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Cocteau Twins: Ihre (Solo-)Alben im Ranking

Welche der Platten, die Liz Fraser und Robin Guthrie (gemeinsam) gemacht haben, sind essenziell, welche eher zweitrangig?


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Weil ABBA es nun eben doch gemacht haben, sind die Cocteau Twins die letzten Unbeugsamen: keine Live-Reunion, kein Album-Comeback, nicht für alles Geld der Welt. Die Gründe sind sehr irdisch: Sängerin Liz Fraser und Gitarrist Robin Guthrie waren ein Paar, zerstritten sich fundamental. Liebe ist vergänglich, der Klang der Cocteau Twins bleibt. Und der ist alles andere als irdisch. Ab 1981 entwickelte die Band hinter den grauen Mauern der schottischen Industriestadt Grangemouth eine Musik, die der Gravität trotzt und in den Wolken lebt.

Fixsterne: Die LPs

TREASURE (1984)

Zunächst mal: Die Drum Machine auf TREASURE klingt furchtbar! Was jedoch kaum eine Rolle spielt, die Kinder bauen ihre schönsten Burgen am Strand ja auch mit dem matschigsten Schlick. Selbst nach dem tausendsten Hören bleibt unfassbar, nach welcher Handreichung die noch junge Band die Lieder ihrer dritten LP aufgebaut hat. Eine Logik ist nicht erkennbar, weder in Liz Frasers Sprache noch in der Struktur der Songs. Orientierung geben einige Bezugspunkte: Kate Bush, Goth-Romantik, die künstlerische Vision des 4AD-Gründers Ivo Watts-Russell, auf dessen Label die Band ihre Heimat findet und dem sie das erste Stück dieser Platte schenken.

Sechs Sterne

BLUE BELL KNOLL (1988)

Nach ersten Jahren wie im Rausch gönnt sich die Band 1987 eine Atempause, dann schlägt sie mit BLUE BELL KNOLL ein neues Kapitel auf: Anders als auf den frühen LPs liegt auf BLUE BELL KNOLL kein Staub mehr auf der Produktion, alles klingt kristallklar, einiges sogar tanzbar, ein paar der Beats stammen aus dem gleichen Baukasten, den auch Soul II Soul nutzen. Das Album legt den Grundstein für den kommerziellen Erfolg der Cocteau Twins in den USA, die Single „Carolyn’s Fingers“ wird ein Hit im College-Radio. Liz Fraser entdeckt in den Songtiteln ihre Liebe für fantastische Objekte, führt „A Kissed Out Red Floatboat“ sowie das „Spooning Good Singing Gum“ ein.

Fünf Sterne

HEAVEN OR LAS VEGAS (1990)

Plötzlich explizit: „My dreams are low, they’re sick and must be drossed / They’re young girl’s dreams.“ Der Titel dieses Songs lautet „Fotzepolitic“, vielleicht der beste Gag im Kosmos der Cocteau Twins, der alles andere als humorlos ist. Die Musik zum Text über die vaginale Selbstbestimmung ist absolut perfekt, wie alles auf dieser LP. Auf HEAVEN OR LAS VEGAS wenden die Cocteau Twins die göttliche Formel auf den Zeitgeist an. Das Album klingt wie 1990, dem Jahr, in dem sich die grenzenlose ­ Fantasie der 80er mit dem Groove der 90er verbindet. Dieses eine Mal sind die Cocteau Twins tatsächlich New Pop. Oder, wie sie es im ersten Stück der Platte selbst definieren: „Cherry-Coloured Funk“.

Sechs Sterne

Fixsterne: Die EPs

AIKEA-GUINEA (1985)

Die herausragenden Tracks, die die Cocteau Twins im Anschluss an das Album TREASURE aufnehmen, landen auf EPs; als Nachfolge-LPs erscheinen 1986 die beiden meditativen Traumplatten VICTORIALAND (fünf Sterne) sowie, zusammen mit Harold Budd, THE MOON AND THE MELODIES (dreieinhalb Sterne). AIKEA-GUINEA ist eine dieser EPs, der Refrain des Titelsongs führt in Sphären, in denen Pop eigentlich nichts zu suchen hat, ganz anders dagegen die instrumentale Postrock-Komposition „Rococo“, ein Vorläufer für alles, was Mogwai je gemacht haben.

Fünfeinhalb Sterne

TINY DYNAMINE (1985)

Erneut vier Stücke, im Text des magischen „Pink Orange Red“ singt Liz Fraser von „Sultitan Itan“ und „Plain Tiger“, so heißen dann zwei der folgenden Stücke. Durch den lyrischen Bogen ergibt sich auf der Kürze eine herausragende Intensität, die viele komplette Alben nicht ansatzweise hinbekommen. Dazwischen steht das Instrumentalstück „Ribbed And Veined“, das klingt, als habe die Band versucht, das pastellfarbige „Miami Vice“-Feeling ins graue Grangemouth zu transferieren.

Fünfeinhalb Sterne

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LOVE’S EASY TEARS (1986)

Heute schon verliebt? „Those Eyes, That Mouth“ wird dafür sorgen. Es ist der zweite von drei unantastbaren Songs dieser EP, die für viele die höchste aller Höhen in dieser Diskografie kennzeichnet. Liz Fraser singt im selben Atemzug manisch und zärtlich, wie auch immer ihr das gelingt. Guthries Gitarren umhüllen die Vocals, der Bass von Simon Raymonde hüpft drumherum, die Drum Machine ist noch immer billo, aber die Band weiß mittlerweile, was zu tun ist, damit ihnen das Gerät hörig ist.

Sechs Sterne

Schwarzes Loch

GARLANDS (1982)

Wer bei den Cocteau Twins nur an Milch und Honig denkt, muss GARLANDS hören. Der erste Song heißt „Blood Bitch“, die Gitarre erinnert an Killing Joke, Liz Frasers Gesang an Berliner Wave-Sängerinnen wie Bettina Köster von Malaria! oder Anja Huwe von Xmal Deutschland. Bassist ist noch Gründungsmitglied Will Heggie, der sich an Peter Hooks manischem Spiel für Joy Division orientiert. Es dringt kaum Licht in diese Postpunk-Dystopie aus der schottischen Suburbia, einen zersetzenden Horrortrack wie „The Hollow Men“ haben selbst Bauhaus nicht hinbekommen, einzig „Wax And Wane“ ist ein Indiz auf das, was in naher Zukunft folgt.

Viereinhalb Sterne

Einzelplaneten

Robin Guthrie – CAROUSEL (2009)

Das Solowerk des Gitarristen verliert sich ohne die Stimme von Liz Fraser gerne mal im Gleichklang, andere Kooperationen misslingen gänzlich oder landen allenfalls im Durchschnitt, aber die Soundtrack-Arbeiten mit dem amerikanischen Ambient-Avantgardisten Harold Budd zählen zu den Höhepunkten. CAROUSEL ist ein Glücksfall: Mal bewegt sich Guthrie sicher auf Cocteau-Twins-Terrain, mal erweitert er seinen Kosmos um Lounge-Prog im Stil von Air.

Vier Sterne

Lost Horizons – IN QUIET MOMENTS (2021)

Bassist und Bella-Union-Labelgründer Simon Raymonde gründet 2014 mit Stephanie Dosen das Projekt Snowbird, das jedoch scheitert, weil die Sängerin unnötigerweise Fraser zu folgen versucht. Raymondes nachfolgendes Projekt Lost Horizons befreit sich von dieser Last, indem verschiedene Sänger*innen übernehmen. Die erste LP klingt noch bemüht aufgeräumt, das Doppelalbum IN QUIET MOMENTS gibt den Gästen John Grant oder der Band Porridge Radio mehr Raum. Auf beiden Platten als Gast dabei ist Karen Peris, Sängerin der US-Dreampop-Band The Innocence Mission. Ketzerischer Gedanke: Wenn es einmal die Cocteau Twins (unter anderem Namen natürlich) ohne Liz Fraser geben sollte, dann bitte mit Karen Peris als Sängerin.

Viereinhalb Sterne

Erloschener Stern

Robin Guthrie / Mark Gardener – UNIVERSAL ROAD (2015)

Robin Guthrie und Ride-Sänger Mark Gardener: In der Theorie ein wunderbares Paar. Doch klingt das Album, als habe sich Gardener in Guthries Klangsystem eingehackt und dort ohne Gebrauchsanweisung Vocals auf Instrumentalspuren gepresst. Noch übler sind seine Lieder zur Akustikgitarre, die Guthrie mit der Motivation einer Person ergänzt, die nach dem Penny-Großeinkauf noch einmal in den Discounter muss, weil sie die Butter vergessen hat.

Zwei Sterne

Milchstraße

LULLABIES TO VIOLAINE VOL. 1 & 2 ( 2 0 0 5 )

Zwei mal zwei CDs mit allen Tracks von 16 EPs/Singles. Insgesamt 230 Minuten Musik, ein Kompendium der Schönheit und Einzigartigkeit.

Sechs Sterne

LIZ FRASERS KOMETENFLÜGE

Die Cocteau Twins sind noch aktiv, da veredelt Liz Fraser Stücke von Kollegen: „Primitive Painters“ von Felt (1985) und „Candleland“ von Echo & The Bunnymen-Sänger Ian McCulloch (1989) sind die größten Taten. Und vielleicht wäre This Mortal Coil, die Kollektiv-Idee von Ivo Watts-Russell, versandet, hätte Liz Fraser nicht auf dem ersten Album IT’LL END IN TEARS das Tim-Buckley-Stück „Song Of The Siren“ interpretiert. Ende der 90er singt sie „Teardrop“ von Massive Attack, ist auf Aufnahmen von Peter Gabriel und Yann Tiersen zu hören, ihre trip-hoppige Solosingle „Underwater“ (vier Sterne) erscheint 2000; 2009 folgt der digitale Tango „Moses“ (dreieinhalb Sterne). Dann der Bruch: Abseits weniger Soundtrackarbeiten mit ihrem Partner Damon Reece tritt Liz Fraser erst wieder 2020 in Erscheinung, als sie mit dem britischen Folk-Erneuerer Sam Lee dessen Single „The Moon Shines Bright“ sowie mit Sigur-Ros-Sänger Jónsi das Stück „Cannibal“ singt. Ihr jüngster Einsatz: „Tales From The Trash Stratum“, versteckt auf der Blu-Ray-Edition von Daniel Lopatins Weird-Electronica-Meisterwerk MAGIC ONEOHTRIX POINT NEVER aus dem Herbst 2021.