Der Fluch des Schmetterlings


Schmetterlings Nach dem Megaerfolg von „Butterfly stempelten viele CrazyTownalsOne HitWonderab. Mit ihrem neuen Album will die Band jetzt das Gegenteil beweisen.

Eine Szene wie im Film: sieben Musiker mit Tattoos, Piercings und blondierten Haaren lassen es im Tourbus heftig krachen. Drogen und leicht bekleidete Mädchen leisten ihnen Gesellschaft. Crack, Alkohol, Pillen. Koks, Sex. Es ist spät in der Nacht und alle sind zugedröhnt. Als der Sänger der Band an einer Pfeife fummelt, fängt ein Sitzkissen Feuer. Die Party ist schnell vorbei. Verletzte gibt es zum Glück keine, doch der Sachschaden ist beträchlich, und die Busgesellschaft weigert sich, das abgefackelte Vehikel für die Weiterreise zu ersetzen. „Am nächsten Tag hat uns unser Manager in einen Flieger gesetzt und nach House geschickt“, erinnert sich Seth Binzer alias Shifty Shellshock, der Mann, der besagte Pfeife anzündete, an den Tiefpunkt ihrer Karriere beim Ozzfest Festival 2000. Behandelt wie Rabauken beim Schulausflug, bloß: der „Ausflug“ war Crazy Towns erste US-Tour, die das Debütalbum „The Gift Of Game“ nach vorne bringen sollte. Ganz aus heiterem Himmel kam die resolute Entscheidung des Managements indes nicht: Die Platte war auf keiner Chartliste verzeichnet, ein Vormittagsgig auf einer Nebenbühne beim Ozzfest vor wenigen Zuschauern lief auch nicht berauschend. Dann war da noch der Rauswurf der Band aus ihrem Hotel, als Seth nach tagelangen telefonischen Krachs mit seiner Freundin durchdrehte und einen Stuhl durchs Fenster beförderte.“.Wenn man ein Platin-Album hat, kann man sich alles erlauben“, hat Seth inzwischen gelernt,“.damals allerdings hatten wir nicht einmal Hol2-Status erreicht. „..Es war. als ob jemand unseren Traum gestohlen hätte.“ stöhnt Bret“.Epic“ Mazur, „so beschissen und hoffnungslos wie da habe ich mich nie gefühlt. Aber wir haben daraus gelernt. Was man für einen Unsinn getan oder nicht getan hat, ist eigentlich nicht wichtig. Was zählt, sind die Schlüsse, die man daraus gezogen hat.“

Crazy Town waren am Anfang ein Duo, gegründet vom HipHop-DJ, Produzenten und Sänger Bret Mazur gemeinsam mit Seth Binzer, damals ein Drogendealer und Skateboard-Kid mit Rapper-Ambitionen. Erst nachdem sie den Plattendeal mit Columbia sicher hatten, stellten die Zwei eine Band zusammen, um ,.The Gift Of Game“ aufzunehmen. Im November 1999 wurde das Metal-HipHop-Album in den USA veröffentlicht, anderthalb Jahre nachdem die Rapcore-Band Limp Bizkit die Charts erobert hatte. Kein Wunder also, dass die Plattenfirma sich ausrechnete. Crazy Town würden mit einem ähnlichen Sound gut fahren. Aber sie irrte sich -„.The Gift Of Game“ ging trotz massiver Promotion sang- und klanglos unter. Alles Sebastian Artz

deutete darauf hin, dass Crazy Town ats teurer Ausgabeposten im Bilanzbuch von Columbia enden würden. Dann jedoch kam die dritte Single“.Butterfly“ heraus. Über Nacht wurde der melodiöse Track, der ein Sample der Red Hot Chili Peppers LPretty Little Ditty“) enthielt, ein Sommerhit und machte Crazy Town zu Superstars. Wenige Monate später erreichte auch die LP Platinstatus. Dass „Butterfly“ mit dem restlichen Rapcore-Repertoire der Band wenig gemein hatte, interessierte die Kids, die scharenweise die LP kauften, nicht.

Vorspulen ZUm Herbst 2002: Crazy Town laden in ihr Studio in Los Angeles ein, um neues Material vorzutragen. Auf ihren Schultern lastet nun“.der Fluch des Schmetterlings „, wie sie den Erfolg des Songs“.Butterfly“ und die damit verbundene Zuweisung in die One-Hit-Wonder-Schublade bezeichnen. Der Weg zu ihrem Studio führt an Gewerbehallen, verrosteten Maschinenteilen und verlassenen Bahndämmen vorbei. Crazy Town haben sich im nordöstlichen Teil von Los Angeles eingenistet, in einer Gegend, die in keinem Stadtführer verzeichnet ist. Das Studio selbst ist eine Baracke, eine Ansammlung von niedrigen, fensterlosen Hallen. Allein die teuren Schlitten vor der Tür – Porsches, Cadillacs und Volvos – verraten, dass hier keine Normalverbraucher schaffen. Crazy Town halten sich in guter Gesellschaft, die Goo Goo Dolls poltern in einem der Nachbarstudios. Aufnahme- und Kontrollraum sind beide voll gestopft mit Geräten und Instrumenten. Prachtstück der Inneneinrichtung in beiden Zimmern ist jeweils ein roter Perserteppich, der seine besten Tage wohl anderenorts erlebt hat. Die zitronengelbe Wand im Kontrollraum hat Shifty eigenhändig mit Playmate-Postern und kryptischen Nachrichten geschmückt.

Ein dürrer Typ mit einer Schultertasche und einem Pekinesen taucht als Erster auf, ein bleiches Gesicht mit zerzaustem Haarund Sonnenbrille. Erträgt Fitness-Klamotten, hält eine halbgerauchte Zigarette in der Hand und sieht übernächtigt aus.“.Squirrel“, stellt er sich vor und schaut dabei über die Sonnengläser, die er für den Rest des Interviews trotz schummriger Beleuchtung nicht abnehmen wird. Es ist Gitarrist Craig Tyler. Kurz darauf schlagen auch Seth und Bret auf.“.Die anderen konnten nicht kommen“, erklärt Squirrel den Umstand, dass sie als Trio und nicht als Sextett zum vereinbarten Gesprächstermin erscheinen. Die anderen, das sind Gitarrist Anthony „Trouble“Valli, Bassist Doug „Fedo Miller und der neue Drummer Kyle Hollinger.

Die Drei sind gutgelaunt und sprechen leidenschaftlich über die neue Platte: Seth redet mit heiser-sonorer Überschwänglichkeit, Bret eher ruhig und bedacht, Craig präzise und eloquent. „Es gab keine Vorschriften für dieses Album. Jedes Bandmitglied hat Ideen oderSongs beigetragen. Anders als unser Debüt, das Seth und ich im Alleingang geschrieben haben , weist Bret auf die neue Arbeitsweise von Crazy Town hin.“.Einen besseren Nomen kann ich mir für das Album nicht vorstellen“, wirft Seth, mit einem Joint beschäftigt, ein. Die neue LP heißt „Dark Horse‘] ein Ausdruck, der ins Deutsche übersetzt erfolgreicher Außenseiter bedeutet. „Wir fühlen uns wie Außenseiter und Newcomer – auch wenn wir Millionen von Platten verkauft haben“, erklärt er. „46er vielleicht sind wir gröflerals wir denken, vielleicht sind wir viel populärer, als wir uns einschätzen“ grübelt Bret laut. „Nein, das glaube ich nicht, viele haben uns nach .Butterfly‘ abgeschrieben“, widerspricht ihm Seth, „von uns wird so wenig erwartet, dass wir eigentlich nichts falsch machen können. Für eine Band, die ein zweites Album herausbringt, ist das klasse. So hat man alle Freiheit der Welt.“

Crazy Town nutzten diese Freiheit, um auf „Dark Horse“ melodiöse Refrains mit satten Gitarrensounds zu kombinieren, um so Rock, Rap und Metal auf den größtmöglichen gemeinsamen Pop-Nennerzu bringen. Um einen dichten Soundwall aus E-Gitarren, Drums und catchy Melodien aufzubauen, in dem interessante Sounds zum Einsatz kommen – alle möglichen Instrumente, ja, aber keine Samples. Scheuen sie, nachdem „Butterfly“ zwar kommerziellen Erfolg, aber auch den Hohn mancher Rezensenten mit sich brachte, dieses HipHop-Stilmittel? „Nein, auf gar keinen Fall, es gab einfach keinen Grund zu samplen“, verteidigt sich Bretvehement.

Irgendwie fühlt man, dass da eine empfindliche Stelle berührt wird, ein Verdacht, den Bret anschließend bestätigt: „Wenn du als Musiker eine andere Band samplest, halten dos manche für ein Armutszeugnis. Das ist völliger Unsinn. Wenn wir eine reine HipHop-Band gewesen wären, hätte niemand mit unserem Sample der Peppers auf .Butterfly ein Problem gehabt. Weil wir aber eine Rockband waren, mussten wir deswegen einiges einstecken.“ Aber Seth ist zuversichtlich: „Ich habe dieses elektrisierende Gefühl, das man in der Startphase eines Abenteuers empfindet“, schwärmt er. „Wir sind erst am Anfang unserer Karriere. Das Beste kommt noch.“

Wir sind gespannt. www.crazytown.com