Der dritte Mann
Als Stephen Demetri Georgiou wurde er geboren, als Cat Stevens machte er Karriere, als Yusuf Islam will er mit beiden nichts mehr zu tun haben. Aber seine Songs sind unkaputtbar.
Wenn es so etwas gibt wie ein kollektives Gedächtnis des Pop, dann ist wohl kein zweiter lebender Musiker so sang- und klanglos daraus verschwunden wie Cat Stevens. Der manchmal beinahe lästigen Zugänglichkeit seiner Melodien aber konnten nicht einmal die 25 Jahre etwas anhaben, die seit dem Verstummen ihres Urhebers ins Land gegangen sind. Es ist, als wären sie nie verklungen. „Morning Has Broken“. „Peace Train“. „Father And Son“. „Moonshadow“. „Wild World“. „Lady D’Arbanville“. Nein, „The First Cut Is The Deepest“ ist nicht von Rod Stewart. Ja, „Another Saturday Night“ ist auch von Cat Stevens. Sie stehen alle da wie kitschige kleine Statuetten aus einem vergangenen Jahrhundert. Leicht verwittert zwar, aber in einer überraschend langen Reihe. Und das Moos, das grün an ihren Fundamenten emporwuchert, macht sie zu Evergreens. Ob man das nun mag oder nicht.
Cat Stevens mochte nicht mehr. Er hat sich nicht nur von seinen Liedern getrennt, sondern auch von Cat Stevens. Hat Namen und Existenz abgelegt wie die Lederjeans und weißen Leinenhemden, die er immer getragen hatte. Und sich in das grüne Gewand des Propheten geworfen. Ein Bruder hatte ihm von einer Reise nach Jerusalem den Koran mitgebracht. Damals, 1977. Ein erhellendes Erlebnis muss diese Lektüre gewesen sein, bei Gott: „Meine Musik war wie eine Kerze, die ich in der Hand gehalten hatte“, sagt er heute. “ Und dann war auf einmal die Sonne aufgegangen.Was sollte ich da noch mit meiner Kerze?“, fragt er und macht eine wegwerfende Bewegung. Am 16. Muharram des Jahres 1398 trat er zum Islam über.
An diesem 23. Dezember 1977 unserer Zeitrechnung kam uns Cat Stevens abhanden. Yusuf Islam aber treffen wir im Foyer des Hamburger Hotels „Atlantic“. Am Abend zuvor hat er den „World Social Award“ in Empfang genommen, und gleich lässt er sich im VW Phaeton ins Fernsehstudio zu Reinhold Beckmann chauffieren. Der musikexpress möge doch mitfahren, meint Islam. Vor dem Hotel werden wir von Fans empfangen, die mit alten Plattenhüllen wedeln, tea FORTILLERMAN, MONA BONE JAKON, CATCH BULL AT FOUR: „Ein Autogramm,please‘. Mister Stevens! We were waitingfor hours!“ Ein Vierteljahrhundeit nach seiner letzten Platte.
Und Islam unterschreibt geduldig für Mister Stevens. „Peace“ schreibt er, nicht Stevens. Und schon gar nicht Islam. „Diese Menschen erinnern mich an friiher ‚, sagt er, als die Wagentür ins Schloss gefallen ist und die Limousine sanft und lautlos davonzieht, „sie erinnern mich daran, wie groß mein Einfluss auf das Leben, die Gedanken und vielleicht auch Träume anderer Leute war“.
In die Erinnerungen jedenfalls hat er sich hartnäckig eingenistet. Weil der Schulchor „Father And Son“ gesungen hat. Weil aus dem Zimmer des großen Bruders „Uh, baby, baby it’s a wild World“ drang, wenn er mit seiner ersten Freundin alleine sein wollte. Weil wir dann später selbst im Schein von Teelichtern beisammen hockten. Und uns unbeholfen aneinander, an grünem Tee und am Duft von Patchouli zu berauschen versuchten. Wenn das nicht klappte, gab’s als Weichgehirnspülung teaser and THEFIRECAT. Weil uns zur tragischen Liebe zwischen Harold und Maude immer dann die Tränen kamen, wenn die ersten Akkorde von „If You Want To Sing Out, Sing Out“ anklangen. Ebenso gut hätte er singen können: „Fuck me! I’m so sensitive!“
Seine Harmonien waren meist flockig frühlingshafter Folk, mal melancholisch, mal zuversichtlich. Und immer raunte dazu eine eigenartig weiche Stimme von besseren Welten .Licht und Liebe. Es ging um Verletzlichkeit, Geborgenheit, Sinn, Orientierung, Verständnis, Toleranz, Reinheit, Unschuld und Wärme, kurzum: es ging einfach nicht. Ein sentimentaler Soundtrack der Pubertät, erträglich nur in jenen seltenen Momenten, da wir auf eine mitleidige, liebevolle, zuversichtliche Weise einverstanden sind mit uns selbst. Eitel und falsch wie jede sich selbst bewusste und bewundernde Unschuld. Dabei ertappt zu werden – und wer wurde das noch nie? – ist es, was wir Cat Stevens nicht verzeihen. Verführung und Scham. Cat Stevens hören ist wie Hermann Hesse lesen. Irgendwie klebrig.
Yusuf Islam schmunzelt über diesen Vergleich. Er schmunzelt wirklich, lächelt leise in seinen grau melierten Bart, verschränkt die Hände im Schoß, kleine Fältchen bilden sich an den Augenwinkeln: „Das ist das Licht der Liebenswürdigkeit, nach dem ich mein Leben auszurichten versuchte. Manchmal habe ich es verfehlt, manchmal verblasste es. Aber es drückte die Liebe aus, die ich dem Leben gegenüber empfand“, sagt er und denkt nach, als bedürfe es noch eines Belegs: „Ja, ich habe mal geschrieben, es ist aus ,Sitting‘, ,I’m not making love to anyone ’s wishes/ Only for that light I see/ ‚Cause when I’m dead an lowered low in my grave/ That’s gonna be the only thing that’s left of me“.’Es ist Cat Stevens Stimme. Ein Yusuf Islam singt nicht. Er rezitiert den Text, als wäre es eine Sure.
Draußen, 2003, hagelt es auf die Straßen Hamburgs, hier drinnen, auf ledernen Polstern im Jahre 1424, sprechen wir darüber, dass im Islam die Musik eine wichtige Rolle spielt: „Im Koran steht, dass die guten Dinge, die Gott uns gegeben hat, durchaus genossen werden dürfen. Nur wenn es korrumpiert wird und fault, dann ist es verboten“. Kann es denn sein, dass sich Yusuf Islam auch ein wenig vor der Musik von Cat Stevens ekelt? „Oh nein“, sagt er, „erlaubt sind Hochzeitslieder, positive Lieder. Wie .Morning Has Broken‘ oder .Peace Train‘. Der Song ist wie eine alte Lokomotive: für die Ewigkeit gebaut. Meine Fahrkarte war kostenlos-aber ich wusste lange nicht, wohin mich die Reise führen würde. Manchmal denke ich, meine Songs waren islamisch, lange bevor ich es wurde. Sie sind mir vorausgegangen „.
Vorausgegangen in eine andere Welt. Yusuf Islam verkaufte alle Instrumente, Preise, Goldene Schallplatten und steckte den Erlös in die erste muslimische Schule in London. Er entfernte die griechische Fahne vom Cover seines BEST-OF-Albums. Er soll sich 1989 der Fatwa des Ajatollah Khomeini gegen den Schriftsteller Salman Rusdhie angeschlossen haben – er dementiert und betont, er sei einem unseriösen Journalisten auf den Leim gegangen. DJ Tom Leykis vom US -Sender KFI organisierte dennoch eine Plattenverbrennung. Am Flughafen von Tel Aviv wurde Islam 1990 mit seinem achtjährigen Sohn Mohammed als „unerwünschte Person „zurückgewiesen.
Nach dem 11. September 2001 erinnerten sich viele daran, dass Stevens in den 7oern einen Song namens „Where Do The Children Play“ geschrieben hatte, der mit der Textzeile “ Well, I think it ’s fine building jumbo planes“ beginnt und von Wolkenkratzern handelt. „Völlig verrückt“, ruft er, „völlig verrückt, oder? Aber das Interessanteste war, was ich in ‚Tuesday’s Dead‘ gesungen habe: „Pick up a good book“, nimm ein gutes Buch in die Hand. Ich bin sehr froh, dass ich da nicht ,the book‘ geschrieben, dass ich mich nicht festgelegt habe. Es ist egal, welches Buch dich zur Weisheit bringt“.
Islam wurde Präsident der Islamic Association of North London und reiste im ersten Golfkrieg in den Irak, um muslimische Geiseln mit britischem Pass rauszuhauen – mit Erfolg. Er klagte gegen die „Irish Times“, die ihm die Veruntreuung von 80.000 Pfund vorwarf- mit Erfolg. Er klagte gegen das Magazin „Private Eye“, das ihn beschuldigte, Geld für Al-Quaida gesammelt zu haben – mit Erfolg. Und immer wieder erscheinen Hit-Sammlungen -mit Erfolg. Seit 1995 arbeitet er wieder im Studio, nimmt für sein Label „Mountain Of Light“ Spoken-World-Platten und geistliche Musik auf- eher beiläufig.
Sei t aber sein Sohn Mohammed seine ersten Songs geschrieben hat, hört er sogar wieder Rockmusik: „Ich höre gerne Travis oder Coldplay. Und die Fläming Lips! Ganz großartig, eine unglaublich interessante Band. Kürzlich erst mussten siezugeben, dass sie für den Song .Fight Test’auf dem Album YOSHIMIBATTLESTHEPINK ROBOTS die Melodie von .Father And Son’geklaut haben“. Es amüsiert ihn eher, als dass es ihn empörte: „Mir wäre das egal gewesen, aber die Plattenfirma reagierte gereizt. Ich fand’s fantastisch, ich liebe das Lied. Wenn es um geistiges Eigentumgeht, wird es schwierig, weiljedervonjedem borgt. Das ist auch nicht mehr mein Leben „, sagt er, blickt versonnen aus dem Fenster und schweigt.
Und schweigt. Und schweigt. Und erweist sich als einer der wenigen Musiker, bei denen längliche Gesprächspausen nicht peinlich sind. Bis er daran erinnert, dass er ja gar kein Musiker mehr sei: „Ich hatte viele Freunde, die nicht unbedingt Showbiztypen waren – aber ich saß dennoch in dieser Kapsel, die es mir unmöglich machte, mit meinem gewöhnlichen, echten, wiesoll ich sagen… mit meinem unprätentiösen Selbst in Kontakt zu treten“. Keinen Gedanken verschwendet er daran, in einer Reihe mit Paul Simon, Randy Newman, John Lennon, Johnny Cash, Van Morrison oder wenigstens Leonard Cohen genannt zu werden – trotz seiner zahllosen Nummer-1-Hits. Es ist ihm sogar egal, wenn man ihn mit Donovan in einen Topf wirft. Es ist nicht mehr sein Leben. Jim Morrison hat sich fett gesoffen und ins Grab gekokst. Nick Drake ist auf seinem Pariser Hausboot auf die rosafarbene Seite des Mondes hinübergedämmert. Und Kurt Cobain ist sich irgendwann so sehr selbst auf die Nerven gegangen, dass er sich diese Flinte in den Mund steckte. Cat Stevens fand einen anderen Ausgang. Vielleicht ist er deshalb unter allen Pop-Ikonen die uncoolste.
Der Fahrer ruft nach hinten, gleich waren wir da. Islam lacht, beugt sich vor und sagt: „Vorsicht, die letzten Meter sind immer am Gefährlichsten! Ein guter Rat, den mir mal eine schwedische Freundin gegeben hat, vor langer Zeit. Sie sagte: ‚Achte auf die letzte Stufe – sie ist immer gefährlicher als alle anderen‘. Eine große Weisheit…“. Diese „schwedische Freundin“ war das Supermodel Patti d’Arbanville. Eine Geliebte von Stephen Demetri Georgiou, wie er ja eigentlich heißt, die für Cat Stevens ein Welthit namens „Lady d’Arbanville“ war und heute eine gute Ratgeberin von Yusuf Islam ist.
Dann steigt er aus und hat sich mit einem ungewöhnlich warmen, langen und verbindlichen Händedruck verabschiedet. Vielleicht ist Yusuf Islam heute der einzige Mensch, der Cat Stevens jemals so richtig gut fand – und trotzdem seinen Frieden mit ihm gemacht hat. Ein Idol wird dieser Mann nie mehr sein. Späte Ehre würde er gar nicht bemerken, selbst wenn sie ihm ins Gesicht spränge. Yusuf Islam ist ein glücklicher Mensch. Noch. Vergangenen Monat waren auf dem Titel dieser Zeitschrift die Strokes abgebildet. Gitarrist Albert Hammond jr. trägt darauf ein T-Shirt. Das sollte man sich vielleicht mal ganz genau anschauen, bevor man dem kollektiven Gedächtnis des Pop Vergesslichkeit vorwirft.