Das weibliche Prinzip


Mit ihrem neuen Album thecrying licht haben Antony &The Johnsons Großes vor: Sie Mit ihrem neuen Album The Crying Light haben Antony & The Johnsons Großes vor: Sie wollen die Umwelt und die Männer retten. Mithilfe mütterlicher Instinkte.

Bill Callahan, ein großer Mann mit einer gewissen Neigung zu großen Worten, hat es in einem Song seiner Band Smog einmal so ausgedrückt: „Sometimes Ifeel like I am the mother ofthe earth“. Was für ein größenwahnsinniger und rührender Gedanke. Bedauerlicherweise fällt einem diese Songzeile erst nach dem Interview mit Antony Hegarty ein. Dabei enthält sie auf beinahe gespenstische Weise genau das, worüber man fast eine Stunde mit dem 37-Jährigen gesprochen hat: über die Natur, den Kreislauf des Lebens und vor allem: das weibliche Prinzip.

Anlass für das Treffen des ME mit dem Mercury-Prize-Gewinner von 2005 (für 1 am a bird now) ist das neue Antony-&-The-Johnsons-Album the crying light. Antony selbst hat es produziert, hat die sehr sparsame Instrumentierung des Vorgängers aus Piano und Gesang erweitert um Harfen, Streicher und Bläser und vereinzelte Drums. Die zehn Stücke klingen insgesamt orchestraler, raumgreifender und, wenn man so will, noch pathetischer. Im vergangenen Dezember gaben Antony & The Johnsons bereits mehrere Konzerte mit Orchesterunterstützung, darunter zwei umjubelte Konzerte in London (siehe ME 1/2009).

Es soll ja Menschen geben, die keinen Song von Antony hören können, ohne dass ihnen Tränensturzbäche die Wangen herunterfließen. Man darf diese Menschen beruhigen, sind sie doch in bester Gesellschaft. Antony zu hören, ist so, als würde man zum allerersten Mal Elvis hören „, geriet etwa Laurie Anderson außer sich. Dem nicht gerade als Sensibelchen verschrieenen Lou Reed erschienen ob Antonys Musik gar Engel. Doch es geht noch hysterischer: Ein britischer Journalist schrieb jüngst: „Wenn Delphine singen könnten, sie würden sich anhören wie Antony.“

Derso Bejubelte lacht ein tiefes und lautes Lachen. „Dos

hat mir sehr gefallen. Ich dachte: Endlich hat mal jemand kapiert, worum es mir geht. Es ist nämlich so: Wenn ich auf der Bühne stehe, stelle ich mir oft vor, dass Tiere aus meinem Körper fliegen. Das ist so eine Butoh-Sache. Beim Butohgeht es ja im Kern darum, dass alles möglich ist, was du dir in deiner Fantasie ausmalst. Das hat meinen kreativen Prozess sehr beeinflusst. Ich habe viel davon gelernt.“

Auf dem Cover der Ende 2007 erschienenen 5-Song-EP „Another World“ ist dann auch mit Kazuo Ohno einer der Begründer der in Japan in den 6oer-Jahren entstandenen Tanzkunst zu sehen:

mit schwarzem Kleid, langen Spitzenhandschuhen, Schleierhut und weiß geschminktem Gesicht. Zum Termin mit Antony im 5-Sterne-Hotel mit Alsterblick ist man selbstredend so erschienen, wie es einer Mischung aus Elvis, Engel und elegantem Wasserwesen gebührt. Besonders die Umhängetasche mit dem Goldfasan auf purpurnem Samtstoff hat es dem „Bird Gehrl“ angetan („Oh, wie wunderschön!“). Er selbst sieht in seinem Lagen-Look – weite, fließende Stoffe aus gedecktem Grau und Schwarz, zwei feine Goldketten – aus wie die Mischung aus einer orientalischen Magierin und dem Bären Balou. Antony könnte so auf die Bühne gehen, wenn er denn wollte.

Aber wir sind ja gekommen, um zu reden. Über the crying light. Es ist Antonys Umweltschutz-Album. Die Kernaussage: Wir zerstören die Erde, dabei hält sie uns am Leben. Wir sind entfremdete, materialistische Idioten, die sich ihr eigenes Grab schaufeln. Aber: Antony ist keiner, der sich in Weltuntergangsszenarien suhlt. Er schlüpft eher in die Rolle der warmherzigen Mutter, die sich um ihr Kind sorgt. Und schon sind wir mitten im Thema, zu dem das Gespräch immer wieder zurückkehren wird: das weibliche Prinzip.

„Das Thema, das alle Songs vereint, ist der Gedanke, dass alle Natur heilig und weiblich ist Ich glaube wirklich daran, dass es das weibliche Prinzip sein wird, das uns sicher durch all das führt. Weil dadurch die Verbindung zu allen Dingen erlebbar wird. Das weibliche Prinzip ist ein Impuls in allen von uns, Frauen wie Männern, wodurch wir anfangen können, eine gesündere und nachhaltigere Umwelt für uns zu schaffen. Eine Umwelt, die nicht durch irgendwelche religiösen oder politischen Doktrinen bestimmt wird, sondern durch einen natürlichen Kreislauf, erklärt Antony. „Je älter ich werde, umso sicherer fühle ich mich, das so zu artikulieren. Ich bin katholisch erzogen worden, und die Katholiken haben eine Menge seltsame Ansichten. Diese ganzen Dinge, die man uns erzählt hat, als wir klein waren: über die Trennung von Natur und Zivilisation, darüber, dass das Paradies ein Ort ist, den wir erst nach dem Tod erreichen können, die vermeintliche Herrschaft des Menschen über die Natur. All dieser Kram, dieser ganze Müll hat dazu geführt, dass wir heute kurz davor stehen, unser Lebenserhaltungssystem zu sabotieren. Weil wir glauben, dass wir über allem stehen. Das ist so, als würde ich behaupten, ich brauchte keine Luft zum Atmen. Dabei werde ich immer mit der Natur verbunden sein. Ich binzugroßen Teilen ausdenselben Elementen gemacht wie sie. Ich kann mich nicht abgetrennt davon betrachten, und doch behandeln viele Menschen die Natur, als sei sie irgendetwas Abstraktes.“

„Another World“ – die erste Single und das Titelstück der 2007 erschienen EP – ist Antonys letztes Geleit für den in mehrfacher Hinsicht versunkenen Planeten, die bange Ballade eines Unbehausten: I need another place, will there be peace? / I need another world, this one’s nearly gone / I’m gonna miss the sea / I’m gonna miss the snow / I’m gonna miss the bees /I’ll miss the things that grow. „Nach der Veröffentlichung dieses Songs habe ich zum ersten Mal Briefe bekommen, in denen ich gefragt wurde, ob mit mir alles ok ist“, erzählt Antony und guckt aus dem Fenster. „Ja, mir geht’s gut. Es ging mir nicht darum, Hilflosigkeit zu zeigen. Ich wollte in so einfachen Worten wie möglich beschreiben, wie ich mich fühle, wenn ich mir die Welt anschaue und die Art und Weise, wie sich alles verändert.“

Wie ein roter Faden zieht sich die Suche nach einem Ort, an dem man Frieden findet, durch die Texte von the crying light. „Dahintersteckt die Idee, sich in einen sicheren Kreis zu begeben, einen Schutzraum zu finden, in dem der Geist hervortreten kann, man seinen Panzer abwirft und vollen Herzens leben kann. Das ist auch eingroßes Thema des Stückes .Everglade‘: Es geht um die Idee des Paradieses, des Gartens Eden und davon, die Mauer einzureißen, die uns von unseren eigenen Empfindungen und Sinnen trennt“, sagt Antony. Dabei müsse dieser Ort nicht zwingend New York, Berlin, die eigene Wohnung oder irgendein anderer Platz sein, den man auf einem Stadtplan einzeichnen kann. Es kann vielmehr auch das innere Zuhause sein, so Antony:, fliese Dinge laufen parallel: das Gefühl, präsent in der Welt zu sein und sich mit sich selbst wohlzufühlen. Das ist das ganze Spektrum. Darum kehre ich auch immer wieder zum Eltern-Kind-Thema zurück. In meiner Vorstellungfühle ich mich als Kind der Erde. Und darumgeht es auch in ,Jeon“- es ist ein Song über ein Kind, das sich um seinen Vater kümmert. Es tröstet die männliche Seele, die so oft nicht versteht. Auf eine Weise zeigt diese Art zu denken einen Teil meiner eigenen Gebrochenheit.“

Machen Wir Uns keine Illusionen. Der reflektierte Mann, der seine weibliche Seite nicht nur kennt, sondern sie offensiv nach außen trägt, womöglich sogar auf offener Straße spontan in Tränen

ausbncht, ist weiterhin eine seltene Spezies, die vorrangig in der Kunst-, Kultur- und Musikszene gedeiht – einem jener Schutzräume, von denen Antony zuvor sprach. „Das ist ein weiteres Thema des Albums: Der männliche Archetypus in unserer Gesellschaft ist sofaisch, es ist komplett verrückt. Er benimmt sich immernoch wie ein Höhlenmensch, der mit der Fackel in der Handjeden umbringt, der sich nähert. Er versucht, etwas zu schützen, das er gleichzeitig unterdrückt. Als jemand, der eine große Verbindung mit seinen weiblichen Prinzipien spürt, möchte ich ihn lieben und ihm sagen, dass er geliebt wird, so dass er zurückfindet zu seiner weiblichen Seite.“ Oder wie es im hellen, geradezu optimistischen „Kiss My Name“ heißt: Oh Mama Kiss my name / I am trying to be sane / I’m trying to kiss my friends / And when broken, make amends.

Auch wenn er anfangs behauptet hat, er sei „ein Polarbär“, der die Kälte liebt – im Hotelzimmer ist das leise, mechanische Surren der Klimaanlage zu hören, während die Menschen draußen mit dicken Wollmützen und Schals herumlaufen -, beginnt man im Fortlauf des Gesprächs zu ahnen, was Scott Matthew und Joan Wasser (Joan As Police Woman) meinten, als sie einem erzählten, dass Antony „wie eine nährende Amme“ für seine Umgebung sei. Er macht es einem leicht, sich in seiner Gegenwart wohlzufühlen – wohlgemerkt, wir sprechen hier nicht von einem netten Plausch mit Freunden, sondern dem oftmals ungeliebten Job, wildfremde Journalisten zu treffen und deren dumme Fragen zu beantworten. Die haben wir natürlich zu Hause gelassen – er dankt es uns mit aufmerksamen, freundlichen Blicken und offenen Antworten. Und mauert auch dann nicht, wenn es ans Eingemachte, sprich: seine Sexualität, geht.

„Ich bin transsexuell, das heißt, meine Beziehung zu Männern war schon immer sehr… interessant. Es gibt da immer wieder den einen oder anderen, und es gibt Verständnis und Missverständnisse … Letztlich projiziere ich mit meiner Musik und meinen Songs meine inneren Prozesse auf die Welt da draußen. Aber das ist auch unser Job als Transsexuelle. Wir sollten genau das machen.“ (lacht) In einem anderen Interview hatte er auf die Frage, welche Qualitäten und Charaktereigenschaften er bei einem Mann suche, lakonisch geantwortet: „ZweiBeine – aber wenn er ein hübsches Gesicht hat, dann langt auch eins.“

Antonys Faszination für feminine Männerbegann im

Alter von elf Jahren, als er Boy George auf dem Cover des ersten Culture-Club-Albums kissing to be clever sah. „Ich erinnere mich genau daran, dass ich oft stundenlang sein Foto angestarrt habe“, erzählt er, „ich war im positiven Sinn geschockt. Ich habe damals an einer Talentshow in unserer Schule teilgenommen, die Haare zu Zöpfen geflochten, so wie er, und dann habe ich vor all meinen Mitschülern, die mich nicht mochten, weil ich so anders war als sie, ,Do you really want to hurt me? ‚gesungen. Für mich war Boy George wie ein Stern am Firmament – ein Stern, dem ich folgen konnte. Als ich ihn sah, wusste ich, dass ich doch eine Chance habe, durchzukommen. Und auch wenn er sehr lebensklug war, strahlte er doch so eine große Unschuld aus mit seiner weiblichen Art. Er hatte sich auch nicht wirklich Gedanken gemacht, was er repräsentieren wollte, außer, dass er seine weibliche Seite und seine Verletzlichkeit wie einen Orden trug. Das machte ihn stark.“Er habe „sehr viel geweint an dem Tag“, so Antony, an dem er gemeinsam mit seinem Idol aus Kindertagen den Song „Sister“ (2005) aufnahm. „Es war so, als würde das Kind, das ich einst war, mich besuchen kommen. Ich hatte einen Moment, an dem das Kind zurückkam – oder vielleicht habe ich in diesem Moment auch das Kind in mir wiedergefunden. In jedem Fall hat sich ein Kreis geschlossen.“

Ein Kreis, zu dem große weibliche Stimmen wie Billie Holiday, Nina Simone, Diamanda Galas und Laune Anderson ebenso zählen wie große Stimmen von femininen Männern wie Marc Almond, Rufus Wainwright und Devendra Banhart. Geht man die Liste derer durch, mit denen Antony kollaboriert hat, fragt man sich, wann er jemals zum Schlafen beziehungsweise Leben kommt: Zuletzt lieh er sehr erfolgreich dem Disco-Projekt Hercules And Love Affair seine Stimme, er ist auf dem Soundtrack des Bob-Dylan-Films „I’m Not There“ vertreten und nahm kürzlich einen Weihnachtssong auf.

„Ich lerne jedes Mül etwas, wennichmitanderenzusammen

arbeite. Der Reiz hegt dann, etwas anderes auszuprobieren und sich auf die Ideen anderer Leute einzulassen.“ Es verwundert nicht, dass Antony die Begegnung mit einer Frau wie Björk, mit der er für deren letztes Album volta zusammenarbeitete, besonders nachhaltig beeindruckt hat: „Sie ist furchtlos und entscheidet sich immer für das Unbekannte. Es ist großartig, jemandem nahezusein, wenn ersieh in diesem Prozess befindet. Bei mir ist das nämlich genau andersherum: Ich setze eher auf Sicherheit. Sie hat mich wirklich herausgefordert und mich dazugebracht, über meine Erwartungen hinauszugehen. Ich erzähle dir dazu eine kleine Geschichte: In einer Nacht waren wir am Strand, als Björk plötzlich ins Meer rennt. Ich sage zu einer Freundin: ,Das ist doch gefährlich! Jemand sollte ihr sagen, dass sie zu weit rausschwimmt!‘ Und die an twortet: ,Kein Ding, das macht sie andauernd. Sie schwimmt so weit raus, bis sie das Land nicht mehr sieht, und wenn sie diesen Punkt erreicht hat, kommt sie zurück.‘ Und ich stand da und habe geschrien: ,Waaaas? Das ist total beängstigend!‘ Björk ist eine verdammt mutige Frau.“

Das Bild von Björk, die ins Wasser geht, ein Kind der Natur – da hat uns Antony jetzt aber doch erwischt. Mit der Natur fing alles an, mit der Natur endet das Interview. Kreise schließen sich. Oder wie es die große Band Mutter mit großen Worten einmal gesagt hat: Und plötzlich wird alles klar und macht endlich Sinn für dich und die Erde wird der schönste Platz im All. Was für ein größenwahnsinniger und rührender Gedanke.

www.antonyandthejohnsons.com

Albumkritik Seite 6S