Gedanken zum Gegenwärtig*innen

Der Name deiner Mutter: Warum „Nepo Baby“ schon bald das neue „Bitch“ sein könnte


Unsere Gegenwart scheint später nun tatsächlich Geschichte zu werden. Zeit also, sich in dieser Kolumne die popkulturelle Gegenwart genau anzugucken. Was passiert? Und wie und warum hängt das alles zusammen? Hier Folge 25, in der Julia Friese erklärt, warum jetzt alle über Nepo Babies reden.

Drei Beobachtungen:

1. nepo babies

Ungefähr seit Ende 2020, also seit Cazzie David den Essay „Too Full to F****“ (in etwa: „Zu vollgefressen zum Ficken“) auf „The Cut“ veröffentlichte, wird in den sozialen Medien über Nepotismus in Hollywood gesprochen. Die Schauspielerin, so einigten sich einige, habe diesen Essay, respektive ihr erstes Essay-Buch „No One Asked For This“, nur deswegen veröffentlichen können, weil Larry David („Curb Your Enthusiasm“) ihr Vater ist. Sie sei ein Nepo Baby.

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Das ist ein neuer, abwertend zu verstehender Begriff, mit dem man in einer Unterhaltung die Vorlieben anderer moralisch abwerten kann. „Du findest Cooper Hoffman, also der, der den cuten Gary Valentine in ‚Licorice Pizza‘ gespielt hat, gut? Ist’n Nepo Baby und zwar der Sohn von Philip Seymour Hoffman.“ In „Nepo Baby“ liegen sowohl die Unterstellung, die damit Bezeichneten seien nur, wo sie sind, weil ihre Eltern ihnen den Weg ebneten, als auch die Erkenntnis, dass wir tatsächlich nicht in einer Leistungsgesellschaft leben.

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„Sie hat die Augen ihrer Mutter. Und ihren Agenten“ heißt die Titelgeschichte des „New York Magazine“, die die Debatte aufkehrt, und nun auch in der DACH-Region – attraktiver Industrie-Sprech für: Deutschland, Austria, Confoederatio Helvetica – belebt.  So twittert Stefanie Sargnagel: „Thread offen für eine Liste österreichischer nepo babies. Bin nicht verantwortlich.“ Und als das Netzfeuilleton „54Books“ fragt, welche Themen es demnächst angehen sollte, wünscht sich die Schriftstellerin Didi Drobna eine Recherche zum Thema Nepo Babies in der Literaturbranche.

2. boom boom boomerang

Hailey Bieber, Ehefrau von Justin Bieber und Tochter von Stephen Baldwin, ist Model und PR-agmatikerin. Sie ließ sich in einem weißen T-Shirt mit der serifenlosen Aufschrift „Nepo Baby“ fotografieren. Der diffamierende Begriff wird sich also bereits jetzt von Betroffenen angeeignet und positiv umgedeutet. Ende 2023 könnte Nepo Baby so das neue „Bitch“ sein. Bis dahin können wir uns Kate Winslet und ihre Tochter Mia Threapleton gemeinsam in „I AM“, oder Dustin und seinen Sohn Jake Hoffman in „Sam und Kate“ angucken. Oder natürlich ENDLESS SUMMER VACATION, das neue Album von Billy Ray Cyrus’ Tochter anhören.

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3. da bleib’ ich kühl, kein gefühl

Durch seine Zeichenbegrenzung brachte Twitter etliche neue Abkürzungen hervor. Am treffendsten vielleicht: „tl;dr“ für „too long, didn’t read“. Die durch TikTok ausgelöste kürzere Aufmerksamkeitsspanne hat nun für ein eigenes Musik- oder besser Remix-Genre gesorgt. Unter Sped-up-Songs versteht man beschleunigte Versionen von aktuellen oder auch alten Stücken. „Bloody Mary“ (2011) von Lady Gaga erlebte im Winter via Sped-Up seinen zweiten Frühling. Auf YouTube finden sich lange Listen User-verschnellter Songs. Der Markt adaptiert und veröffentlicht Gen-Z-affine Singles nun auch als Sped-up – am bekanntesten Domizianas „Ohne Benzin“.

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Charakteristisch für Sped-ups ist, dass sie die Charakteristika der Singstimme auslöschen. Interpretin sämtlicher Schnellis scheint eine Computer-Maus. Es gilt also, was immer gilt: Im User-Generated-Content-Universum verschwinden die Urheber*innen, der Beat wird schneller, und trotzdem ist alles von angenehmer Nostalgie durchzogen. So klingen sämtliche Sped-ups wie „Computerliebe“ (1995) von Das Modul oder „Blaue Augen“ (1998) von Blümchen – die ihrerseits, natürlich, auch schon Sped-ups waren – von Paso Doble (1985) und Ideal (1980).

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 03/2023.