Das hält doch kein Schwein aus
Was tun, wenn alle Gags verbraten und all die guten Zeiten gerollt sind? Josef Winkler zählt auf den Camel-Mann.
Bist am Chatten?“ Äh, wie bitte? „Bist am Chatten?“ Ein größerer Pulk von ohrenscheinlich Schweizern in augenscheinlich allen Altersstufen zieht an meinem Fenster vorbei, ein mutmaßlich nicht mehr vollständig nüchterner Typ hat mich mit meinem Laptop sitzen sehen und aus diesem nächtlichen Anblick den für ihn offenbar einzig naheliegenden Schluss gezogen: „Bist am Chatten?“, fragt er und glotzt mich glasig an. Nein, geschätzter Eidgenosse, ich bin nicht am Chatten, ich schreibe meine ME-Kolumne, und es geht gerade ziemlich zäh dahin. Also entweder du sagst jetzt was Lustiges, das ich als Einstieg verwenden kann oder du machst, dass du … Oh. Okay.
Es ist schon ein Elend. Da müht man, ja: bricht sich einen ab und sucht den super Einstiegsgag für eine verzweifelt eines Einstiegsgags harrende Kolumne, die sich langsam mal über das Einstiegsgags-Harren hinaus entwickeln sollte, sonst gibt’s demnächst Ärger mit der Drucklegung. Dann liegt er endlich vor einem, der Gag – und dann stellt sich beim Nachprüfen (kann es sein, dass so ein Spitzengag noch quasi jungfräulich da draußen herumfliegt?) heraus, dass der natürlich schon vor Jahrzehnten in „Spinal Tap“ verbraten worden ist. Es ist wie in dem Robbie-Williams-Lied: All the best women are married, all the handsome men are gay, und die besten Gags sind schon in „Spinal Tap“. Oder vielleicht auch im wirklichen Leben schon so oft gemacht und belacht worden, von ganz normalen Gagbürgern eben, die weder clevere Popkulturkomödien schreiben noch nach Einstiegsgags für alternde Kolumnen suchen, sondern sich einfach auch schon mal überlegt haben: Wenn es bei plötzlich früh verstorbenen Rockstars oder anderen Exzesstreibenden heißt, dieser oder jener sei „an seinem eigenen Erbrochenen erstickt“ – dann möchte man doch bittschön hoffen, dass es wenigstens das eigene Erbrochene war und nicht das von jemand anderen.
Was? Eben. Mir ging die Überlegung vorhin aus recht konkretem Anlass durch den Kopf, als ich mit meinem Kinde spielend am Boden herumrollte. Ich lag gerade auf dem Rücken und hielt sie lachend direkt über mir, als aus dem Antlitz der niedlich Kichernden plötzlich und ohne Vorwarnung ein großer Schwapps Schwappe hervorschwappte und ich gerade noch den Mund zukriegte. Ein bizarrer früher Tod blieb mir so zwar erspart, ein bisschen was kam dennoch an und ich kann verraten: Babykotze schmeckt tatsächlich süß. Lich.
Apropos. Hat jemand diesen Werbespot eines französischen Automobilkreatörs gesehen, in dem eine Blase von h&m-klamottierten, schluffibärtigen und irgendwie so total sympathisch kindsköpfigen Jungmännern in einem aerodynamischen Kleinwagen herumgurkt und „I Love Rock’n’Roll“ grölt? Erst stellen sie noch das schlafende Baby von dem einen samt Sitz raus zu Muttern und dann gehen sie so richtig ab, „weil“, so der Claim des Spots, „Väter immer Männer bleiben“. Und weil Männer in der Werberlogik natürlich immer (kaufkräftige) Kinder bleiben und – zumal im Rudel und mit einem brummenden Auto unterm Arsch -, halt einfach gern die guten Zeiten rollen lassen und „feiern“ (in seiner neudeutschen Bedeutungserweiterung bzw. -verwässerung ohnehin mein Lieblingshasswort des Jahrtausends).
Jetzt kann man sagen: Bleib locker, das ist die Wunderwelt der Werbung, da geht’s nicht um Realität, sondern um idealisierte Realität. Aber das ist nicht idealisierte Realität, das ist das idiotisierte Grausen. Vielleicht bin ich verklemmt oder verhärmt, aber sollte ich irgendwann zusammen mit meinen faustdicken Buddys mit entgleisten Gesichtszügen, einschlägig „rockig“ gestikulierend und Rock“hymnen“ röhrend in einem gelutschten Neuwagen herumcruisen, dann steht hoffentlich an der nächsten Ecke der Camel-Mann bereit, um dem Spuk mit einer gezielten Baumfällung ein Ende zu machen. Batsch. Schluss. Das hält doch kein Schwein aus.