David Lynch: Wild at Heart and Weird on Top
David Lynch: der Chronist unserer abgründigsten Begierden. Ein Nachruf.
Niemand macht Filme, in denen das Schwarz schwärzer sein könnte als in den Filmen von David Lynch. Sein Schwarz ist ein Schwarz, das unergründlich ist, in dem es arbeitet, das einen zu verschlingen droht, in dem man Dinge zu entdecken glaubt, wenn man nur immer noch genauer hinschaut.
In „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“ lässt Lynch es bisweilen mehr als die Hälfte der Leinwand einnehmen. Im Hintergrund rumort es auf dem Soundtrack. Wenn man hineinblickt in sein Schwarz, dann blickt es zurück. You want it darker, sang Leonard Cohen. Halte mein Bier, sagt David Lynch. Den Albtraum im Traum zu finden, die Finsternis in der grellen Sonne, den Abgrund in der Idylle, Obhut in der Absenz des Lichts, das war die Lebensaufgabe des amerikanischen Filmemachers und Künstlers David Lynch, der am 16. Januar im Alter von 78 Jahren gestorben ist, sehenden Auges und nach längerer Krankheit, der er mit dem schelmischen Humor begegnete, die all seine Arbeiten auszeichnet, so abgründig und pervers sie auch gewesen sein mochten.
Chronist unserer abgründigsten Begierden
Wofür man David Lynch am meisten feiert, hängt ein bisschen damit zusammen, wann man mit ihm in Berührung kam, ob man am Altar von „Blue Velvet“, „Twin Peaks“ oder „Mulholland Drive“ betet, seinen drei Meisterwerken, oder vielleicht doch „Eraserheaed“ „Wild at Heart“, „Lost Highway“, „The Straight Story“ oder gar „Inland Empire“, vermeintlich mindere Arbeiten, aber allesamt durch und durch Lynch. Erinnert werden sollte er für seine Originalität, für seine Eigenwilligkeit, sein komplettes Desinteresse daran, irgendetwas anders sein zu wollen, als David Lynch, dieser Chronist unserer abgründigsten Begierden, dieser Sichtbarmacher von Traumwelten, die sich manchmal zu einem stringenten Ganzen zusammenfügen, manchmal im Raum hängenbleiben, ohne sich zu erklären oder eine Auflösung anzubieten. Muss auch nicht.
Das lässt sich gut festmachen an dem Großwerk, das den meisten einfallen wird, wenn sie seinen Namen hören. „Twin Peaks“, die Serie, die das Fernsehen revolutioniert hat, die möglich gemacht hat, was man heute als „Serienboom“ bezeichnet, und die ihn selbst nicht losgelassen hat, zu der er wiederholt zurückkehrte. Heute kann man es sich nicht erklären, dass ausgerechnet diese abseitige Serie, die Lynch gemeinsam mit Mark Frost aus der Taufe gehoben hatte, mit dem grausamen Mysterium in seiner Mitte, wer Laura Palmer getötet haben könnte, ganz Fernseh-Amerika versammelte, der letzte echte Straßenfeger.
Damn good coffee!
Verblüfft war man darüber schon damals. Und konnte dann nicht mehr aufhören zuzusehen, bis man irgendwann feststellte, dass die Serie nirgendwohin führte. Aber vielleicht war genau das ihr Sinn, abgesehen von Unmengen von schwarzen Kaffee, die Agent Dale Cooper, gespielt von Lynchs Alter ego Kyle MacLachlan, konsumierte. „Damn good coffee!“ wurde zum geflügelten Wort. Dabei ist der Schlüsselsatz ein anderer: I have no idea where this will lead us, but I have a definite feeling it will be a place both wonderful and strange.
Diese Suche nach dem Wundervollen und Merkwürdigen kennzeichnet die gesamte Karriere von David Lynch, der zwar in Missoula, Montana geboren wurde, den man sich aber eigentlich nur als Produkt von Los Angeles vorstellen kann, wo er das American Film Institute besuchte und seinen ersten, auch fast 50 Jahre später immer noch zutiefst beunruhigenden Film „Eraserhead“ drehte, eine No-Budget-Underground-Produktion in Schwarzweiß, die alle Obsessionen und Eigenwilligkeiten des Werks von Lynch andeutete, ein Film, der auf einem eigenen Planeten entstanden zu sein und zu existieren scheint.
Davor und danach gibt es nichts Vergleichbares. Selbst Punk Rock verneigte sich vor dieser zeitlos entrückten Merkwürdigkeit: „You bawl like the baby in Eraserhead“, singt Jello Biafra in „Too Drunk to Fuck“. Lynch war da längst schon einen Schritt weiter, wollte seinem Achtungserfolg „Der Elefantenmensch“ mit seiner Verfilmung von „Dune“ ein Großwerk folgen lassen, dessen endlose Kämpfe und Auseinandersetzungen mit den Produzenten ihn aber zermürbten und zermalmten, um am Ende mit einem Film dazustehen, der nichts Halbes ist und nichts Ganzes. Und dem man, schlimmer noch, ansieht, was er auch hätte sein können, wenn man den Regisseur nur hätte machen lassen.
Meister des Unbegreiflichen und Unfassbaren
Rückblickend war das Desaster ein Glücksfall. Es rückte David Lynch den Kopf gerade und bestärkte ihn in dem Beschluss, künftig nur noch an Projekten zu arbeiten, über die er die volle Kontrolle hatte, auch wenn das bedeutete, dass sie kleiner sein mussten – und damit auch persönlicher sein konnten, Ausdrücke seiner Individualität. So konnte „Blue Velvet“ entstehen, der Film, in dem sich all die Themen und visuellen Motive manifestierten und frei entfalten konnten, mit denen man diesen sonderlichen und all seiner Marotten und Obsessionen zum Trotz intrinsisch sympathischen Meister des Unbegreiflichen und Unfassbaren (im Wortsinne) heute identifiziert.
Der Schrecken steckt im Licht, in der heilen Welt, in den weißen Zäunen und gepflegten Gärten der Vorstädte. Das idealisierte Amerika der Nachkriegszeit, seine Unschuld selbst, sind der wahre Hort des Schreckens, Quell unausgesprochener Leidenschaften: Ameisen laben sich an einem abgeschnittenen Ohr. Am Ende des Abstiegs in den Abgrund wartet dann Frank Booth, gespielt von Dennis Hopper, das größte Monster der Filmgeschichte: Baby wants to fuck! Dazu spielt Doo-Wop-Musik und schließlich dann „In Dreams“ von Roy Orbison, dessen Stimme klingt, als wäre sie selbst mit blauem Samt ausgeschlagen, hier aber interpretiert wie durch einen Zerrspiegel von Dean Stockwell, der aussieht wie der Tod.
Verquickung von transgressivem Sex und Gewalt
„Blue Velvet“ stammt von 1986. „You put your disease in me“, sagt Isabella Rossellini zu Kyle MacLachlan. David Lynch hat es immer verneint, aber es ist der erste Film, der den Schrecken von Aids in seinen Bildern verinnerlicht. Es ist ein Film, der für Begeisterung sorgte. Und für Empörung, schimpfende Menschen, denen die Verquickung von transgressivem Sex und Gewalt gerade vor den vermeintlich blitzsauberen Bildern eines Amerika wie von der Postkarte zu viel war. In seinem legendären Verriss schreibt Kritikerpapst Roger Ebert: „,Blue Velvet‘ ist wie der Kerl, der einen in den Wahnsinn treibt, indem er eine Schreckensnachricht andeutet und dann sagt: ,Vergiss es, nicht so wild.‘“
Was danach kommt, auch „Twin Peaks“, alles sind Variationen von „Blue Velvet“. Die unschuldigen Liebhaber auf der Flucht, man findet sie in „Wild at Heart“, dem Film mit Nicolas Cage in der Schlangenlederjacke von Marlon Brando („Ein Symbol meiner Individualität und meines Glaubens an persönliche Freiheit“), der in Cannes die Goldene Palme gewinnt. Irgendwann fliegt Willem Dafoe die Schädeldecke weg. Und Laura Dern sagt stellvertretend für alle unschuldigen Blondinen im Oeuvre Lynchs: „This whole world’s wild at heart and weird on top!“.
Die verderbte Schwarzhaarige, die unschuldige Blonde
Da sagt sie was. Lynch nimmt sie wörtlich und lässt nach einer Auszeit nach „Twin Peaks“ mit „Lost Highway“ („Dick Laurent is dead“) und „Mulholland Drive“ zwei Noirs folgen, die unheilvoller und sinistrer sind als alles andere, was David Lynch jemals gemacht hat, aber auch undurchdringlicher, aufreizend unerklärlich und rätselhaft. „Mulholland Drive“ bringt noch einmal alles auf den Punkt, was „Blue Velvet“ angerissen hatte: die verderbte Schwarzhaarige, die unschuldige Blonde, und dann ist es doch noch einmal völlig anders in diesem Film, der Hollywood ein Denkmal setzt, als wolle David Lynch einem James Ellroy zeigen, dass er das Hausrecht besitzt, die Stadt der Engel blutrot zu streichen. Zwischendrin gibt es „The Straight Story“, der so normal ist, so sanft, so liebevoll und zart, dass man es nicht fassen kann, wenn hinter jeder neuen Biegung, die der alte Richard Farnsworth auf seinem Rasenmäher im Schneckentempo macht auf dem Weg zu seinem Bruder, um den er sich sorgt, doch nur immer noch mehr Normalität wartet.
Da ist eine fortwährende Sehnsucht nach Normalität, die sich durch das Schaffen von David Lynch zieht, auch wenn seine Arbeiten alles andere als normal sind, was auf nichts mehr zutrifft als seinen letzten Film, „Inland Empire“, und eine weitere „Twin Peaks“-Serie, umgeben von zahllosen Snippets und Petitessen, meist auf Video gedreht, Ausdruck eines wachen Geistes, der immer nur kreativ sein will.
Lynchs erklärter Lieblingsfilm ist „The Wizard of Oz“. Alle seine Arbeiten sind durchzogen von Verweisen, Zitaten, Variationen. Er selbst ist Dorothy, seine Reise als amerikanischer Künstler zieht sich entlang der „yellow brick road“ vorbei an einer Welt der Wunder. Nicht alle sind schön. Die meisten sind schrecklich. 2019 erhält er den Ehrenoscar. Wenn man sich die Clips ansieht, ist man gerührt davon, dass er selbst so genuin gerührt davon zu sein scheint.
Seinen letzten Auftritt auf der Leinwand hat David Lynch 2022. Steven Spielberg besetzt ihn in einem Gastauftritt als John Ford, den größten aller amerikanischen Filmemacher, den Spielberg als junger Regisseur selbst getroffen hatte und der ihm einen wertvollen Rat mit auf den Weg gibt: „When the horizon’s at the bottom, it’s interesting. When the horizon’s at the top, it’s interesting. When the horizon’s in the middle, it’s boring as shit. Now, good luck to you. And get the fuck out of my office!“
Danke für die Filme, danke für die Albträume, danke für den Horizont, den Sie erweitert haben und der nie in der Mitte war. Damn good coffee! Safe travels, Mister Lynch.