Countdown einer Rocknacht


Dienstbeginn des Rockpalast-Teams in der Essener Grugahalle. Eigentlich sollten an dieser Stelle King Sunny and his Afncan Beats erste Proben ihrer Juju-Musik abliefern. Aber die Bühne bleibt leer. Die Band sitzt immer noch in Nigeria. Warum sie nicht losgeflogen ist, dafür gibt es auch in den nächsten Tagen keine nach westlichen Maßstäben „vernünftige“ Erklärung. Das ist eben so. Afrika. Das Team hat frei.

Donnerstag, 14. April, 17 Uhr

Dem Betrachter bietet sich ein ähnliches Bild wie am Vortag: Die Bühne ist leer. Nur sollten diesmal nicht King Sunny und seine Mannen proben, sondern Joe Jackson. Der ist auch da, aber der Truck mit den Keyboards hängt im Zoll.

Peter Rüchel: „Wo ist Hektik?“ Siehst du hier Hektik? Wenn ich mich aufrege, geht es doch auch nicht schneller.“ Im selben Moment schellt das Telefon in der „Kommandozentrale“ hinter der Bühne: Die Afrikaner sind auf dem Flughafen angekommen, und vor der Halle hupt der Jackson-LKW.

Während Rüchel mir Erklärungen zur Technik gibt, telefoniert er mit dem Hotel, erklärt einem englischen Licht-Roadie, bei welchem Fernsehbild er am Samstag das Licht einschalten muß, und entscheidet, wieviele Backstage-Pässe Herrn X zustehen. Und ich sehe immer noch keine Hektik.

Joe Jackson und Band ziehen ihre Probe routiniert und gutgelaunt durch. Sie spielen ihr Programm einmal in voller Lange, hinterher besieht man sich mit den Lichttechnikern die Videoaufzeichnung, um eventuelle Feinheiten in der Ausleuchrung zu korrigieren. Willy Lang, der Produktionsleiter des WDR, ein seriöser 50er in Anzug und Krawatte, ist sichtlich begeistert und tanzt durch die Halle.

Donnerstag, 23 Uhr

Die Bühne wird immer voller. An die 20 Mann verbreiten mit bunten Kostümen afrikanisches Flair. Die eigentlich für den Vortag angesetzte Probe von King Sunny Ade beginnt. Das Team macht Überstunden. Aber wer hier mitarbeitet, weiß, daß er zumindest für diese Woche jeden Anspruch auf geregelten Schlaf und Freizeit einbüßt.

Freitag, 15. April, 11 Uhr

Die Proben von King Sunny gehen weiter, man hat zwar gestern noch bis 2 Uhr gearbeitet, aber das reichte noch nicht. Also wird der Vormittag zusätzlich eingeschoben.

Freitag, 17.30 Uhr

Kevin Rowland & Dexy’s Midnight Runners sind da. Wer hätte das gedacht: Kevin Rowland kann sogar lachen. Beim technischen Personal des WDR hingegen gibt’s lange Gesichter. Kevin will zur Sicherheit unbedingt eine Art Laufsteg vor der Bühne haben, weil er beim Konzert oft auf die Monitorboxen springt und auf die drei Kameraleute vor der Bühne fallen könnte.

Also heißt es in Windeseile eine stabile Holzkonstruktion zu bauen und zu schwärzen. Ständig läuft jemand mit einer Sprühdose umher, um alles, was in die Kameras blinken könnte, in unauffälliges Schwarz zu hüllen.

Freitag, 19 Uhr

In der Kantine gibt es Essen – beim Eintopf sind alle gleich, Extrawürste gibt es nicht. Die Proben gehen weiter.

Als ich gegen 21 Uhr die Halle verlasse, hält mich ein Ordner auf: „Wo ist dein Backstage-Paß?“ Den trage ich doch vorschriftsmäßig am Revers…

Von wegen. Statt der schwarzweißen Ausweise werden in einer Nacht- und Nebel-Aktion plötzlich bunte Pässe ausgegeben. Dem schwunghaften Handel mit nachgemachten Ausweisen soll das Wasser abgegraben werden.

Samstag, 16. April, 22 Uhr

Die Halle ist nicht ganz voll. 1000 Plätze bleiben unbesetzt; für Peter Rüchel eine klare Folge der letzten Rocknacht, in der Kid Creole manch orthodoxen Rockfan vergrault haben mag, eine Folge auch des ungewöhnlichen Programms an diesem Abend. Trotzdem brodelt die Spannung in der Halle wie immer.

Davon abgeschirmt sind die Leute in den Ü-Wagen: Im Fernseh-Ü-Wagen hat Regisseur Christian Wagner das Geschehen über die Monitore der sieben Saal-Kameras im Visier (drei vor der Bühne, zwei Handkameras auf der Bühne, eine Kamera hinter der Bühne, zwei Kameras im Saal für die Totalen und die Bilder aus dem Publikum), Der Hörfunk-Wagen ist mit dem mobilen Dierks-Studio zusammengeschaltet, Toningenieur Gerd Rautenbach mischt in Abstimmung mit Vertretern der Bands den Radiosound ab. Saallicht aus, Bühnenlicht an, die Show beginnt.

Samstag, 24 Uhr

Der brenzligste Punkt des Abends. Als kleine Sensation soll ein Interview zwischen Alan Bangs und Stephen Stills über Satellit die Pause bis Joe Jackson überbrücken. Das Bild ist da, der Ton nicht, alles ist live. Keiner weiß, wie es weitergeht.

Alan Bangs plaudert munter weiter Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann ist er m seinem Element. Für die anderen werden die fünf Minuten, bis es doch klappt, zur schweißtreibenden Ewigkeit Ein kurzes Statement von Peter Rüchel? „Nein, nein. „Nur zwei Satze? „Wein, jetzt wirklich nicht.“ Aber die Stimmung ist gut, sagt er noch im Vorbeigehen.

Im Foyer wogen derweil heiße Diskussionen um das heutige Programm. Das Team einer TV-Kultursendung befragt Zuschauer nach ihren Eindrücken, Bernd Kirchschlager aus Stuttgart ist eigens mit drei Freunden nach Essen gepilgert. Er macht seiner Enttäuschung Luft: „Ich steh’auf Hardrock. Jetzt habe ich Angst, daß das Programm immer mehr in Richtung Disco abdriftet.“

Ja, die ZDF-Rock-Pop-Nacht, das war schon stark. Hier müßte mal wieder ne richtige Zugnummer kommen, so wie Rory Gallagher damals. Ob bei Joe Jackson Jubel aufkommt? Kann ich mir kaum vorstellen.“ Bernd Kermp aus Bergneustadt ist ganz anderer Meinung: „Ich war schon zwölfmal dabei, und ich finde das Erlebnis jedesmal wieder einmalig. Die Stimmung, die Leute und so viele Gruppen für so wenig Geld, wo gibt’s das sonst?

Außerdem finde ich, der Rockpalast sollte auf keinen Fall eine kommerzielle Linie einschlagen. So was wie damals mit Patti Smith wäre doch m der Rock-Pop-Nacht nie gelaufen. Da hätten die doch viel zu viel Angst

Sonntag, 0.30 Uhr

Joe Jackson steht hinter dem Bühnenvorhang und nuckelt nervös an einem Dauerlutscher, bis er mit seiner Band auf die Bühne geht. Bernd Kirchschlager hat unrecht. Die Halle tobt vor Begeisterung, anderthalb Stunden lang.

Sonntag, 2.30 Uhr

Der Zeitplan ist längst aus den Fugen geraten. King Sunnys Auftritt verzögert sich durch die euphorische Reaktion auf das Joe-Jackson-Konzert.

Hinter der Bühne kommt es nochmal zu einer pikanten Situation. Plötzlich tauchen einige folkloristisch gewandete Herrschaften auf. Der nigerianische Botschafter ist da, sichtlich irritiert von dem, was um ihn herum passiert.

Einen angemessenen Sitzplatz in der ersten Reihe wünscht der Gute sich. Allgemeine Ratlosigkeit – eine erste Reihe gibt es schließlich nicht, und im Gedränge zu stehen, ist eines Botschafters kaum würdig.

Sonntag, 5.05 Uhr

Nach etlichen Zugaben ist die lange Nacht zu Ende. Scheinbar, denn für die Licht- und PA-Crew heißt es, sofort mit dem Abbau anzufangen.

Im Produktionsbüro fällt derweil die Spannung sichtbar ab. die Gesichter verstrahlen übemächtigte Euphorie, die Sektkorken knallen.

Ein letztes Statement von Peter Rüchel? „Es war schön! Und ich glaube, es hat neue Perspektiven eröffnet. So was wie King Sunny ist eine Herausforderung. Sicher hat er den Leuten anfangs Schwierigkeiten gemacht, aber es war toll zu sehen, wie er sie nach und nach auf seine Seite gebracht hat.

Und Joe Jackson war sicher eins der größten Ereignisse, die wir hier jemals gehabt haben.

Die Energiekurve sinkt jetzt langsam Wir werden noch zwei Stunden hier sitzen und reden, dann im Hotel ein schönes Frühstück genießen. Anschließend wird geschlafen, und der Montag ist aus dem Kalender gestrichen!“