Das ganz dicke Brett
Weezer The Apollo, Manchester
Rivers Cuomo war schon immer anders als andere. Jetzt lotst er seine Band ins Fahrwasser von Manawar.
Jeder Arzt würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Seit mehr als fünf Minuten knien Rivers Cuomo und Scott Shriner nun schon mit ihren Instrumenten vor den Verstärkern. Immer wieder überschlägt sich das Feedbackgebrüll aus Gitarre und Bass, der Lärmpegel hat selbst in den hinteren Reihen bedenkliche Ausmaße angenommen, so mancher Nerv droht sich auf Nimmerwiederhören zu verabschieden, zumindest ein ausgewachsener Tinnitus scheint unausweichlich. Cuomo und Shriner, entweder schon lange taub oder mit De-Luxe-Ohrstöpseln ausgestattet, kennen kein Pardon, reiben Gitarre und Bass weiter an den Marshalls. Das Publikum flüchtet in den Vorraum, doch selbst da ist man nicht sicher. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, dass im Apollo Theatre zu Manchester gerade der Soundtrack für die Apokalypse uraufgeführt wird.
Weezer sind nach Europa gekommen, um ihre abgesagten Herbstkonzerte nachzuholen. Genauer gesagt die Termine in Britannien, die Deutschlandshows wurden ersatzlos gestrichen. Schade. Zumat sich die vier Herren aus L.A. auf der Bühne als die Alternative-Antwort auf Manowar präsentieren. Zum einen, was die Choreographie angeht – Cuomo, Shriner und Brian Bell, der zweite Gitarrist, rühren sich die eineinhalb Stunden kaum von der Stelle, posen dafür wie gestandene Metaller im berüchtigten Spreizbein-Schritt -, zum anderen, was die Lautstärke betrifft: Die Anlage, mit der Weezer das für ungefähr 3000 Leute ausgelegte Apollo beschallen, hätte es locker auch mit dem benachbarten Fußballstadion Old Trafford aufgenommen. Auftreten und Dezibelzahl stehen in charmantem Gegensatz zur Bühnendeko. 16 silbrig glänzende Quadrate hängen an einer Drahtkonstruktion und sorgen, kitschig illuminiert abwechselnd in Mint, Rosa oder Hellblau, für Siebziger-Jahre-Lounge-Atmosphäre. Und das Ganze in einem ehemaligen Theater aus den Dreißigern, einer innenarchitektonischen Orgie aus rotem Plüsch, dunklem Holz und Milchglaslampen. Seltsam, aber wahrscheinlich genau nach dem abseitigen Geschmack von Cuomo, der – wie man hört – zunehmend neben der Spur sein soll. Irgendwie scheint auch seine bedenkliche Vorliebe für Old-School-Gegniedel mit ihm durchzugehen. Für das Titelbild des Ami-Muckerblatts „Guitar World“ ließ er sich im Yngwie-Malmsteen-T-Shirt ablichten, sein Gitarrensolo in der neuen Single „Dope Mose“, auch der Opener der Show in Manchester, lässt befürchten, dass er sich in Bälde bei Iron Maiden bewirbt. Fürs Erste aber geht im Apollo nochmal alles gut, „Photograph “ und ,.My Name Is Jonas“ machen in der XXL-Version gleich noch mehr Spaß, genauso wie“.Island in The Sun“ oder“.Surf Wax America“. Neue Songs wie „Burnal Jamb“ vom vierten Weezer-Album „Maladroit“, das inzwischen hoffentlich erschienen ist – bei Redaktionsschluss war der Veröffentlichungstermin wegen Streitereien zwischen Label und Band immer wieder verschoben worden – werden freudig begrüßt. Nichts jedoch im Vergleich zur Euphorie, die sich bei Knallern wie „Hash Pipe“ oder“.Undone“ Bahn bricht. Mehr Pop geht nicht, breitarschigere Riffs gibt’s nicht. Als hätten sich unter der Leitung von Brian Wilson in dessen Paralleluniversum Cheap Trick, Kiss und Nirvana zusammengetan. Die Zugaben: „Happy Together“vondenTurtles(N und „Buddy Holly„. Nach dem letzten Refrain verschwinden Patrick Wilson und Brian Bell von der Bühne, Cuomo und Shriner knien sich vor die Verstärker. Jeder Arzt würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.