Deus – Berlin, Loft


Eine gewisse düstere Vorahnung ereilt einen schon, wenn die Plattenfirma der Konzertkarte gleich noch einen Satz Ohrenstöpsel beilegt. Bei einer Band, die ais musikalische Einflüsse „Fieber, Lungenentzündung, AIDS, Wundbrand und Tripper“ angibt, kann man ohnehin nicht anders, als einfach auf alles gefaßt zu sein. Kurz vor 23 Uhr ist es soweit. Die „Break-Through-Artists Of ’94“ (laut MTV) betreten die Bühne und beginnen fast beiläufig mit ‚Gimme The Heat‘. Nahtloser Übergang zu ‚Via‘. Dann ‚Fell Off The Floor, Man‘. Sänger Barman erzählt seine Texte im Plauderton. Drummer Jules de Borgher wirkt gelangweilt und unterbeschäftigt. Nur Gitarrist Craig Ward hat alle Hände voll zu tun, seinem Frontmann den Rücken freizuhalten. Er liefert die spannenden Sounds, sorgt für Dynamik im Set und amüsiert den Betrachter mit seinem eifrigen Steptanz auf den Effektgeräten. Auch Danny Memmens, der Neuzugang am Baß, spult seinen Part souverän herunter. Ganz in sich ruhend, grooved das schmächtige Männlein lässig mit dem an ihm viel zu groß wirkenden Instrument. Es hat den Anschein, als habe die Band den Ausstieg von Bassist und Co-Songwriter Stef Kamil Carlens erstaunlich gut verkraftet. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne müht sich Multi-Instrumentalist Klaas Janzoons, am Keyboard Samples abzurufen, Percussions zu bedienen und seiner Violine allerlei ungeheuerliche Töne zu entlocken, um zwischendurch immer wieder wie ein aufgezogenes Männchen in verzückte Tanzeinlagen auszubrechen.

Doch es bleibt unüberhörbar, daß die nuancenreichen Songs in der Live-Situation einiges an Charme einbüßen. Samples und Noises der Studiofassungen fehlen, so manches atmosphärische i-Tüpfelchen fällt der Technik zum Opfer. Mit dem Single-Hit ‚Suds & Soda‘ kommt dann das erste Mal so etwas wie Stimmung auf. Janzoons läßt seine Geige in den höchsten Tönen fiepen, in den ersten Reihen vor der Bühne zeigt sich Regung. Doch was sich die Band gerade an Publikums-Euphorie erarbeitet hat, macht sie mit dem nächsten Song wieder gnadenlos zunichte. Von ‚A Shocking Lack Thereof legen die fünf Soundanarchen mit Unterstützung von Girls Against Boys-Frontmann Scott McCloud eine derart sperrige Version vor, daß sie einem Frank Zappa wohl mehr als nur eine wohlwollendes Lächeln abgewonnen hätte. „Hard Art“ nennt die Band sowas.

In der Tat: harte Sache, das. Wenn Tom Barman allen Ernstes meint, „wir sind keine Avantgardisten, unsere Musik ist einfach Pop“ dann ist das schlichtweg gelogen. Und doch wieder richtig. Bei ‚Littie Arithmetics‘ klingt das Quintett wie die Beatles im Zuckerguß. Und genau das macht dEUS so spannend: Dem Antwerpener Fünfer kann man keine Sekunde trauen. Beschauliche Atmosphären werden im nächsten Moment verhackstückt. Strukturen sind da, um gebrochen zu werden. Kein Song gleicht dem anderen, ein Konzept scheint nicht zu existieren. Angeblich kommt die Band sogar ohne Set-List aus, das Programm findet sich. „Wir streiten uns auf der Bühne und nennen das dann Improvisation“, erklärt Barman augenzwinkernd die Vorgehensweise.

Zum Schluß gibt’s noch ‚For The Roses‘ – aus und ab. Wer noch klatschen kann, klatscht. Und wird mit einer göttlichen Version von Grauzones NDW-Hauer ‚Eisbär‘ belohnt. Auch ich wäre jetzt zu gerne „ein Eisbär, am kalten Polar“.