehen Mischpulte, Verstärker, Synthesizer, Sampler und ein Schlagzeug. Parker spielt und bedient das alles höchstpersönlich, die Band besteht im Studio praktisch nur aus ihm. Das Equipment sieht altmodisch aus, weshalb es nicht verwundert, dass sich das, was er sich ausdenkt, zu großen Teilen nach einem Grundprinzip funktioniert: „Feels Like We Only Go Backwards“. Der Loner aus Perth singt wie John Lennon in der Effektkammer. Die Instrumente kreisen durch eine abgehobene Dimension. Die Beats poltern oft wie in einem beschleunigten HipHop-Track, elektronische Geräte sind willkommen. Mit diesen Vorlieben überträgt Parker den Sound der späten 60er und frühen 70er ebenso mitreißend in die Gegenwart, wie es schon The Flaming Lips und Mercury Rev getan haben. – Thomas Weiland
Key Tracks: „Apocalypse Dreams“, „Music To Walk Home By“, „Elephant“
23
OS MUTANTES
OS MUTANTES (1968)
Es ist die pure Lust an der Musik, die diese Platte so ansteckend macht. Auch wenn Sounds, Arrangements und das sich zuweilen abenteuerlich weit von Pop und Rock entfernte Songwriting einem manchmal aufs Surrealste zusetzen, dringt diese Lust durch jede Ritze. Die Einflüsse von Psychedelic-Pionieren wie Jimi Hendrix und den Beatles sind auf OS MUTANTES allgegenwärtig, aber auch Chanson, Schlager und Filmmusik Mittel- und Südeuropas hatten es Os Mutantes angetan. Ihr kreativer Eigenwille, mit dem die Band aus São Paulo hier mit Superfuzzgitarren, Percussions, fantastischen Chorsätzen, Orchesterinstrumentarium und tausend weiteren Zutaten diese Einflüsse mit dem Folk, Jazz und noch jungen Pop ihrer Heimat fusionieren, machte sie selbst zum Impulsgeber. Dass Kreativlinge wie David Byrne, Beck und Devendra Banhart auf diese Band und vor allem auf dieses Debüt schwören, steht zwar schon überall geschrieben, doch wenn es hilft, dieses Flügel tragende Wunderding unter die Leute zu kriegen, schreiben wir es einfach noch mal hin. – Oliver Götz
Key Tracks: „A minha menina“, „Panis et circenses“, „Baby“
22
THE ELECTRIC PRUNES
UNDERGROUND (1967)
Wer ein bisschen Zeit hat, sollte die ziemlich wilde Geschichte der Electric Prunes und ihres Produzenten David Hassinger nachlesen. Wer sich vor allem für ihre Musik interessiert, sollte mit diesem seinerzeit kaum erfolgreichen Album beginnen. Die Kalifornier verbinden hier Garage-Rock mit ausschweifenden Instrumentalpassagen und reichern so das Genre mit jener Schmutzschicht an, die bei den Kollegen oft fehlte. Hier ist Psychedelic nicht nur bunt, sondern auch rabenschwarz und entsprechend bedrohlich: Von der gewaltigen Trommel im Opener „The Great Banana Hoax“ über Märchenwald-Klavier mit zärtelnder Percussion („I“) und bizarre Klangspielereien (in doppelter Geschwindigkeit abgespielte Vocals auf „Antique Doll“) bis hin zu den mächtigen Gitarren in „Long Day’s Flight“ spielt sich die Band 35 Minuten lang durch einen rohen Trip, der erstaunlich konsistent wirkt – vielleicht gerade weil herausragende Hits wie auf dem Debüt fehlen. – Jochen Overbeck
Key Tracks: „I“, „Antique Doll“, „Long Day’s Flight“
21
COUNTRY JOE & THE FISH
ELECTRIC MUSIC FOR THE MIND AND BODY (1967)
Country Joe & The Fish war die erste Rockband, die beim wohlverdienten, aber etwas in die Jahre gekommenen Folk-Label Vanguard unterschrieb – und angeblich war die New Yorker Plattenfirma von diesem Debüt nur wenig angetan, vor allem, weil mit „Superbird“ ein Song nicht sehr schmeichelhaft Bezug auf den damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson nahm. Ein schönes Beispiel dafür, dass in der Psychedelia auch Relevantes verhandelt wurde, wenngleich sich auf diesem Album natürlich auch ausufernde Drogenpoesie „Porpoise Mouth“, „Bass Strings“) findet. Den Mittelpunkt bildet allerdings stets die Musik, die recht genau den Sound San Franciscos der damaligen Zeit abbildet. Der hatte bei Country Joe &The Fish wie auch bei den Kollegen The Charlatans, Quicksilver Messenger Service und Grateful Dead eine solide Jam-Kante, die ihren Höhepunkt im knapp siebenminütigen „Section 43“ findet. Empfehlenswert sind im Übrigen auch die Soloplatten von Sänger McDonald, allen voran das 1970 erschienene TONIGHT I’M SINGING JUST FOR YOU. – Jochen Overbeck
Key Tracks: „Flying High“, „Porpoise Mouth“, „Superbird“
20
SAM GOPAL
ESCALATOR (1969)
Diese Band, die nach dem malaysischen Bandchef und Tabla-Spieler Sam Gopal benannt wurde, wäre längst der Vergessenheit anheimgefallen, wenn darauf nicht ein gewisser Ian Willis mitspielen würde. Neun (fünf allein, weitere vier als Gruppenkompositionen) der elf Songs stammen aus der Feder des Gitarristen und Sängers. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich Ian „Lemmy“ Kilmister. In der langen, von Methedrin stimulierten Nacht vom 18. November 1968 kreierte der spätere Motörhead-Gründer mit seinen drei Kollegen psychedelische Kleinode – zumindest erinnert er sich so an die Produktion in seiner Autobiografie „White Line Fever“. Ein hypnotischer Raga-Trip in fernöstliche Gefilde, die Lemmys nächste Karrierestufen Opal Butterfly und Hawkwind schon erahnen lassen. – Mike Köhler
Key Tracks: „Cold Embrace“, „The Dark Lord“, „The Sky Is Burning“
19
JEFFERSON AIRPLANE
SURREALISTIC PILLOW (1967)
Nur sechs Monate lagen zwischen Jefferson Airplanes Debüt TAKES OFF und dem Nachfolger SURREALISTIC PILLOW. Zwischen September 1966 und Februar 1967 schafften die Lokalmatadore aus San Francisco den kreativen Quantensprung: Vom Folk-Rock-Mitläufer avancierte das 1965 von Vokalist Marty Balin gegründete Sextett zur ersten Garde des US-Psychedelic-Movements. Personelle Neuorientierung machte es möglich: Urvokalistin Signe Anderson räumte den Platz für Altstimme Grace Slick, Schlagzeuger Skip Spence für Spencer Dryden. SURREALISTIC PILLOW, in 13 Tagen für 8000 Dollar produziert, gelang eine Top-3-Platzierung, und die Platte hielt sich ein Jahr lang in den Charts. Slick, zuvor Frontfrau der Konkurrenzband The Great Society, steuerte zwei Top-Ten-Singles bei: „White Rabbit“, eine von Ravels „Bolero“ inspirierte dramatische Ballade mit Textquerverweisen zu Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Und „Somebody To Love“, Slicks überarbeitete Version eines Songs ihres Schwagers Darby Slick – eine Hymne über Desillusionierung, die den Subtext der Hippie-Generation offenlegt. – Mike Köhler
Key Tracks: „White Rabbit“, „Somebody To Love“
18
SPACEMEN 3
THE PERFECT PRESCRIPTION (1987)
Woraus das um eine wechselnde Rhythmusgruppe erweiterte Duo Sonic Boom und Jason Pierce aus der zentralbritischen Kleinstadt Rugby seine Inspiration zog, hatte es auf seinem Debüt SOUND OF CONFUSION (1986) deutlich gemacht – mit Coverversionen von Songs von The 13th Floor Elevators, The Stooges und der Bluesrockband Juicy Lucy sowie eigenen Stücken, die sich äußerst nahe an den Vorbildern entlanghangelten. Das zweite Album diente Spacemen 3 dazu, einen eigenen Sound zu finden und diesen zu verfeinern, und der fiel nach dem garagigen Vorgänger überraschend „horizontal“ aus. Das Konzept dieser Platte als vollständige Drogentrip-Beschreibung mag aus heutiger Sicht zwar ein wenig albern wirken, aber zum einen meinten es die beiden gefährlich ernst damit, zum anderen überzeugt das musikalische Ergebnis. Sanft, aber unablässig kriecht dieses hypnotische, bluesige, wabernd Kreise ziehende Zeug in den Hörer hinein, bis er plötzlich Gänsehaut hat und nicht weiß, warum. Nicht zuletzt für die psychedelisch interessierten Britpopper der kommenden Jahre keine unwichtige Erfahrung. – Oliver Götz
Key Tracks: „Take Me To The Other Side“, „Walking With Jesus“, „Feel So Good“
17
THE DOORS
STRANGE DAYS (1967)
„We want the world and we want it now“, heißt es im wuchtigen elfminütigen Endstück des zweiten Doors-Albums, „When The Music’s Over“. Die Kalifornier hielten die Welt damals tatsächlich in der Hand: Als STRANGE DAYS auf Platz drei der US-Charts einstieg, stand das Debüt der Band immer noch in den Top Ten. Die New Yorker Straßenkünstler auf dem Cover (manche davon sind nur Statisten – der Trompeter etwa ist ein Taxifahrer, dem man für das kurze Shooting fünf Dollar in die Hand gedrückt hatte) übertragen die Verspieltheit der Musik, aber auch die ihr stets innewohnende Bedrohung. Euphorie und harter Comedown standen sich bei den Doors ja sehr nahe. Die Band feierte die Aufb ruchsstimmung der Zeit, sah die Hippie-Sonne aber auch schon untergehen. In „Unhappy Girl“ weist Jim Morrison einen Ausweg aus der Angst: die Umarmung des Unklaren – „Fly fast away. Don’t miss your chance to swim in mystery“. Im Zweifel für den Zweifel. – Stephan Rehm
Key Tracks: „Strange Days“, „Moonlight Drive“, „When The Music’s Over“
16
ALEXANDER SPENCE
OAR (1969)
Das erste und letzte Soloalbum von Alexander „Skip“ Spence ist so etwas wie das amerikanische Pendant zu Nick Drakes PINK MOON oder zum Solowerk Syd Barretts. Aus den Rillen klingt zu gleichen Teilen Verzweiflung, Hoffnung und Ratlosigkeit. Am ehesten in die bekannten Muster pschyedelisch verzerrten Musizierens passt „War In Peace“ mit seinen rauchzeichenhaften Gitarren, schwirrenden Effektpedalen und dem bei Cream ausgeborgten Outro-Bass-Riff. Sonst aber kommt OAR der klanglichen Aufarbeitung eines psychedelischen Katers gleich und besteht aus minimalistisch instrumentiertem Folk-Blues mit Refrains, die zum Heulen schön sind. Spence war 22 Jahre alt, als er das Album in ein paar Tagen im Alleingang in Nashville aufnahm. Zu dem Zeitpunkt hatte er bereits Quicksilver Messenger Service, Jefferson Airplane und Moby Grape angehört und – nach einer unglücklichen Episode mit LSD und einer Axt – sechs Monate in einer psychiatrischen Klinik verbracht. Der Stimme ist der Lebenswandel anzumerken. Die Fragilität des einst so fülligen Baritons vertieft aber nur die Wirkung dieser Depesche aus dem höllischen, dunklen Abseits des psychedelischen Traums. – Hanspeter Künzler
Key Tracks: „War in Peace“, „Broken Heart“, „Grey/Afro“
15
THE 13TH FLOOR ELEVATORS
EASTER EVERYWHERE (1967)
THE PSYCHEDELIC SOUNDS OF … (Platz 13) war ihre Absichtserklärung. Mit EASTER EVERYWHERE machten die Texaner Ernst. Im später von Primal Scream und Oneida gecoverten Opener „Slip Inside This House“ beschwört Roky Erickson die Anziehungskraft eines Horts der spirituellen Befreiung. Tommy Hall versetzt den elektrischen Jug in nicht enden wollende Vibrationen, und Leadgitarrist Stacy Sutherland brilliert als Meister des mäandrierenden Spiels. Unter Führung dieser Könner ging es um Bewusstseinserweiterung, aber die Elevators achteten auch auf Struktur und Qualität. Ihre Version von Bob Dylans „Baby Blue“ passt bestens in den Plan. In „Earthquake“ tobt Naturgewalt, trotzdem bleibt die Balance erhalten. Danach meinte es das Schicksal nicht mehr gut mit ihnen. Nach Genuss eines läppischen Joints wurde Erickson in eine psychiatrische Klinik verfrachtet. Von da an war er nicht mehr derselbe. Den Status einer wegweisenden psychedelischen Rockband konnte den Elevators aber nie jemand nehmen. – Thomas Weiland
Key Tracks: „Slip Inside This House“, „Earthquake“, „Levitation“
14
THE JIMI HENDRIX EXPERIENCE
ELECTRIC LADYLAND (1968)
Mit ARE YOU EXPERIENCED? und AXIS: BOLD AS LOVE hat er die Grenzen der Popmusik gesprengt, dem Gitarrenspiel neue Dimensionen erschlossen. Doch zufrieden ist Jimi Hendrix nicht. Die Klänge, die er in seinem Kopf hört, kriegt er einfach nicht aufs Band. Er schreibt Songs, er spielt, er jammt, wann, wo und mit wem auch immer: Steve Winwood, Dave Mason und Chris Wood von Traffic sind – nebst den Experience-Kämpen Mitch Mitchell und Noel Redding – dabei, Dylan-Sidekick Al Kooper, Jack Casady von Jefferson Airplane, Buddy Miles und viele mehr. Farbenprächtiger stellt sich Hendrix seine Musik vor, psychedelischer, komplexer, universeller, ein Amalgam aus Blues, Rock, Soul und Jazz. Als die Doppel-LP ELECTRIC LADYLAND erscheint, sind die Kritiken lauwarm. Auch Hendrix selbst ist nicht glücklich: „Eigentlich ist nur die Hälfte von dem drauf, was wir sagen wollten.“ Mag sein. Längst aber hat dieses Album den Status, den es verdient: den eines abenteuerlichen, atemberaubenden Meisterwerks, eines musikalischen Bildersturms ohnegleichen. – Peter Felkel
Key Tracks: „Crosstown Traffic“, „Voodoo Chile“, „All Along The Watchtower“
13
THE 13TH FLOOR ELEVATORS
THE PSYCHEDELIC SOUNDS OF THE 13TH FLOOR ELEVATORS (1966)
Vielleicht wäre alles anders und besser geworden, wenn Tommy Hall mehr Talent als Sänger gehabt hätte. Texte schreiben konnte der philosophieinteressierte Student, der schon früh mit LSD und Peyote experimentierte. Und ohne sein magisches Spiel auf dem elektrischen Jug (ein Tonkrug) klänge der Sound der 13th Floor Elevators, die stets zugedröhnt in den Übungsraum gingen, nicht annähernd so einzigartig. Hall ist also die Schlüsselfigur der Gruppe, die als eine der ersten überhaupt den Ausdruck „psychedelic“ verwendeten. Der spät hinzugestoßene Sänger und Gitarrist Roky Erickson jedoch gab den 1965 im texanischen Austin gegründeten 13th Floor Elevators das Gesicht und eine wilde Stimme. Aber sein Drogenkonsum und die Einweisung in eine Klinik, Elektroschocks und diagnostizierte Geisteskrankheit läuteten 1969 das Ende der Band ein. Allerdings brachte er einen Song von seiner vorherigen Band The Spades mit, der zum Klassiker avancieren sollte: „You’re Gonna Miss Me“. Eine krachende Garagen-Rock-Nummer, auf der sich Erickson die Seele aus dem Leib schreit. Trotzdem gilt der Hit des Debüts mit dem grandiosen Cover nicht als archetypischer Elevators-Song. Es sind die verdrogten, vom Jug und den Twang-Riffs geprägten Stücke wie „Kingdom Of Heaven“ und „Roller Coaster“. Überschattet wird dieses psychedelische Meisterwerk von einem lausigen Sound, den das geizige Plattenlabel der Band zu verantworten hat. Ach ja, dem genialen Songwriter Roky Erickson geht es heute wieder gut. – Sven Niechziol
Key Tracks: „You’re Gonna Miss Me“, „Roller Coaster“, „Splash 1“
12
THE DUKES OF STRATOSPHEAR
25 O’CLOCK (1985)
Schon das Cover mit seiner Mischung aus Dalí, Monty Python und „Yellow Submarine“ zeigt, wohin die Reise geht: tief in die knallbunte Welt der psychedelischen Musik. Am Steuer sitzt Sir John Johns, seine Assistenten nennen sich The Red Curtain, Lord Cornelius Plum sowie E. I.EI. Owen. Es sind Sänger Andy Partridge, Bassist Colin Moulding, Keyboarder Dave Gregory und sein trommelnder Bruder Ian. Bis auf den Letztgenannten alles Mitglieder von XTC, die sich das Projekt The Dukes Of Stratosphear zwischen 1984 und 1987 gönnten. Als Produzent fungiert John Leckie (Radiohead, The Stone Roses, The Fall), der sich hier Swami Anand Nagara nennt. Als The Dukes Of Stratosphear versuchen sie zu keiner Sekunde, die Welt der psychedelischen Musik zu erweitern. Die Briten gehen lieber auf Beutejagd und sammeln alles ein, was das Genre bietet. Die Jagdgründe befinden sich vor allem im England Mitte der 60er-und Anfang der 70er-Jahre, das bedeutet viel Pop und nur wenig fuzzy Garagen-Rock. Es finden sich Zitate von Syd Barrett, Pink Floyd, den Beatles, Kinks und den Small Faces, die die vier Herzoge zusammenpuzzeln, oder wie sie selbst sagten: „It’s time to drown yourself in Soundgasm.“ – Sven Niechziol
Key Tracks: „Your Gold Dress“, „The Mole From The Ministry“
11
SYD BARRETT
THE MADCAP LAUGHS (1970)
Der Weg zur Fertigstellung dieses Albums war steinig. Die Sessions litten unter der Unberechenbarkeit Syd Barretts, die schon für seinen Rauswurf bei Pink Floyd verantwortlich war. Der kapriziöse Künstler musste kurzzeitig zum Psychiater und verschwand während der Aufnahmen mit Produzent Malcolm Jones, um seinen ehemaligen Bandkollegen nach Ibiza zu folgen. David Gilmour und Roger Waters übernahmen den Rest der Arbeit. Wie schwierig es gewesen sein muss, hört man an dem abgebrochenen Start in „If It’s In You“ und dem nölenden Gesang. Perfektion sollte man besser nicht erwarten. Man braucht dieses Album aber als Beweis für Syd Barretts Existenz zwischen Genie und Wahnsinn. Von innovativem Quengeln an der E-Gitarre ist weniger als bei Floyd zu vernehmen. Stattdessen hört man, wie der „Crazy Diamond“ mit der Akustischen in der Hand in Halb-Trance durch die Songs wandelt. Die charmante Unprofessionalität haben sich später unter anderem Julian Cope und Pete Doherty zum Vorbild genommen. – Thomas Weiland
Key Tracks: „No Good Trying“, „Love You“, „Octopus“
10
THE FLAMING LIPS
THE SOFT BULLETIN (1999)
Nachdem in den Sechzigern eben nicht nur der Psychedelic Rock, sondern auch die psychedelische Popmusik ihre Blütezeit erlebt hatte, kamen sich Pop und Psychedelia später nur noch sehr selten so nahe wie auf diesem selig machenden Album. Die meisten, die sich ab Ende der Sechziger in eigene LSD-unterfütterte Studien verstiegen, taten dies ja in der erklärten Absicht zum akustischen Vollrausch – keine Bewusstseins- ohne Format- und Sounderweiterung! Wayne Coyne und seine Band wollten mit THE SOFT BULLETIN jedoch ganz bewusst eine harmonische, warme und nicht zuletzt persönliche Platte machen. Ihre prächtigen Melodien und symphonischen Arrangements erinnern dabei auch eher an die Musik von Burt Bacharach, Musicalkompositionen und den John Lennon der Siebziger. Der übersteuerte Sound wiederum war eindeutig ein Produkt der alternativ verrockten Neunziger und machte diesen Dreampop-Reigen auch zugänglich für ein Publikum, das seinem unkaputtbaren Harmoniewillen und dem ganzen Bombast sonst wohl eher skeptisch gegenübergestanden hätte. – Oliver Götz
Key Tracks: „Race For The Prize“, „What Is The Light?“ (plus „The Observer“)
9
THE BEATLES
REVOLVER (1966)
„Got To Get You Into My Life“ – Paul McCartneys leicht chiffr ier te Liebesbekundung an LSD, die Ehrerweisung an den bereitwillig allerhand Pillen verschreibenden „Doctor Robert“, dessen wahre Identität bis heute nicht geklärt ist (ist es Bob Dylan gar?), und natürlich John Lennons bahnbrechendes Loop-Monster „Tomorrow Never Knows“ – REVOLVER ist das Drogen-Album der Fab Four. Die ersten Zeilen aus letztgenanntem Song, „Turn off your mind, relax and float downstream“, entnahm John Lennon direkt Timothy Learys Fachbuch zum Konsum psychoaktiver Substanzen, „The Psychedelic Experience“. Mit ihrem siebten Album endete die unschuldige Phase der Band, die Beatles waren durch die Pforten der Wahrnehmung geschritten. Mit REVOLVER begann auch The Rise of George Harrison innerhalb der Band, der hier erstmals drei Songs beisteuern durfte, aus dem Schatten des Songwriterteams John Lennon und Paul McCartney trat und bald der spirituellste Beatle werden sollte. – Stephan Rehm
Key Tracks: „Here, There And Everywhere“, „Got To Get You Into My Life“, „Tomorrow Never Knows“, „Doctor Robert“
8
AMON DÜÜL II
YETI (1970)
Mit dem Debüt PHALLUS DEI hatte das Münchner Kollektiv kurz vorher einen ersten, ins Kraut wuchernden Entwurf für eine neue Musik vorgelegt, die geprägt war von der Lust für Noise, Improvisationsgeist, surrealem Wortwitz und schwerer Rhythmik. Mit YETI zeigten Amon Düül II das volle, hochoktanige Potenzial ihrer acidgetränkten Musik. Geprägt von Chris Karrers Geige und seinem Selbstverständnis als improvisierender Jazzer, von Falk Rogners schimmernden Orgelklängen, von voodoohaftem Getrommel und von Renate Knaup-Krötenschwanz‘ opernhaften Gesängen war YETI kein lineares Rockalbum, eher ein urweltliches Klangmeer, ein Sound gewordener Acid-Traum. Darin brodelte es von Riffs, Grooves und schattenhaften Sensenmännern und Schimmelreitern. Und wie Delfine sprangen Refrains kurz und silbern aus den Fluten. Der Einfluss der frühen Pink Floyd schimmert durch. Aber in seiner furchtlosen Verspieltheit ist und bleibt YETI zutiefst und pionierhaft un-angelsächsisch, zeitlos und befreiend. – Hanspeter Künzler
Key Tracks: „Archangel Thunderbird“, „Yeti“, „Sandoz In The Rain“
7
THE SMALL FACES
ODGENS‘ NUT GONE FLAKE (1968)
LP-Seite eins präsentiert die Small Faces als vom Blues, Soul und Hardrock beeinflusste Beatband in Hochform, da ist die Rummelplatzsingle „Lazy Sunday“ noch einer der schwächeren Songs. Wer den Britpop der 90er liebt, findet hier die Blaupausen; der instrumentale Titelsong ist Neo-Psychedelikern wie Dungen heilig. Auf Seite zwei führt der kauzige englische Comedy-Veteran Stanley Unwin in die Welt der Märchenfigur Happiness Stan ein, die am Himmel den Halbmond sieht und sich auf die Suche nach der anderen Hälfte macht. Unwin spricht in seinem eigenen Kauderwelsch, er nennt seine Nonsenssprache „Unwinese“. Bei den Songs zwischen der Erzählung lassen die Small Faces eine Flöte und Streicher aufspielen. Steve Marriott imitiert John Lennons Gesangseffekte, Ian MacLagan orgelt sich bei „The Journey“ an den Rand des Wahnsinns. – André Boße
Key Tracks: „Odgens‘ Nut Gone Flake“, „Afterglow (Of Your Love)“
6
THE ROLLING STONES
THEIR SATANIC MAJESTIES REQUEST (1967)
Große Lust aufs Studio hat keiner. Neue Songs haben sie eh nicht, dafür aber genug mit sich selbst, ihren Liebschaften und ihren (Drogen-)Problemen zu tun. Aber, so Keith Richards, „es war eben Zeit für ein neues Stones-Album“. Also versuchen sie, ihren Kram zusammenzukriegen, lassen es, ganz dem musikalischen State of the Art verpflichtet, sirren, säuseln und orgeln, flirren, fiepen und flöten, setzen sich fürs Coverfoto in quietschbunten Gewändern und mit komischen Kopfbedeckungen in eine Acidtrip-Märchenlandschaft – und fertig ist die perfekte Psychedelia-Pastiche. THEIR SATANIC MAJESTIES REQUEST, auf dem sogar Bill Wyman einen Songwriting-Credit erhält (für „In Another Land“), wird von der Musikpresse mit Hohn und Spott bedacht, später von Richards als „a load of crap“ geschmäht. Ein Ausreißer im furiosen Frühwerk der Stones, gewiss – doch klingt der, wie man heute konzedieren darf, allemal interessanter als manch vermeintliches Meisterwerk aus jener Zeit. Und wenig später folgte „Jumpin‘ Jack Flash“. – Peter Felkel
Key Tracks:“Citadel“, „She’s A Rainbow“, „2000 Light Years From Home“
5
THE BYRDS
FIFTH DIMENSION (1966)
The Byrds (beinahe) ohne Gene Clark. Und: The Byrds ohne Terry Melcher, der den Klang der ersten beiden Alben maßgeblich mitprägte. Außerdem: The Byrds ohne eine einzige Dylan-Komposition. David Crosby und Roger McGuinn waren es, die für das Gros der Songs und die Verschiebung von der Folk-hin zu einer sehr offenen Band verantwortlich zeichneten. Das Ergebnis ist eine erstaunlich stringente Mischung aus den altbewährten Vokalharmonien, klassischer Früh-Psychedelic („Eight Miles High“) und einigen Traditionals und Covers. Stücke wie das bedrückende „I Come And Stand At Every Door“ und die Naturbeobachtung „Wild Mountain Thyme“ sind von einer Schönheit, die selbst im Katalog dieser großartigen Band nur selten erreicht wird. – Jochen Overbeck
Key Tracks: „I Come And Stand At Every Door“, „Eight Miles High“
4
THE RED CRAYOLA
THE PARABLE OF ARABLE LAND (1967)
Indiz für die Zugehörigkeit einer Band zu einem bestimmten Genre ist das heftige Leugnen der Band, diesem Genre anzugehören. Würde man Mayo Thompson, den Kopf der immer noch aktiven Avant-Rock-Band The Red Krayola fragen, ob er das Debüt THE PARABLE OF ARABLE LAND als Psychedelia versteht, würde er verneinen und antworten, dass es vielmehr seiner Vorstellung von Popmusik am nächsten kommt. In der Tat stehen die sechs Songs und die ihnen vorangestellten kakophonischen „Free Form Freakouts“ eher in der Tradition freiformaler, genreübergreifender Musik, wie sie in den 60ern entstanden ist. Aber die Veröffentlichung der Platte auf dem Psychedelia/Garagenrock-Label International Artists, das wabernde Orgelspiel von Gast Roky Erickson im gerne gecoverten „Hurricane Fighter Plane“, die Fähigkeit der Band, Blues- und Rock-Phrasen aus dem Kontext zu reißen, und der verhallte Fake-Stereo-Mix der Tracks verleihen der Platte höchste psychedelische Qualitäten. – Albert Koch
Key Tracks: „Hurricane Fighter Plane“, „War Sucks“, „Transparent Radiation“
3
LOVE
FOREVER CHANGES (1967)
Der Sommer 1967 ging als „Summer Of Love“ in die Geschichte ein. Doch während sich allerorts Jugendliche mit vergrößerten Pupillen freudig Blumen in die Haare steckten, war es ausgerechnet um eine Band namens Love nicht gut bestellt. Nach zwei weitgehend ignorierten Alben wagten die Kalifornier einen dritten Anlauf. Gegen Drogensucht und gegeneinander kämpfend nahmen sie innerhalb von 64 Stunden zwar ein Meisterwerk auf, doch die Welt wollte nicht hinhören. Die wenigen Fans kauften FOREVER CHANGES auf Platz 154 der US-Charts, der „Rolling Stone“ beanstandete das Fehlen melodischer Substanz und sah das Songmaterial als größten Schwachpunkt des Albums an. Ein epochales Fehlurteil, das den Niedergang der Gruppe nur beschleunigte. 1968 verließ der von Heroin gebeutelte Co-Songwriter Bryan MacLean die Band, Mastermind Arthur Lee kündigte dem Rest und nahm mit neuer Besetzung noch ein paar mäßige Platten auf. Erst Mitte der 70er wurde die Größe von FOREVER CHANGES erkannt: die vom Pomp der Vorgänger befreite Produktion, die jedem Instrument genau den Platz gewährt, den es benötigt, und Lees zärtlicher Gesang, der gepaart mit den präzisen orchestralen Arrangements eine Spannung ergibt, als ob alles kurz vor der Apokalypse stünde – oder der Erlösung. Die Songs legen beides nahe: Einmal weisen sie, wie etwa „Alone Again Or“, auf die verblüffende Leichtigkeit hin, mit der das Glück zu erreichen ist: „You know that I could be in love with almost everyone“. Doch kaum wähnt man sich in Sicherheit, bringt das nächste Stück die Blase zum Platzen: „By the time that I’m through singing the bells from the schools of wars will be ringing. More confusions, blood transfusions. The news today will be the movies for tomorrow“, singt Lee in „A House Is Not A Motel“. Der Kampf ist nicht vorbei. Und er wird es auch nicht sein können, solange unterschiedliche Hautfarben noch eine gesellschaftliche Rolle spielen: „They’re locking them up today. They’re throwing away the key. I wonder who it’ll be tomorrow: you or me?“, heißt es in „The Red Telephone“. Bevor Arthur Lee 2006 starb, führte er das Album auf diversen Tourneen in Gänze auf. Endlich sah er die Standing Ovations, die ihm so lange verwehrt blieben. Am besten mit dem Erbe der Platte umgegangen sind übrigens die Stone Roses: Sie entschieden sich für John Leckie als Produzenten ihres Debüts, nachdem sich beide Parteien darauf geeinigt hatten, dass FOREVER CHANGES die großartigste Platte aller Zeiten sei. Gemeinsam nahmen sie dann ein ebenso vollendetes Album auf. – Stephan Rehm
Key Tracks: „Alone Again Or“, „Andmoreagain“
2
THE ZOMBIES
ODESSEY &ORACLE (1968)
Man stelle sich vor, eine Band macht das Album ihres Lebens und löst sich dann vor dessen Veröffentlichung auf. The Zombies haben das tatsächlich hingekriegt. Angefangen hatte es für sie ganz manierlich. 1964 landeten sie mit ihrer ersten Single „She’s Not There“ einen großen Hit. Danach ging es für die von Sänger Colin Blunstone und Keyboarder Rod Argent angeführte Band abwärts. Kommerziell gesehen. In den USA rasteten die Mädchen zu ihren Beiträgen zur British Invasion regelmäßig aus. In der Heimat liefen The Zombies dem von anderen Musikern bestimmten Geschehen hinterher. Die Folge war die Auflösung des ersten Plattenvertrags. Immerhin stand ein neues Label bereit und versprach größere künstlerische Freiheit. Unter diesen Bedingungen entstand dieses Album voller Preziosen zwischen Pop und Psychedelia. In „Care Of Cell 44“ stecken Einflüsse von Ray Davies und Gesangsharmonien aus der Beach-Boys-Schule. Der nachdenkliche Spaziergang durch den „Beechwood Park“ wird von einer wabernden Gitarre und einer Kirchenorgel begleitet. Seinen krönenden Abschluss findet das Album mit „Time Of The Season“. The Zombies hatten sich im Dezember 1967 aufgelöst. ODESSEY &ORACLE erschien im Frühjahr 1968. Anfang 1969 flehte Al Kooper, Labelkollege und ehemaliger Keyboarder von Blood, Sweat & Tears, Mitarbeiter in der amerikanischen Zentrale der Plattenfirma an, das Album in den USA zu veröffentlichen. Da hatte er den richtigen Riecher. Der makellose Popsong „Time Of The Season“ wurde ein großer Erfolg, und The Zombies wurden für kurze Zeit noch einmal zu Stars, obwohl sie sich längst aufgelöst hatten. – Thomas Weiland
Key Tracks: „A Rose For Emily“, „This Will Be Our Year“, „Time Of The Season“
1
PINK FLOYD
THE PIPER AT THE GATES OF DAWN (1967)
Es war das Jahr, da sich die Grenzen von Raum und Zeit aufzulösen schienen. Das Jahr von ARE YOU EXPERIENCED? von SURREALISTIC PILLOW und STRANGE DAYS. Das Jahr, da in der Freak-Enklave Laurel Canyon die Bewohner all der pittoresken Holzhütten und Häuschen am selben Tag zur selben Uhrzeit das gleiche Album auflegten und SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND einer gigantischen Pop-Sinfonie gleich über die Hügel oberhalb von Los Angeles schwebte.
Die Pop-Welt erstrahlte in den schillerndsten Farben, schwelgte in buchstäblich unerhörten Klängen. Im Wochenturnus kamen großartige Singles und LPs heraus, von denen manche die Jahrzehnte überdauern sollten, ohne dass man ihrer überdrüssig wurde. „Arnold Layne“ etwa von einer obskuren Band namens The Pink Floyd erschien am 10. März jenes magischen Jahres und sorgte gleich für einigen Aufruhr bei Radiostationen: nicht der bizarr verspulten und doch ingeniösen, den Hörer auf Anhieb packenden Musik wegen, sondern weil die Lyrics die Geschichte eines Transvestiten erzählen, der Slips von Wäscheleinen zu klauen pflegt. Es war dies der erste, zwei Minuten und 52 Sekunden kurze Geniestreich des Ex-Kunststudenten, Sängers und Gitarristen Roger Keith, genannt „Syd“, Barrett und der vormaligen Architekturstudenten Roger Waters (Bassgitarre), Rick Wright (Keyboards) und Nick Mason (Schlagzeug). Seit dem 21. Februar 1967 arbeitete das Quartett in den Londoner EMI-Studios an seinem Debütalbum – und „Arnold Layne“ nach zu schließen, das es immerhin auf Platz 20 der Charts brachte, durfte man Großes erwarten. Noch besser schnitt die zweite 45er ab: „See Emily Play“ erschien am 16. Juni, hörte sich an wie ein halb vergessener Traum aus einem verwunschenen Märchenwald und erreichte Rang sechs der UK-Hitparade.
Das Publikum schien bereit für Pink Floyd – doch das, was es da am 5. August 1967 zu hören gab, verblüffte alle: THE PIPER AT THE GATES OF DAWN entpuppte sich als Panoptikum aus abgedrehten Sounds und verschrobenen Texten – „Blinding signs flap, flicker, flicker, flicker blam, pow, pow“, deklamiert Syd Barrett in einer Art Fantasiesprache in „Astronomy Domine“ -, die sich gleichwohl fast durchweg mit catchy Tunes verbinden. Bevölkert werden diese seltsamen Songs von bizarren Figuren wie dem Gnom Grimble Gromble und „Lucifer Sam“, anderswo werden Vogelscheuchen plötzlich lebendig („The Scarecrow“), tönt es kinderliedhaft („Mathilda Mother“,“Flaming“), oder es wird – ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend – das chinesische Orakel, das I Ging, beschworen („Chapter 24“). In „Bike“ verliert sich eine zarte Spieldosen-Melodie in einer kakophonischen Klangcollage, in der Einflüsse der Musique concrète aufgegriffen werden.
Entsprungen waren diese in all ihrer Exzentrik zutiefst britischen Tonskulpturen dem Hirn Syd Barretts, das dieser schon damals mit reichlich Drogen fütterte. Einzig die Instrumental-Trips „Pow R. Toc H.“ und das knapp zehnminütige „Interstellar Overdrive“, das sich genauso anhört, wie es der Titel vermuten lässt, sind als Barrett/Waters/Wright/Mason-Kompositionen ausgewiesen, derweil mit „Take Up Thy Stethoscope And Walk“ Rogers Waters erstmals als Songschreiber im Floyd-Kosmos auftaucht.
Dennoch war dies natürlich durch und durch Syd Barretts Werk, von dem auch der Titel (aus Kenneth Grahames Kinderbuchklassiker „Wind In The Willows“) stammt. Es ist seine Persönlichkeit, seine Weltverlorenheit, seine Unsicherheit, diese Mischung aus kindlicher Unschuld, musikalischer Abenteuerlust und unersättlicher Gier auf Rauschmittel aller Art, die THE PIPER AT THE GATES OF DAWN geprägt haben. Die Reaktionen auf das Album waren damals durchweg positiv, wenn auch nicht überschwänglich. Paul McCartney, so raunte man, soll begeistert gewesen sein, die Musikzeitschriften vergaben gute Noten, der „Record Mirror“ hörte „plenty of mindblowing sounds“. Was damals keiner ahnte: Bald schon sollte Syd Barrett von einem Acidtrip nicht mehr zurückkehren, sein Geist sollte verglühen wie eine Sternschnuppe. Und in nicht allzu ferner Zukunft sollte die psychedelische Rockband Pink Floyd zum florierenden Rock-Großunternehmen werden, mit THE DARK SIDE OF THE MOON sämtliche Verkaufsrekorde brechen und ihrem vom Wahnsinn umnachteten Freund auf WISH YOU WERE HERE nachrufen, er möge weiter scheinen, dieser „crazy diamond“.
Syd Barrett starb am 7. Juli 2006. Wer dem Herzschlag der psychedelischen Rockmusik nachspüren will, ihrer Poesie, ihrer Magie und ihren Albernheiten, der kommt auch heute noch an THE PI-PER AT THE GATES OF DAWN nicht vorbei, dem Werk eines früh vollendeten Genies. – Peter Felkel
Key Tracks: „Astronomy Domine“, „Interstellar Overdrive“, „Bike“