Coldplay: Good will hunting
Die Band, von der abhängt, ob EMI Records schwimmt oder sinkt, lädt zum publicitywirksamen Gratiskonzert.
Armer Chris Martin. Auf seiner linken Schulter Guy Hands, der neue, gut kehrende Besen bei EMI, der die marode Firma in eine feiste Cashkuh verwandeln soll – ein Plan, in dem Coldplay eine Schlüsselrolle spielen. Auf Chris‘ rechter Schulter: die gemeinen Kritiker, die seine Band „Coldpiss“ nennen, sie gewohnheitsmäßig der Banalität bezichtigen und ihr vorwerfen, bei Radiohead, U2 und James abzukupfern. In der Mitte die Fans, die ja auch bedient sein wollen, möglichst mit Mitsing-Refrains und sensiblen Falsetto-Passagen am Piano. So viel Druck – wie soll da einer noch ruhig schlafen? Chris Martin hat sich in den Wochen vor dem CD-Release entsprechend nervös gezeigt. Bei zwei Interviews suchte er das Weite. Viel hat die Band unternommen, ihrem vierten Album den Gang ins Herz der Fans zu erleichtern. Die erste Single lag gratis dem NME bei und konnte ebenso gratis downgeloadet werden. Es sei schwierig, in Zeiten der Instant-Downloads mit einem Album zu kommen, das man in einem Zug durchhören müsse, sorgte sich Martin öffentlich und offenbarte einmal mehr eine Nervenschwäche, wie sie die glamourösen Stars in seinem Freundeskreis – Bono! Kanye West! Jay-Z! – nie und nimmer zugeben würden. Wahrscheinlich ärgert sich Martin über seine Flatternerven. In Wahrheit aber ist es diese Tolpatschigkeit, die von keinem Image-Berater straff gezupft werden kann, die seine Combo von der Masse ähnlicher Bands abhebt.
Mit Gratiskonzerten in London, Barcelona und New York soll der good will weiter gepflegt werden. Das Publikum ist über eine Web-Verlosung zu den Tickets gekommen – viele Fremdsprachen sind zu hören. Zum Sound des Instrumentals „Life in Technicolor“ schreiten die Coldplay-Männer auf die Bühne und beziehen Stellung hinter ihren Werkzeugen. In seiner antiken Militärjacke wirkt Martin, als sei er gerade dem Cover von „Sgt. Pepper“ entsprungen. Schon das erste Stück, die neue Single „Violet Hill“, löst Entzücken aus wie ein Evergreen, Ganz zu schweigen vom darauf folgenden Doppelpaket „Clocks“ und „In My Place“. Für den Titelsong des neuen Albums schleppt Drummer Will Champion seine Pauken in die Bühnenmitte – der Radau ist fast so erhebend wie bei Arcade Fire, und die ganze Zeit über tänzelt und zwirbelt Martin auf eine derart linkische Art über die Bühne, dass wirklich niemand auf die Idee kommen könnte, hier spiele sich eine ganz auf Profitmaximierung eingestellte Las-Vegas-Show ab. Martin vergisst Lyrics, verstrickt sich in ungelenken Witzen und vermasselt Übergänge. Und in diesem Fall sieht man das tatsächlich gern.
Nicht das ganze Konzert ist so stark wie dieser Beginn. Während der eher undynamischen Songs „Chinese Sleep Chant“, „God Put A Smile Upon Your Face“ und „42“ haben Bars und WCs Hochbetrieb. Erst als sich Martin ans Piano setzt und einen Girls-Aloud-Song anstimmt, der dann nahtlos in „Trouble“ übergeht, hebt sich die Stimmung wieder. „Selbst wenn wir’s gar nicht versuchen, kupfern wir bei Radiohead ab“, sagt Martin einmal. Dabei wird man an diesem Abend weit häufiger an Supertramp (Papa fragen) und – eben – Arcade Fire erinnert. So auch bei der ersten Zugabe, für die die Band einen Balkon erklimmt, um dort eine Banjo-Version von „Yellow“ zu schrummeln. Es folgen noch eine muntere, von Champion vorgetragene Version des Pogues-Songs „If I Should Fall From Grace With God“, danach „Fix You“ und schließlich „Lovers in Japan“, bei dem das Publikum mit Papierschmetterlingen überschüttet wird. Fazit: Während Anti-Fans weiterhin an ihrer Meinung festhalten werden, Coldplays Stärke bestehe darin, kalte Klischees aufzuwärmen, dürfen Band, EMI und Fans aufatmen. Auch die „experimentellen“ Coldplay haben noch große Refrains und ihre sympathisch linkische Bühnenpräsenz.