Der Mann, der Kraut erfand


David Bowie? Mochte er nicht. Auch das Angebot, U2s Joshua Tree zu produzieren, lehnte Conny Plank ab. Stattdessen arbeitete er mit Größen wie Brian Eno, Kraftwerk und Neu! zusammen. Zum 25. Todestag des Produzenten erscheint jetzt die Werkschau „Who’s That Man“.

Gäbe es einen Kinofilm über sein Leben, er müsste mit einer langen Kamerafahrt über dichte Baumwipfel beginnen. Auf einmal öffnet sich eine Lichtung, und aus der Vogelperspektive sehen wir dort einen bronzefarbenen Mercedes stehen. Die Kamera fährt an das geöffnete Schiebedach heran: Am Steuer sitzt ein vollbärtiger Riese, Conny Plank, auf dem Beifahrersitz ein zierlicher Brite, Brian Eno. Es ist ein warmer Herbstabend, die Herren haben sich eine Landpartie gegönnt. Den ganzen Tag haben sie intensiv an einem Musikstück gearbeitet, am Ende schien es gelungen. Mal plaudernd, mal schweigend genießen sie nun gemeinsam die Stille. Das Rauschen der Wipfel. Das Zwitschern der Vögel. Nach ungefähr 20 Minuten fragt plötzlich Plank: „Willst du etwas im Radio hören?“ Eno runzelt die Stirn und wundert sich, warum ausgerechnet an diesem bukolischen Ort … aber er stimmt zu: „Warum nicht.“ Plank schaltet also das Radio ein – und es erklingt genau die Musik, an der sie beide den ganzen Tag gearbeitet haben.

Diese Szene ist genau so verbürgt von Brian Eno, der sie immer wieder gerne erzählt, wenn die Sprache auf Conny Plank kommt. „Es stellte sich heraus, dass er in einem weiteren genialen technischen Streich in seinem Studio einen Sender so ausgerüstet hatte, dass er sich sein Tagwerk im Auto anhören konnte“, erzählt er einem Journalisten: „Er dachte zu Recht, dass er damit eine andere Perspektive auf die Musik gewinnen würde. Ich war beeindruckt. Nicht nur von der Idee, sondern auch von der Tatsache, dass er insgeheim mit jemandem im Studio die Uhren synchronisiert und den exakten Zeitpunkt veranlasst hat, an dem die Übertragung startet. Das war typisch für Conny.“

Konrad „Conny“ Plank wird 1940 dort geboren, wo die Pfalz am tiefsten ist, im Örtchen Hütschenhausen bei Ramstein. Früh zieht es den jungen Mann nach Köln, wo er zunächst in den Studios des WDR eine Anstellung findet – um den vergleichsweise sicheren Hafen bald wieder zu verlassen. Es ist nicht Sicherheit, wonach er strebt. Lieber jobbt er frei für den Jazzproduzenten Wolfgang Hirschmann, der ihn bei Konzerten von Marlene Dietrich als Assistenten am Mischpult einsetzt. Ganz dumm wird er sich nicht angestellt haben, wirkt er in den folgenden Jahren doch als Toningenieur für so verschiedene Künstler wie Duke Ellington und Karlheinz Stockhausen.

Wie viele andere Jünger der neuen Musik wendet auch Plank sich vom Akademischen bald ab – zum Segen der neuen Musik, mit der Pioniere wie Kraftwerk, Neu! oder Cluster die Popmusik überhaupt revolutionieren sollten. Der Begriff „Kraut“, unter dem diese Musik ihren Siegeszug antreten sollte, war von Planks Firma abgeleitet: „Kraut Musikproduktion“. Nachdem er mit Tone Float das einzige Album der Kraftwerk-Vorläuferband Organisation, das Debüt einer blutjungen Rockband namens Scorpions und die ersten Neu!-Alben produziert hat, lässt er sich in der Nähe von Köln nieder – und gründet sein eigenes Studio in einem umgebauten Schweinestall. Und dort, in Wolperath, geht die Geschichte erst richtig los. Das Erste, was Plank im neuen Heim produziert, ist Autobahn von Kraftwerk, eine Band, die vor ihrer Begegnung mit dem Produzenten mehr von Pink Floyd als vom kalten Klang der Computer inspiriert war.

Was ihn in eine Reihe großer Produzenten stellt, das ist vor allem sein eigenwilliger Umgang mit diesem Studio. Es sollte darin zugunsten der Musik eine angenehm zwanglose, druckfreie Atmosphäre entstehen. Und er benutzt es nicht nur als Instrument, er spielte auf diesem Instrument auch so virtuos wie kaum ein anderer vor ihm. So nahm er einzelne Instrumente auf, um sie auf eigene Tonbänder zu legen, die er nach Belieben zusteuern konnte – und nahm auf diese Weise den polyphonen Synthesizer vorweg. Tatsächlich löste er, seiner Zeit um Jahre voraus, Probleme, die später erst mit dem digitalen Zeitalter verschwanden – etwa die „Speicherung“ einmal verwendeter Einstellungen. So hatte er direkt über dem Mischpult eine Kamera angebracht, mit der es unmittelbar nach einer Aufnahme mit allen Regler-Einstellungen fotografiert werden konnte. Benötigt er zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal genau die gleichen Einstellungen, so konnte er das alte Bild exakt auf das Mischpult projizieren – nun mussten nur noch alle Regler so ausgepegelt werden, wie das Bild sie zeigte. Für Brian Eno eine „sehr deutsche“ Idee, auf die „nur Conny kommen konnte“.

Synthesizer liebt er, „wenn sie wie Synthesizer klingen“ – und nicht versuchen, echte Instrumente zu simulieren. Er produziert Prog Rock (Sweet Smoke) ebenso wie Elektro (Kraftwerk), Ambient (Brian Eno), Folk (Finbar Furey) oder New Wave (Ultravox). Musik muss in seinen Ohren „verrückt“ sein, damit er mit ihr etwas anfangen kann: „Wahnsinn ist heilig“ lautet eine seiner Devisen. Dazu kommt, dass er sich selbst als Künstler sieht. Deshalb gibt es auch keinen spezifischen „Plank-Klang“, denn: „Jeder bekommt den Sound, den er verdient“, so Plank über sich selbst. Neu! beispielsweise verdanken ihm den Trick, Musik stellenweise rückwärts laufen zu lassen.

Michael Rother erinnert sich: „Abgesehen von seinen technischen Fähigkeiten hatte Conny eine gewaltige Sensibilität für die Musik und ein feines psychologisches Gespür, das vor allem in der Arbeit mit Klaus Dinger und mir absolut notwendig war.“ Dinger und Rother hatten sich für das Album Neu!’75 zusammengerauft, und der rocklastigere Dinger sang in Conny Planks Schweinestall den Song „Hero“ ein, rau, wütend, nicht schön. Nach dem ersten Take wollte Dinger unbedingt noch mal ran, es besser machen, aber Plank überzeugte die Musiker, dass es nicht mehr so intensiv und echt klang wie beim ersten Mal. „Hero“ inspirierte nicht nur David Bowie zu „Heroes“, sondern gilt heute auch als einer der Vorläufer der britischen Punk-Explosion.

Bowie selbst wollte mit dem Mann hinter dem Cluster-, Kraftwerk- und Neu!-Sound unbedingt arbeiten. Allerdings blieb es bei einer Tasse Tee in Wolperath, weil Plank den Star nicht ausstehen konnte – wie auch den Frontmann einer aufstrebenden Band, deren Album The Joshua Tree er eigentlich produzieren sollte. Nach einem von Eno eingefädelten Treffen war Plank klar: „Ich kann mit diesem Sänger nicht arbeiten.“ Integrität und Ethos schienen ihm wichtiger als Ruhm und Erfolg. Die zahlreichen Goldenen Schallplatten, mit denen seine Arbeit ausgezeichnet wurde, hingen auf dem Gästeklo. Plank produzierte auch Unfug, etwa das überkitschte Rockpommel’s Land der deutschen Softprog-Kapelle Grobschnitt und Musik von Heinz Rudolf Kunze oder Bläck Fööss. Wobei selbst Grobschnitts Träumereien und Kunzes Nummer-1-Hit „Dein ist mein ganzes Herz“ gut klangen.

In einer ganz eigenen Liga spielt Plank mit seiner ganz eigenen Musik, meistens zusammen mit Dieter Moebius, Hans-Joachim Roedelius oder Brian Eno. Alben wie Begegnungen mit allen drei Beteiligten klingen nach repetitivem Prototechno, mit der Formation Moebius/Plank/Steffen steht Plank als trompetender „Tonregisseur“ 1986 das erste Mal selbst musizierend auf der Bühne – auf Tournee in Südamerika. Ein Jahr später stirbt er während Arbeiten mit Annette Humpe und Heiner Pudelko, dem besten deutschen Rocksänger aller Zeiten, binnen kürzester Frist an Krebs. Er hinterlässt Frau und Kind, eine fassungslose Fangemeinde – und ein unschätzbares künstlerisches Erbe.

Albumkritik Seite 98

Seine besten Arbeiten

1. Kraftwerk: „Autobahn“ (1974)

Die Erfindung des Elektro-Pop

2. Neu!: „Hallogallo“ (1972)

Die Erfindung der stoischen Motorik

3. Brian Eno: „By This River“ (1977)

Einfach der schönste Ambient-Song aller Zeiten

4. Ultravox: „Vienna“ (1981)

Synthie-Pop wurde nie hymnischer

5. Les Rita Mitsouko: „Marcia Baila“ (1985)

Einer der größten Plank-Hits, Evergreen

6. Killing Joke: „Empire Song“ (1982)

Plank im Punk-, Prä-Industrial- und New-Wave-Modus

7. Holger Czukay: „Persian Love Song“ (1979)

Frühes Beispiel für Sample- und Weltmusik

8. Sweet Smoke: „Baby Night“ (1970)

Eine Progressive-Psychedelic-Jazz-Fusion-Perle

9. Eurythmics: „All The Young (People Of Today)“ (1981)

Was aus diesem Duo hätte werden können …!

10. Heinz Rudolf Kunze: „Dein ist mein ganzes Herz“ (1986)

Doch, auch dafür hatte Plank ein Herz