Cover mich, Rindvieh


Tom Waits auf kölsch? Gerd Köster sträubte sich, als das Schicksal bei ihm anklopfte. Bis er demütig erkannte: lieber gute Cover als eigener Schrott

Köln, November 1988. „0 ja! Nimm mich! Sofon! Steck mich tief in deine Muttersprache!! Bitte!!“. winselte mich ein Song mit dem Titel „Warm Beer & Cold Women“ von Tom Waits an. Es war ein naßkalter Novembertag, und ich kam von einem dieser Nachmittagsschoppen, die das Spontane im Manne nur unzureichend zu zugein in der Lage sind. Weniger aus Mißtrauen als vielmehr aus Vorfreude auf eine gehobene Bauchpinselei fragte ich: „Wieso gerade ich?“ und: „Bist du sicher, daß du wirklich meine Muttersprache, das Kölnische, meinst?“

Ja, ja! Du! Kölsch! Mach es mir gleich hier! Cover mich, du Rindvieh!“, entgegnete er. Nun verfügte der sich inzwischen auf meinem Schreibtisch räkelnde Song weder über eine ausgeprägte Hookline noch über einen sonderlich sinnlichen Chorus, aber ein Blick zwischen seine Zeilen sagten mir. daß hier mehr auf mich zukam als ein Quicky auf dem Schreibtisch neben dem Reimlexikon. Ich fühlte mich angenehm durchblutet.

Köln. Frühjahr 1 989. Allen Samantha Foxen dieser Erde zum Trotz: Es sind nicht nur Titten und Ärsche, die einen wirklich guten Text im Bereich des Poppes und Rockes ausmachen. Es sind nicht die Fallrückzieher und Kopfballtorpedos, sondern die vergebenen Chancen. Abseitsstellungen, Fehlentscheidungen und Platzverweise, die den Ball rund sein und das Spiel 90 Minuten dauern lassen. „I rode thru the desert on a horse with no name“; wie wär’s statt dessen mit „/ rode thru the desert on a horse with no legs“, das würde mir einleuchten. Tom Waits poliert nichts auf Hochglanz. Seine Texte sind pathetisch wie das Leben, aber nie so rührselig wie das Fernsehen. Er läßt seinen angeknockten Hauptdarstellern ihre Würde, ohne sie zu Helden zu stilisieren. Er ist nie Voyeur, sondern Mittäter, die 14. Kippe im Aschenbecher in der dritten Kaschemme links, und zwar eine Roth-Händle. die gerade von einer lippenstiftverschmierten Dunhill Light den depremierendsten Korb ihres kurzen Lebens entgegengenommen und diesen Korb über ihr Bett gehängt hat.

(„The dreams aren’t broken down here, they’re walkins with a limp.“) Und oft hilft nicht einmal ein Drink.

Aber darf ich das wirklich? Ich. Gerd Köster (damals 32). aus Köln-Nippes, kleinbürgerlich erzogen, gelernter Torwart, Altenpfleger, Sänger. Parodist, Texter bei Schroeder Roadshow. Darf ich das? Auf Kölsch??

Köln, September 1992. Der 1. FC Köln verliert 0:1 gegen Borussia Dortmund und steht mit 1:13 Punkten am Tabellenende. Ich verdopple meine Wette auf Nichtabstieg auf 1000 Mark. („On the nickle“) „

Köln. Herbst 1989. Ich hab nun genug kölscher Coverversionen für eine Live Show zusammen. Sie liegen seil ein paar Wochen unberührt in der Schublade, da ich etwas Abstand gewinnen wollte. Ich krame sie zwecks Überprüfung nicht ohne ein paar Tropfen edelsten Angstschweißes auf der Stirn hervor. Ich lese sie langsam. Wort für Wort. Zeile für Zeile… Kein Hautjucken. Kein Zahnfleischschwund. Der Angstschweiß verdunstet in zarten Farben.

Ende Oktober die erste Show mit ausschließlich kölschem Verbalgut im Kölner Stadtgarten. Ich habe beim Singen das entscheidende Jaklar-ja-wie-denn-sonst Gefühl. Bandleader Matthias Keul sagt nach dem Konzert, er habe mich noch nie so relaxt auf einer Bühne gesehen. Das Publikum tobt. Erleichterung. Ja, ich darf das.

Aber warum auf Kölsch!? Darum! Tom Waits-Puristen. Indie-Orthodoxos und Kölsch-Hasser lehnen uns kategorisch ab. Die dürfen das auch. Was würde ich sagen, wenn ein Sachse die Rolling Stones covern würde?

Köln. Oktober 1992. Diverse Skeptiker mutieren zu Fans, nachdem sie die Band live erlebt haben. Fast alle Konzerte in und um Köln sind ausverkauft. Wir spielen in Clubs. Kinos, Hallen bis hin zur Kölner Philharmonie. Außer der ersten (The Piano Has Been Drinking) Tom Waits-Cover-CD gibt es zwei bandeigene CDs („Nachlgedanken“,“.Der Märchenprinz“). Tom Waits bleibt einer der wichtigsten Inspiratoren (oder sagt man Inspirateure?).

Vorläufiges Fazit: Für mich als Nicht-Songschreiber steht nach wie vor fest: lieber gute Cover-Songs als eigener Schrott. Hauptsache eigenes Material? Enä! Jedenfalls hat mir der Umweg über die Coverversionen eine ganze Menge Perspektiven für eigene Texte geliefert. Danke Tom. Danke Matthes. Danke Jungs.

Mönchengladbach, Oktober 1992. Der l.FC Köln gewinnt in Mönchengladbach mit 2:1. Die müssen das. („Wä ml kann, da muß. „