Pop x Politik

Status: Es ist kompliziert


Der deutsche Pop und sein Verhältnis zu Politik und Gesellschaft. Ein Essay zur Bundestagswahl 2017.

Kurz vor der Bundestagswahl 2017 wollten wir wissen: Wie viel sagt die Musik über das Land aus, in dem sie entsteht? Wie politisch ist deutscher Pop kurz vor der Bundestagswahl und zwei Jahre nach „Wir schaffen das“? In einer Zeit, die geprägt ist von einer Rückkehr in nationalstaatliches Denken, von Europakrise, islamistischem Terror, Klimawandel und zunehmender gesellschaftlicher Spaltung. Also haben wir Fragebögen an 150 deutsche Künstler und Künstlerinnen verschickt.

Smudo (Die Fantastischen Vier) vor der Bundestagswahl 2017: „Rap und Hip-Hop hatten für mich etwas Befreiendes“
Als Jan Böhmermann im Frühjahr seine zum Zeitpunkt der Niederschrift 1,7 Millionen Mal angeklickte Kritik an „Max Giesinger und der deutschen Industriemusik“ formulierte, ging es dem popkulturell bewanderten Satiriker in erster Linie um industriell gefertigte Popmusik für die Charts und um das System „Echo“. Die politische Komponente seiner in der Reihe „Eier aus Stahl“ platzierten Beobachtungen war nur ein Nebeneffekt. Aber einer, der es in sich hatte: Böhmermann attestierte den sogenannten neuen deutschen Pop-Poeten wie Max Giesinger, Tim Bendzko und Andreas Bourani völlig zu Recht eine nur oberflächig camouflierte Rückkehr in die eskapistische Welt des Weitermach- und Verdrängungsschlagers der Nachkriegszeit. Damit hat Böhmermann eine Debatte angestoßen: Sollte Pop politisch und gesellschaftlich Haltung einnehmen oder darf er auch „einfach nur unterhalten“?

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Deutscher Text = Schlager?

Nun soll es in diesem Text weniger um eine formelle, sondern vielmehr um eine rein inhaltliche Analyse gehen. Ausnahmsweise ist es uns einmal egal, welche Art von Musik die hier besprochenen Personen machen. Zumal Pop mit deutschen Texten ja automatisch schnell als Schlager wahrgenommen wird. Den Vorwurf mussten sich sogar Blumfeld gefallen lassen. Deutschland ist immer noch nicht England und wird das auch niemals sein. Uns interessiert genreübergreifend, worüber junge und alte deutsche Musikerinnen und Musiker aus allen Bereichen singen und inwiefern sie sich damit in ein Verhältnis zu Politik und Gesellschaft setzen.

150 Fragebögen, 29 Antworten

Wir haben dafür Fragebögen an insgesamt 150 deutsche Musikgrößen verschickt. Sie sollten uns beantworten, ob sie sich als politisch verstehen. Warum sie politische Songs schreiben oder darauf verzichten. Ob politische Songs eine Wirkung haben. Ob sie sich durch die Entwicklungen der letzten Zeit herausgefordert fühlen, sich politisch zu äußern.

Eins gleich vorweg: Aus den Antworten der teilnehmenden Musikerinnen und Musiker ergibt sich kein signifikantes Bild, denn die meisten haben gar nicht erst mitgemacht. Von 150 Fragebögen kamen 29 ausgefüllt zurück. Aber auch wenn die Ergebnisse nicht repräsentativ sind, lässt sich aus ihnen Einiges ableiten. Ein Portfolio politischer Befindlichkeiten im Pop-Deutschland des Jahres 2017, an dessen Zustandekommen sich unter anderem folgende Leute beteiligt haben: Die Fantastischen Vier, Clueso, Max Prosa, Die Sterne, Silbermond, Kool Savas, Milky Chance und Slime. Neben den sogenannten üblichen Verdächtigen also durchaus auch Künstlerinnen und Künstler, die man nicht automatisch mit dem Musikexpress assoziieren würde.

Echo 2017: Vox, wir müssen reden!
Keine Antwort kam von Leuten wie Roland Kaiser, Andrea Berg, Bushido, Marius Müller-Westernhagen, The Boss Hoss und Sido, der ausrichten ließ, er beantworte „grundsätzlich keine politischen Anfragen“. Eins ist allerdings klar: Wer nichts sagt, sagt auch etwas. Insofern waren einige Absagen durchaus politisch motiviert, wenn auch auf andere Weise, als von uns impliziert. Sie kamen auch von Leuten, die sich vom Musikexpress in der Vergangenheit schlecht behandelt fühlten und die sich wundern, dass wir nun plötzlich ihre politische Meinung abfragen, aber niemals über ihre Alben berichten, und wenn, dann nichts Gutes. Fair enough, wir verstehen das. Dass ausgerechnet Helene Fischer nicht mitgemacht hat, finden wir dennoch schade.