Der Fluch der Avantgarde


Aus der elitären Ecke kommen sie wohl nie wieder raus. Obwohl die US-Punk-Jazz-Gruppe versöhnlichere Töne anschlägt, will der Funke zum breiten Erfolg nicht springen. Defunkt-Chef Joe Bowie, so erfuhr Werner Theurich, hat trotzdem nicht resigniert.

Immer der Zeit voraus zu sein — ein hartes Brot. Umso schöner, wenn man nach zehn Jahren Avantgarde-Dasein noch so unfrustriert ist wie Defunkt-Chef Joe Bowie. Zusammen mit einer frischen Crew legte er gerade sein drittes Album IN AMERICA vor. Drei Alben in zehn Jahren, ein wenig faul gewesen?“.Unsinn, Mann“, berichtigt der respektgebietende, breitschultrige Posaunist, „ich würde gern jede Menge Platten machen. Aber jeder Marketing-Mensch von einer Plattenfirma fragt dich gleich:. Wieviel willst du verkaufen? Fünf Millionen‘.‘ Zehn Millionen?‘ Angesichts der herrschenden Marktlage müssen wir ein bißchen suchen, bis wir was veröffentlichen dürfen.“

Dafür war’s bisher Qualität, was von der Firma Defunkt kam. Schon 1978. als sie noch The Blacks hießen, galt ihr Stil als richtungsweisend: brutal fetzende, polyrhythmische Bläsersätze, dazu unkonventionell harte Gitarren und ein funky Baß. Wäre da nicht noch ein verrückter weißer Saxophonist hinzukommen (James White) — die Blacks hätten sich schnell im Jazz-Untergrund verkriechen müssen und wären nicht der New Wavc-Tip geworden, der sie wenig später waren.

„No Wave“. um genau zu sein, nannten viele das. was sich Anfang der 80er Jahre in New York zwischen Jazz und Punk tat. Ja::, Soul, Funk. Rock, diese Namen sind nur fürs Marketing, :um Verkaufen“, sagt Bowie achselzuckend. “ Wir haben uns nie darum gekümmert, wie zum Teufel unsere Musik heißt. Wir haben einfach gespielt. „

Wir. das waren damals auch Joes Bruder Lester Bowie (inzwischen Jazz-Vaterfigur beim legendären Art Ensemble Of Chicago) und die Jazzer Oliver Lake. Luther Thomas und Julius Hemphill. Auch wenn sich die heutige Besetzung niehi mehr aus dem orthodoxen Jazz-Lager rekrutiert — an der kreativen Konsequenz der Jazz-Avantgarde orientiert sich Bowie auch heute noch.

Zu Defunkt gehören seit 1985 die Bassistin Kim Annette Clark, die Gitarristen Ronnie Drayton und Bill Bickford, Trompeter John Mulkerin und Drummer Kenny Martin. Joseph Bowie selbst stammt ursprünglich aus St. Louis, und obwohl viel an der Musik von Defunkt eigentlich typisch „New Yorkisch“ klingt, ist der Bandleader kein überzeugter Großstädter. „Ich lebe jetzt draußen in Maryland, vier Autostunden von New York. Istgesünder, nicht soviel Dreck und Streß. Natürlich sind wir oft in New York, aber die Band mehr als ich. Wenn du wissen willst, was dort so läuft, mußt du sie fragen!“

Was läutt denn so? „Immer noch hauptsächlich DJs“, meint Gitarrist Ronnie… Wenn im ersten Stock eine Band spielt und unten ein DJ. sieht die Band alt aus. Rap ist weiterhin angesagt und auch Housemusic. Aber die Bands kommen langsam wieder. Die Leute wollen wieder Musiker sehen. „

..Aber wir wollen auch kein Publikum, das uns nur anstarrt“, wirft Bowie hastig ein. „Am wohlstenfühlen wir uns. wenn die Leute tanzen. Dann wissen wir, daß sie ihre eigenen Gefühle unserer Musik hinzufügen.“

Das neue Dcfunkt-Album bietet dazu beste Voraussetzungen. Noch nie gelang es Defunkt so fugenlos. Rock und schwarze Musik intelligent und doch körperlich zusammenzufügen — und dabei gleichzeitig einen eigenen Stil zu schaffen. Gibt es überhaupt Vorbilder?

„Hendrix und John Coltrane“. sagen mehrere Defunkt-Musiker gleichzeitig. „Hendrix gelang als erstem dit Fusion von Rock und schwarzer Musik“, ergänzt Bowie „Er machte im Prinzip nichts anderes als Coltrane; dei Ansatz, frei mit seiner Musik umzugehen, war derselbe.“

Gibt es noch andere Geistesverwandte? „Eigentlich wenig“, sagt Bowie. „Was mich zuletzt beeindruckt hat. war das BLACK ALBUM von Prince. Großartig! Keine Ahnung, warum er das nicht veröffentlichen wollte. Ich finde weißgoit nicht alles gut, was er macht, aber eins muß man ihm lassen: Er geht ¿¿ wirklich neue Wege! Und das versuchen wir auch. “ H