Def Leppard – Fluch der Perfektion


Fünf Jahre brauchten sie, um sich auf einen Nachfolger ihres LP-Knüllers PYROMANIA zu einigen. Und mußten dabei feststellen, daß es ohne den Perfektionismus ihres langjährigen "Murr" Lange nicht geht. Sanger Joe Elliott schilderte ME/Sounds-Redakteur Andreas Kraatz das Dilemma.

Fünf junge Briten, die im Juli 1978 ihren ersten Gig mit Ach und Krach über die Bühne brachten, gaben fünf Jahre später der weltweiten Konkurrenz das Nachsehen. PYROMANIA, so der Titel des dritten Albums, schlug ein wie eine Bombe. Die Charts standen Kopf. Nicht die Arrivierten des gemäßigten Rock-Genres hatten plötzlich das Sagen, nein, ein bis dahin weitgehend unbeschriebenes Blatt lehrte die Journeys, Survivors und andere Mittelschwergewichte das Fürchten. Ein musikalischer Flächenbrand überzog die Staaten, dann auch den Rest der Welt. Acht Millionen Mal ging PYROMANIA über den Ladentisch und hievte damit die Leppards auf den Thron des harten Pop-Rock.

Entsprechend hoch, um nicht zu sagen überzogen, waren denn auch die Erwartungen bezüglich des Nachfolgers. „Wir wußten natürlich darum, doch das hat uns nicht sonderlich berührt,“ meint Sänger Joe Elliott lapidar. “ Klar, wir hätten locker ein PYROMANIA 2 rausrotzen können. Das war nicht der Punkt. Wir wollten aber nun mal was völlig Neues machen. Doch wir standen vor einer verschlossenen Tür und suchten angestrengt nach dem richtigen Schlüssel. Es hat letztlich viel Zeit gekostet, bis wir den Dreh raushatten.“

Seine Worte in Ehren, doch Tatsache ist, daß ihre kometenhafte Karriere über Nacht unter einem zweifelhaften Stern stand. Im Dezember 1984 setzt man Produzent Jim Steinman kurzerhand vor die Studiotür und löscht sämtliche Aufnahmen; zwei Wochen später verliert Schlagzeuger Rick Allen bei einem Autounfall seinen linken Arm. Das Chaos ist perfekt.

In dieser Situation hilft nur einer: Produzent Robert „Mutt“ Lange, ein experimentierfreudiger Spezialist für grandiose Sound-Landschaften, der nicht nur AC/DC, The Cars und Foreigner auf Platin-Kurs brachte, sondern auch Leppards Zweite, PYROMANIA und ab Juni ’85 schließlich auch HYSTERIA betreute.

Nach fünfjähriger Pause st das Boot von Joe Elott (M.) und seinen Mannen wieder flott. Der heimliche sechste Mann, Produzent „Mutt“ Lange, hält sich im Hintergrund.

Die Ausbeute kann sich hören lassen. Und nicht nur das. Während Bon Jovi und Europe zwischenzeitlich flugs auf ihren Karren sprangen und sie zeitweise gar vergessen ließen, haben Joe, Steve Clark, Rick Savage, Phil Collen und Rick Allen mit HYSTERIA noch einmal den Kopf aus der Schlinge ziehen können. Aber für welchen Preis?

Über „eine Million englische Pfund“, also umgerechnet mehr als drei Millionen Deutschmarks, hat die Produktion gekostet. „Das konnten wir uns natürlich nur vor dem Hintergrund des millionenfachen Erfolgs von PYROMANIA leisten. So was geht ein Mal im Leben! Falls es noch mal der Fall sein wird, müßten wir beim Arbeitsamt vorsprechen.“

Scherz beiseite, längst hat das Diktum der Superlative auch den Hard- und Heavy Rock erreicht. Immer besser, immer perfekter heißt zugleich auch: ohne modernste Studiotechnik und einen damit vertrauten Produzenten geht nichts mehr. Das wissen Elliott & Co. nur allzu gut. Schließlich bezeichnen Lästermäuler Def Leppard nicht von ungefähr als „Produzenten-Band“.

„Der Vorwurf ist mir bekannt“, reagiert Joe gelassen. „Doch er trifft nicht zu. Wahr ist vielmehr: Wir haben die ersten beiden Alben ganz allein geschrieben. Erst bei PYROMANIA hat sich .Mutf auch als Co-Writer betätigt. Andererseits: Ohne uns hätte ,Mutt‘ niemals solche Alben wie HIGH ‚N‘ DRY, PYROMANIA und jetzt HYSTERIA machen können. Es ist gewiß keine Schande zuzugeben, daß man Hilfe braucht, einen Außenstehenden, der übers Dach des Studios schaut und das Ziel im Auge behält.

All die Bands, die über uns herfallen und behaupten: Def Leppard sind ja ganz gut, aber was wären sie ohne ,Mutt‘?, gäben in Wirklichkeit ihr letztes Hemd, um von ihm produziert zu werden.“

Renommee hin, Produzent her, der Punkt ist: Besagter „Mutt“ Lange teilt sich nicht nur die Credits für sämtliche 13 Songs mit der Band, er hat ihnen darüber hinaus auch noch einen zeitlosen musikalischen Maßanzug geschneidert. Er ist einer der wenigen, der leichten Pop und harten Rock auf einen harmonischen und zukunftsträchtigen Nenner bringt.

Die Abhängigkeit von ihrem Produzenten hat allerdings auch gravierende Nachteile. Denn auf der Bühne erweisen sich Def Leppard immer noch als eine Band, die sich fast schon sklavisch an die Vorgaben der Alben hält. Sie spielen gerade so, als habe der allmächtige Robert „Mutt“ Lange ihnen befohlen, auch nicht einen Fußbreit vom Pfad der Perfektion abzuweichen.