„Das Album davor ist der Feind“
Seine Diktatorentätigkeit bei The Mars Volta will Omar Rodriguez-Lopez versuchsweise aufgeben, und selbst für den Spaß einer Wiedervereinigung von At The Drive-In ist er zu haben. Aber er wird dennoch nichtaufgeben, nach der Zukunft des Rock zu suchen.
Omar Rodriguez-Lopez dürfte einer der nettesten Mensch sein, die man im Musikgeschäft so kennenlernen kann. Schmal, rastlos und lächelnd geht von ihm eine Bescheidenheit aus, die so gar nicht auf den manischen Gitarrengott schließen lässt, der er ist. Es gibt empfindsame Seelen, die fürchten um die Stabilität des Raum-Zeit-Kontinuums, wenn Omar seine Schweine fliegen lässt. Er schätzt Helden wie John McLaughlin oder Robert Fripp für ihren akademischen Ansatz, kommt selbst aber aus der entgegengesetzten, der autodidaktischen Richtung. Sein persönliches Idol ist der fast achtzigjährige Salsa-Veteran Yomo Toro aus Puerto Rico.
Es gibt Jahre, da schreibt er – ganz für sich – bis zu 25 verspulte Soloalben, von denen dann vielleicht fünf veröffentlicht werden. Eine beeindruckende Zahl, die ein Licht auf seine künstlerische Vorgehensweise wirft: „Ich schreibe eigentlich immer“, sagt er fast entschuldigend, „und das meiste davon ist keinem Publikum zuzumuten. Es geht eher um den Prozess. Das Ergebnis ist zweitrangig.“
Zugemutet wird dem Publikum nun Noctourniquet, das sechste Studioalbum des Tex/Mex/Prog/Punk/Fusion-Monsters The Mars Volta. Ein Album, das einem so lange auf die Nerven geht, bis es Eingang in die Blutbahn findet und dort seine fiebrig-psychedelische Wirkung entfaltet. Für Omar ist dieser heiße Scheiß schon wieder Schnee von gestern: „Es ist seltsam, heute über ein Album zu sprechen, das schon drei Jahre alt ist. Seltsam … allerdings nicht nervig, weil: Ich darf hier sitzen und über ein Album von mir reden, weil das offenbar jemanden interessiert. Und das ist mehr, als ich erwarten durfte.“
Leider bedeutet diese innere Distanzierung auch, dass er seine eigene Arbeit gar nicht mehr richtig überschaut. Woher kommt dieser irrwitzige Sound im Opener? „Keine Ahnung mehr, mit welchem Gerät ich diesen Sound erzeugt habe. Es war einer meiner alten Synthesizer, da müsste ich jetzt mal nachschauen.“ Im Gegensatz zu früheren Platten gibt es nur sehr wenige Gitarrensoli auf Noctourniquet, oder? „Es ist nur ein einziges Solo!“, präzisiert Omar vergnügt. Er kann aber nicht mehr sagen, in welchem Song. „Oh, da hast du mich auf dem falschen Fuß erwischt …“
Er kann sich aber noch daran erinnern, dass Noctourniquet deutlich aus der Reihe fällt. Bisher war es die Signatur noch jeder The-Mars-Volta-Platte, dass sie sich bis zum Exzess dem Verschwenderischen, Maßlosen und Ausufernden verschrieb. Jetzt ist das plötzlich anders, präsentiert sich die Band konzentriert und komprimiert: „Wir haben früher etliche Songs gemacht, die länger als 15 Minuten sind und auch ein oder zwei, die 30 Minuten lang sind. Wir haben das alles schon erforscht. So könnten wir weitermachen, jedes Jahr ein Album mit viertelstündigen Suiten veröffentlichen, nur: Das wäre doch langweilig. Das Album davor ist immer der Feind, das ist eine alte Weisheit. Wenn ich nicht verwerfen würde, was wir vorher gemacht haben, würde ich es ja noch einmal machen. Das wäre der Stillstand. Das wäre der Tod. Bedlam In Goliath war dicht und aggressiv, also wurde Octahedron vergleichsweise luftig und sanft. Bei Noctourniquet fand ich es daher reizvoll, die Dinge einmal auf den Punkt zu bringen und eben nicht alle Zügel schleifen zu lassen.“
Ist deshalb auch der mit ihm befreundete Ausnahmegitarrist John Frusciante erstmals nicht mit dabei? Omar klingt hörbar zerknirscht, als er sagt: „Es ist unser erstes Album, auf dem John leider nicht mitspielt, ja. Er ist … wie soll ich sagen? Er spielt sehr gerne, natürlich, aber er verabscheut alles, was damit zusammenhängt – alle Verpflichtungen, auch wenn es bei uns quasi keine für ihn gibt. Allerdings arbeitet er seit drei Jahren an etwas, das ihn vollkommen in Anspruch nimmt. Ich wollte ihn gar nicht erst bitten, wieder mitzumachen, weil er völlig von seiner neuen Musik absorbiert ist. Schließlich hat er sich deshalb auch von den Chili Peppers getrennt. Ich will nicht zu viel verraten, aber was er da macht, wird …, episch?‘ Ja, episch ist das richtige Wort.“
Stimmt es, dass Omar diesmal auf seine Rolle als Band-Diktator verzichtet hat, damit sich die demokratisierte Band besser entfalten kann? Er lacht herzlich auf. „Nein, das ist ein Missverständnis. Ich war auch bei dieser Platte der Diktator. Allerdings habe ich mir tatsächlich vorgenommen, dies für die nächste Platte aufzugeben. Ich drehe ja nebenbei auch Filme (sein bekanntester, „The Sentimental Engine Slayer„, lief zumindest auf einigen Festivals – Anm. d. Red.). Und bei dieser Arbeit bekomme ich unmöglich alles alleine hin. Das geht einfach nicht, man muss da zusammenarbeiten. Und das ist wirklich eine sehr interessante Erfahrung.“
Diktatorisch und im Alleingang also schwenkte Omar Rodriguez-Lopez noch auf dem aktuellen Album auch weg von der opulenten Instrumentierung früherer Songs – und setzte ganz auf ein paar alte Synthesizer: „Heute interessiert mich das noch viel mehr als vor drei Jahren, ich spiele so ziemlich jeden Tag damit herum“, sagt er. Und „Puristen“ würden das bestimmt nicht so gerne hören. Tatsächlich ist die Szene tief gespalten, es gibt wahre Glaubenskriege. War Jon Theodore der beste Drummer? War De-Loused In The Comatorium das beste Album? Hätte die Vorgängerband At The Drive-In sich nie auflösen dürfen? Darauf angesprochen, entfährt Omar ein tiefer Seufzer: „Genau das ist es, womit ich wirklich ein Problem habe. Ich mag an der Rockmusik genau das nicht, was viele andere so an ihr schätzen – die lange Tradition, die Klischees, die Stereotypen. Darin kann man regelrecht baden, und das fühlt sich dann lauwarm an. Alles ist immer ein Abgleich mit irgendeiner Vergangenheit. Alles klingt wie etwas oder setzt sich von etwas ab, bleibt also gekettet an dieses Etwas. Solange das so ist, hat Rock als musikalisches Ausdrucksmittel keine Zukunft – im Gegensatz zur Elektronik. Da gibt es auch eine lange Tradition, aber insgesamt ist das Konzept doch ein wesentlich Abstrakteres.“
Deshalb ist auch die von vielen Fans ersehnte Reunion mit den Kumpels früherer Tage zumindest für Omar selbst nur ein freundlicher Scherz: „Die Wiedervereinigung von At The Drive-In ist ein Spaß unter Freunden. Wir sind jetzt alle viel entspannter als damals. Aber ich habe kein Interesse daran, ein Update unserer Musik zu machen. Es wird kein neues Album geben. At The Drive-In, das war Musik der Neunziger, dort gehört sie hin, und dort sollte sie auch bleiben. Es ist pure Nostalgie, und Nostalgie kann ich eigentlich nicht ausstehen. Nein, meine Band ist und bleibt The Mars Volta. Obwohl … ich habe zehn Jahre lang ausgeschlossen, jemals wieder mit At The Drive-In zu spielen, also höre ich mich gerade wohl ziemlich inkonsequent an.“
Neben der kontinuierlichen Veränderung ist vor allem die Zusammenarbeit mit seinem Freund Cedric Bixler-Zavala die einzige Konstante im Schaffen von Omar Rodriguez-Lopez. Die beiden kennen sich noch aus der Schule, seit bald 20 Jahren machen sie zusammen Musik. Deshalb schreckt es Omar auch nicht, dass der exzentrische Sänger über ein Reha-Programm neuerdings zu Scientology gefunden hat: „Wir sind beide dem Tod so oft von der Schippe gesprungen, dass ich ihn nicht verurteilen kann. Wenn ihm das hilft, mit seinen Dämonen zurechtzukommen, dann soll es mir recht sein“.