Compact Discs


Die Preisfront bröckelt ab. Was die einen freuen wird, anderen ein Anlaß zum Ärgernis sein dürfte. Jenen nämlich, die noch bis vor kurzem für so manche Lieblingsaufnahme auf CD stolze Preise zahlten. Seit die Fertigungs- bzw. Abgabepreise für die „nackte“ CD bei vielen Firmen auf einen (1) US-Dollar gefallen sind und in manchen der weltweit mehr als 60 CD-Fabriken horrende Überkapazitäten aufgebaut wurden, werfen auch die Branchenriesen der Plattenindustrie hunderte und tausende von Titeln als Midprice-CDs auf den Markt. Daß die Digitalplatte damit zum billigen Massenartikel geworden wäre, kann man trotzdem nicht gerade behaupten. Denn die jetzt zuhauf angebotenen Midprice-(Wieder-)Veröffentlichungen kosten in der Regel immer noch mindestens einen Zehnmarkschein mehr, als man für die Vinyl-Version derselben Aufnahme zahlen würde. Wobei der Handel im übrigen – das muß fatrerweise angemerkt werden – mit geringeren Spannen leben muß als bei LPs oder Musi-Cassetten!

Als Midprice-CDs erhältlich sind jetzt beispielsweise die meisten Live-Aufnahmen der KIHKS, darunter erstmals auch SOMETHING ELSE BY THE KINKS (PRT 8.26674) und THE KINKS ARE THE VILLAGE GREEN PRESERVA-TION SOCIETY (PRT 8.26676), die zum besten gehören, was RAY BA-VIES je an unsterblichen Popsongs einfiel. Beide Platten waren von der Deutschen Vogue und späteren Pye-Lizenznehmern nie komplett und in Stereo publiziert worden.

Unverständlich ist, warum die 1OCCS-Kompilation HIT SINGLES (PRT 8.26680) bis auf zwei Ausnahmen sämtlich stereofon abgemischten Aufnahmen als Mono-Versionen bringt, olso auch jenes Material, das die Original-CDs in Stereo-Mix präsentieren. Immerhin beließ man das Debüt von 1964 (PRT 8.26670) im originalen Stereo. Dagegen erklingen wiederum bei DAVE DAVIES‘ THE ALBUM THAT NE-VER WAS (PRT 8.26681) bis auf „Death Of A Clown“ auch jene Aufnahmen in heftig verklirrtem Mono-Mix, die auf amerikanischen LP-Raritäten wie THE GREAT LOST KINKS ALBUM und THE KINKS KRONIKLES in lupenreinem Stereo zu hören sind.

Vielleicht sollte man also in solchen Fällen als Kinks-Fan warten, bis auf dem amerikanischen WEA-Label Reprise die Originalfassungen auf CD veröffentlicht werden. Die dürften dann von Kopien der ersten Generation stammen, aber da halten sich die Qualitätsverluste ja noch in Grenzen.

Es wäre nicht das erste Mal, daß die von sorgfältig aufbewahrten Kopien dieser ersten Generation überspielten CDs klangtechnisch besser ausfallen als Veröffentlichungen der ursprünglichen Produktionsfirma, die ihrerseits im Archiv das Original-Master nicht mehr auftreiben konnte!

Um die Original-Schnürsenkel soll es sich nach Angaben von EMI bei den 33 BEATLES-Aufnahmen handeln, die am 7. März auf zwei CDs unter dem Titel PAST MASTERS – VOLUME 1 (CDP 790 043-2) und PAST MASTERS – VOLUME 2 (CDP 790 044-2) in chronologischer Reihenfolge ihrer Entstehung erschienen sind. Beginnend mit einer Alternativ-Version von „Love Me Do“ bei der Mr. Starkey an der Schießbude saß, bis hin zu „You Know My Name (Look Up The Number)“ enthalten die beiden Plättchen all das Material, das nie auf den Original-LPs publiziert wurde, also Singles (A- und B-Seiten), EPs und Raritäten in unterschiedlichen Abmischungen. Von einigen Titeln waren angeblich keine Stereo-Bänder mehr zu finden, bei anderen (den in Paris aufgenommenen „Komm gib mir deine Hand“ und „Sie liebt dich“) die Zweispur-Bänder angeblich technisch so unbefriedigend, daß man die Mono-Versionen von RARITIES verwendete.

Da die CDs bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch nicht vorlagen, war es nicht möglich, nachzuprüfen, welche Fassungen nun die PAST MASTERS enthalten. Für das Doppelalbum ROCK ‚N‘ ROLL MUSIC war schon mal etliches von George Martin neu abgemischt worden. Interessant ist mithin, was man nun als „Original“ betrachten soll. Zu erfahren war zwischenzeitlich nur, daß auf absehbare Zeit keine Veröffentlichung der ersten vier Beatles-CDs in Stereo geplant ist – also leider auch nicht mal von A HARD DAY’S NIGHT und dem ebenfalls in absolut modernem Stereo aufgenommenen BEATLES FOR SÄLE.

Wer glaubt, mit CD seine Lieblingsaufnahmen in optimaler Originalband-Qualität zu kaufen, lebt sowieso in einem frommen Wahn Das Gegenteil läßt sich anhand von SPRINGSTEEN und STONES, ELTON JOHN oder NEIL YOUNG-Millionensellern unschwer beweisen. Eine der klangtechnisch katastophalsten unter den frühen CD-Veröffentlichungen war AQUALUNG von JETHRO TULL (Chrysalis 610 016), von der es viel bessere Vinyl-Versionen gibt. Mittlerweile sind insgesamt 14 Jethro Tull-CDs im Handel, die sieben restlichen sollen im Herbst erscheinen. Vergleicht man die bislang vorliegenden Digital-Veroffentlichungen mit den LPs bzw. die Originale mit den auf drei CD-Sanrtplern (zweimal „Best of …“ sowie ORIGINAL MASTERS) überspielten Anthologien, dann kann man als Tull-Fan nur ergrimmt konstatieren: Hier wurde technisch in einigen Fällen noch mehr geschlampt als bei manchen höchst zweifelhaften Stones-CDs! Die relativ gesehen noch beste Klangqualität bietet ORIGINAL MASTERS (Chrysalis 610 543) – von der außer Konkurrenz laufenden CREST OF A KNAVE mal abgesehen, denn diese jüngste Aufnahme wurde 1:1 wie auf LP überspielt.

Der Fall Jethro Tüll bietet reichlich Stoff für die Doktorarbeit eines angehenden Tontechnikers: darüber nämlich, was man mit Bändern fertiger Aufnahmen bei genügend Inkompetenz alles an Schlampereien anstellen kann. Nur mit den berüchtigten „Sachzwängen“ (maximale zur Verfügung stehende Spieldauer) hat zu tun, daß zwei Songs der originalen Doppel-LP für die CD von LIVING IN THE PAST weggelassen wurden. Erklärungsbedürftig bleibt, wieso die meisten Aufnahmen soviel mehr rauschen müssen als auf den schwarzen Scheiben.

Dem besagten Sachzwang zum Opfer gefallen sind auch zwischen drei und vier Minuten Spieldauer von JONI MITCHELLS Doppel-LP MILES OF AISLES (Asylum 263 001). Durch Blenden und teilweise harte Schnitte kürzte man die Einleitungen bei einigen Songs um bis zu 40 Sekunden und beließ es bei der Komplett-Spielzeit von 74′ 07″, weil man nicht an die technische „Schmerzgrenze“ (knapp unter 80 Minuten) gehen wollte.

Ungekürzt und in der (relativ jedenfalls) bestmöglichen Originalqualität sind jetzt einige andere herausragende Antiquitäten auf CD zu haben, so etwa NEIL YOUNGS COMES A TIME (Reprise 254 099), bei dem der eigentlich beste Song, nämlich „Four Strang Winds“, vom COWBOYOGRAPHY-Autor lan Tyson stammt; das Debüt von JONATHAN RICHMAN & THE MODERN LOVERS (Beserkley 840.501), produziert von JOHN CALE unter ziemlich amateurhaften Bedingungen und ein erst mit mehrjähriger Verspätung doch noch erschienener Klassiker; das von DAVE EDMUNDS meisterlich produzierte FOGHAT-Erstlingswerk (Rhino/Bearsville RNCD 70887, US-Import) sowie RY COODERS zweites Solo-Album INTO THE PURPLE VALLEY (Reprise 244 142), das wohl unbestritten zu den Sternstunden des amerikanischen Saiten-Virtuosen zählen dürfte.

Was CD-Wiederveröffentlichungen betrifft, so wird das Altrepertoire von den A & R-Jungs auch und gerade bei den amerikanischen Major Companies oft doch mit mehr Sachverstand ausgewählt als bei vielen europäischen Firmen oder „Töchtern“, die zunehmend auch Belangloses und regelrechten Schrott „digitalisieren“ lassen.

Wo US-Gesellschaften eigene Kostbarkeiten übersehen, finden sich immer noch kleine, wiewohl feine Unternehmen wie Rhino, die ihnen gern die CD-Wiederveröffentlichungen abnehmen. Rhino Records beispielsweise, die kürzlich die TALES OF THE NEW WEST von den BEAT FARMERS als Laserplättchen brachten (RNCD 75887, Import durch jpc-Mailorder, Osnabrück) und im Branchenblatt „Billboord“ kürzlich die Veröffentlichung etlicher BYRDS-CDs ankündigten.

Das in höchsten Tönen zu preisende Vorbild Rhino bedeutet nun aber nicht, daß deswegen nun schon bei allen amerikanischen Plattengesellschaften das große Qualitätsbewußtsein ausgebrochen sei. Mehrere Aufnahmen der importierten THE BEST OF TOMMY JAMES & THE SHON-DELLS (Roulette RCD 42040) beispielsweise , darunter sogar der Hit „Hanky Panky“, wurden nicht vom Band, sondern einer drastisch klirrenden und knisternden Uralt-Single übernommen. Von der Original-Produktionsfirma! Die beweist damit höchstens eines: Chuzpe.

Wenn Firmen wie Rhino Records tatsächlich noch die Lizenzen an Rock-Klassikern wie den BYRDS kaufen können, ist das im Gefolge des CD-Booms mehr und mehr die Ausnahme. Das behauptet jedenfalls Line-Chef Uwe Tessnow, der die Konzentrationsbewegungen beim Plattengeschöft im ollgemeinen und CD-Lizenzvergaben im besonderen eher skeptisch als zunehmenden Verdröngungswettbewerb der großen Konzerne beurteilt.

Trotzdem – oder fürs erste jedenfalls noch – hat Line unter den CD-Novitäten der letzten Wochen doch einiges für Kenner mit ausgesucht gutem Musikgeschmack anzubieten, neben dem schon erwähnten Debüt der MODERN LOVERS das dritte BIG STAR-Album SISTER LOVERS (Line 840.492), den 1976 erschienenen Erstling der GREG KIHN BAND (Beserkley 840.469) sowie eine Anthologie von 21 MICKEY JUPP Aufnahmen unter dem Titel ODDITIES (Line 840.464, alle über ARIS). Der von Line auf CD publizierte Beserkley-Katalog klingt – bis auf THE MODERN LOVERS LIVE – praktisch durchweg erheblich besser als auf allen amerikanischen, deutschen oder sonst weichen LP-Pressungen vorher. Die BIG STARund ALEX CHILTON CDs sind eh wundervollstes Pflichtpensum für Rock-Gourmets, und für die MICKEY JUPP-Raritäten kann man im Zweifelsfall getrost eine ganze Reihe Jethro Tull-CDs hergeben.