Konzertbericht

Das Rock-Debüt im Neubau: Einstürzende Neubauten in der Hamburger Elbphilharmonie


Laut ist es natürlich, aber manchmal auch sehr leise – und dann kommt der neue Lieblingssaal des deutschen Kultur-Establishments, die Elbphilharmonie in Hamburg, bei seinem Rock-Debüt mit keinen geringeren als den Einstürzenden Neubauten erst so recht zur Geltung.

Es ist schon ein guter Gag, die Einstürzenden Neubauten zum ersten Nicht-Klassik-Konzert in den Neubau Elbphilharmonie einzuladen; ein Gag, der so gut ankommt, dass die Neubauten am Nachmittag noch ein Zusatzkonzert ansetzen, auch ausverkauft, so wie das abendliche, zu dem sich Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz im Pullöverchen unters Publikum mischt. Um ihn herum eine kuriose Mischung aus Elphi-Eventpublikum – Hauptsache Karten, Konzert egal – und klassischen Fans – Hauptsache Neubauten, Halle egal. Wobei es schon schwer ist, vom Gebäude unbeeindruckt zu sein. Am Eingang in den Großen Saal bietet das nordisch-keck uniformierte Personal Programmhefte und Ohropax an, per Infoscreen warnt man vor einem „hohen Lautstärkepegel”. Ja, diese Band nennt Alben STRATEGIEN GEGEN ARCHITEKTUR, aber die Klangarchitektur im Saal spielt den Einstürzenden Neubauten in die Karten. Denn sie spielen vor allem Titel ihres Albums GREATEST HITS, das wiederum vor allem Songs umfasst, die erst seit der Umbesetzung Mitte der Neunziger entstanden sind – und da sind die Momente des Brachialklangs selten geworden.

Stattdessen variieren sie die Ausbrüche mit konzentrierten, leisen Passagen, in denen man das rhythmische Tappen des baren Fußes von Bassist Alexander Hacke klar hören kann. Passenderweise ist der Song „Silence Is Sexy” ein Höhepunkt – mit seiner langen Kunstpause und einem gewollten, schmerzhaft klaren Feedback, passend zur Zeile„Nur ich & ich & ich & Tinitus”.  Das Neubauten-typische Instrumentarium aus dem Baumarkt – Abflussrohre, eine Schütte voll Metallstäben, die„beste Rettungsdecke ever” – bearbeitet vor allem N.U. Unruh mit Eifer. In manchen Instrumentalpassagen stellt sich Blixa Bargeld genießerisch zur Seite und wirkt noch pastoraler als sowieso schon in seinem dunklen Dreiteiler. Doch zumeist ist der Sänger natürlich im Mittelpunkt, er quietscht, er deklamiert, er berlinert, er raunt. Im Konzert wird erst so recht offensichtlich, wie viel Zitat in der Neubauten-Poesie steckt, wie sehr Bargeld Stimmen und Sprüche aufnimmt, und wie arg lustig diese Band doch auch ist – trotz (und wegen) aller Posen der Seriosität, des Künstlertums, der Weltabgewandtheit. 

Einmal spricht der Sänger von alten Studio-Zeiten in Hamburg und kündigt einen Song an, „der den jungen Blixa mit dem alten vereint, den alten und den neuen Blixa”. Welcher dieser Blixas spricht wohl, als er scherzt, die dritte oder vierte Show des Tages steige dann„unten im Störtebeker”? Ist die Punk-Kneipe in den Hafenstraßenhäusern gemeint? Oder doch ein Lokal gleichen Namens in einem Zwischengeschoss der Elbphilharmonie? Die Einstürzenden Neubauten sind angekommen im kulturellen Inventar Deutschlands. Und sie machen sich gut in dieser Rolle. Wie sehr sie damit identisch sind, das ist noch ein kleines bisschen offen.


Felix Bayer ist freier Musikexpress-Autor und Kultur-Redakteur bei Spiegel Online.

Foto: Claudia Höhne
Foto: Claudia Höhne