Clash
Der revolutionäre Geist der 76er Punk-Bewegung ist vom Winde verweht. Allein die Clash halten noch unbeirrbar das Fähnlein hoch. Auch wenn sie von ihren Kritikern als Schaumschläger und politische Poseure abgetan werden, geht für Strummer & Co. der Kampf weiter – mit frischer Kraft und neuer Mannschaft.
Als das einzige Gastspiel der weißen Rebel-Rock-Band in Deutschland (Ort: Düsseldorf) zu Ende ist, versammeln sich am rechten Bühnenrand die Fans der Clash: ein junges Mädchen mit Laufmasche auf schwarzem Strumpf und ein anderer Bravo-Teenager (weiblich), aus Stuttgart angereist, bitten einen Clash-Vertrauten um Audienz: „Kahn wieh ziih se bähnd?“ lautet der Wunsch der zwei, während Hunderte von Stachelhaar-Punks (made in 77) diszipliniert dem Konzertsaal ihren Lederjacken-Rücken kehren (mit der Aufschrift: PUNK IS NOT DE AD), „Das ist doch nicht wahr! Nur zwei?“, resümiert sichtlich enttäuscht der Clash-Intimus.
Hinter der Bühne, wir sind jetzt drei, empfängt uns Kosmo Vinyl, das Sprachrohr der Band. Der Fan aus Schwaben erzählt seine Geschichte der langen Anreise und fragt Kosmo: „Wo ist Mick Jones?“ (der kürzlich gefeuerte Clash-Gitarrist). Darauf Kosmo mit heruntergezogenen Mundwinkeln: „Mick Jones? Er wollte ein Künstler sein – und dafür gibt’s keinen Platz bei den Clash!“
Im Hintergrund zeigt sich derweil ein junger Mann mit Nickelbrille und grauer Pelzkopfbedeckung, wie sie Honecker bei Waldspaziergängen trägt; das markante/schöne Gesicht verrät den jungen Biskuit-Bolschewiken. Es ist Paul-Ivan Simonon, der Clash-Bassist.
Die Clash 1984 – vor modischer Videomonitor-Wand (auf der Bühne) und vor altmodischgestrig anmutendem Publikum (Punks und Hippies Hand-in-Hand). Mit zwei Gitarristen spielten sich die Clash hier und heute durch einen sicheren Rock ’n‘ Roll-Set mit einer Botschaft, die sie gestern kreierten, verkündeten und an der sie auch ’84 festhalten: „Keep on rioting!“.
Und die Clash strahlen dabei immer noch Spannung aus, weil sie immer noch etwas zu sagen haben – auch mit den Songs ihrer/der Vergangenheit.
Der Clash-Clan heute: Joe Strummer (Gesang/Gitarre), Paul Simonon (Baß/Gesang), Pete Howard (Schlagzeug), Vince White (Gitarre), Nick Sheppard (Gitarre).
Das Interview. Joe Strummer tritt ein, gibt mir die Hand, ich gebe ihm Entsprechendes, worauf er leicht schmerzverzerrt seine zurückzieht. „Eine vergessene Verletzung an den Fingern“, erläutert er und fährt sich über den rasierten Hinterkopf. Joe, warum immer noch/wieder dieser DeNiro-Haarschnitt?
(Anm.: Robert DeNiro legt sich im Scorsese-Film „Taxi Driver“ in einem Akt religiöser Selbstläuterung einen Irokesenhaarschnitt zu, um auf seinen Kamikaze-Rachefeldzug gegen das „Ungeziefer“ dieser Welt zu gehen.) „Weil ,Taxi Driver‘ ein Film ist, an den man glauben kann.“
Glauben, an was?
„Daran, daß es passieren kann. Du folgst diesem Typen und verstehst den Druck, der auf ihm liegt. Er versucht verschiedene Dinge, die nicht klappen. Dann spitzt sich alles auf diese Aktion zu, und nichts kann ihn mehr aufhalten!“
In „King of Comedy“, dem anderen Scorsese-DeNiro-Film, haben die Clash einen kurzen Auftritt. Wie kam das zustande?
„Das war nur ein Witz. Meine Filmkarriere habe ich an diesem Höhepunkt beendet, denn für mich kann ein Sänger kein guter Schauspieler sein. Es ist zwar sehr verführerisch, auch für mich, und beinahe wäre ich drauf reingefallen.“
Was ist die Idee der Clash heute, im Vergleich zu den Gründerjahren 76/77?
Strummer: „Ich arbeite hart daran, ein Publikum zu bekommen – denn Zuhörer kann man nicht so einfach erwarten; du mußt rausgehen und nach ihnen rufen!
Ich habe auch bemerkt, daß unsere Songs zu lang wurden, zu Studio-orientiert in ihrem Stil. Ich möchte, daß man hört, was ich zu sagen habe. Die Clash haben in der letzten Zeit vergessen, daß sie doch eigentlich immer versucht haben, etwas zu vermitteln.
Im letzten Sommer habe ich nochmal unser erstes Album studiert und festgestellt, daß das Gute daran dieser direkte Stil war, auch im Text, da gab es kein Drumherumreden. Die Songs waren athletisch, dicht und muskulös. Ich möchte 1976 nicht wiederherstellen, aber ich mag die Idee, daß wir eine Rebel-Rock-Band sind, die echten rauhen Rock ’n‘ Roll spielt. Unser Sound ist durch die viele Studioarbeit geglättet worden, ohne daß uns dies bewußt wurde; denn Produzenten haben ihren Ruf und wollen klug sein.
Ich glaube, daß es für einen Song sehr wichtig ist, wenn man ihn vor einem beobachtenden Publikum viele Male spielt, ehe man ihn für die Ewigkeit einfriert. Im Studio fühlst du dich wie in einem Unterseeboot, ohne Zeitgefühl und ohne Erinnerung an die Außenwelt.“
Also Entfremdung von der Person, für die ihr zu singen versucht. Wie siehst du dann den Clash-Auftritt im letzten Jahr auf dem gigantischen US-Festival?
„Das war wichtig für uns, weil wir sonst die Bühne der Schwachsinnsmusik überlassen hätten, all den Heavy Metal-Gruppen! Wir waren die einzigen, die sagten: .Wartet mal eine Minute: Die Wirklichkeit kann Nr. Eins sein‘!“
Rebellion ist also immer noch die Motivation für Clash?
„Natürlich! Was sind denn die Quellen für Information, wenn man an den Durschnittsmenschen denkt? TV, Radio, Zeitungen – und die Musik! Die Texte! Ich will mit den Clash kein Dogma verbreiten: ich will nur, daß die Leute nach dem WARUM, nach den Motiven der Ereignisse in ihrer Heimatstadt, ihrer Schule oder Fabrik fragen! Ich will nur ein bißchen Wahrheit finden – und Information. Ich sehe Information als Wahrheit und will deshalb bei mir selbst anfangen. Also habe ich als ersten Schritt die Drogen aufgegeben. Denn Drogen bewegen nichts nach Vorne, du bleibst einfach stehen!“
Als ich dich vor zwei Jahren in London traf, warst du voll mit Gras und Alkohol. Was konkret hat dich bewogen, die Drogen wegzuwerfen?
„Unser Trip nach Japan. Wenn du eine andere Kultur erlebst, erkennst du Vieles! In Tokio leben Millionen von Menschen auf engstem Platz und da findest du überhaupt keine Drogen!
Ich fühlte mich in dieser Umgebung mit meinen Drogen wie ein Stück Elend, plump und taub. Sie haben mir die Dekadenz der West- Welt deutlich gemacht. Als ich mich von den Drogen befreit hatte, fühlte ich mich frei wie ein Vogel. Ich bin aufgewacht und habe gesehen, daß der Drogenkonsum sich eigentlich anfühlte wie ein Steckenbleiben im Lift. Die Clash hatten einen großen Fehler: Wir rauchten zuviel Marihuana!“
Anfang 82, am Vorabend einer ausgedehnten Clash-Tournee in England, war Joe Strummer plötzlich in der Versenkung verschwunden. Und niemand wußte wie, wo, warum…
„Das war sehr romantisch; ich nahm den Nachtzug nach Paris. Für mich gab es mehrere Gründe: In England wollte eigentlich niemand mehr die Clash sehen, weil die Musikpresse zusammen mit der Plattenindustrie jeden Tag den Leuten einen neuen Kult verkauft.
Und da gab es dieses riesige Problem mit Mick Jones: Er wollte uns einfach nicht vertrauen. Uns! Wem zum Teufel will er vertrauen, wenn nicht uns! Er wurde sehr zynisch. Wir wollten eine Tournee durch Australien machen und Mick sagte: .Scheiße! Ich bleibe hier. ‚Als wir unsere Europa-Tournee machten, stand Mick jeden Morgen mit gepackten Koffern in der Hotelhalle und sagte mir: ,lch fahre nach London! Ich fliege nach New York! Wer will mich denn davon abhalten?‘ Ja, ich habe ihn aus der Band geworfen!
Ein anderer Grund, warum ich nach Paris verschwand, war (der langjährige Clash-Drummer) Topper Headon. Ich habe mit ihm gearbeitet und zusammengelebt, und da erzählt er mir, daß er seit 18 Monaten heroinsüchtig ist! Und er zeigte keinen Willen, davon loszukommen. Wir schickten ihn auf eine Entziehungskur, ohne Erfolg.
Ich glaube, ein anderer großer Fehler der Clash war, daß wir Topper zum Heroin kommen ließen! All dies hat mich ziemlich mitgenommen, darüber wäre ich fast verrückt geworden daher der Nachtzug nach Paris!“
Und was hat dich dazu bewogen, zurückzukommen?
„Kosmo hat mich gefunden! Drei Wochen lang trank ich Wein, nahm am Pariser Marathonlauf teil, hatte einen Bart. Gott sei Dank hat mich Kosmo gefunden! Denn ich konnte meinen Rückweg einfach nicht mehr finden – obwohl der Wille da war!“
Nur du und Paul sind von den alten Clash übrig; mit drei neuen Leuten hast du heute abend auf der Bühne gestanden und Songs aus alten Strummer-Mick-Jones-Zeiten gespielt. Was hast du für ein Gefühl dabei?
„Zunächst dachte ich, es wäre schwierig, denn zusammen mit Mick und Topper haben wir ja viele gemeinsame Sachen erlebt. Die Trennung war schon hart für mich. Ich habe versucht, diese Band so lange wie nur möglich zusammenzuhalten, eigentlich viel zu lange, denn Mick nahm sich immer mehr Freiheiten heraus. Kosmo hat mich immer wieder zum Einlenken überredet! Und Topper, den wir ein Jahr zuvor gefeuert hatten, ließ keine Bereitschaft erkennen, seine Sucht abzulegen. Die Situation mit Topper und Mick war ausweglos; ich stand vor der Wahl: entweder das Ende oder eine neue Clash.
Kannst du dir vorstellen, einmal so zynisch wie John Lydon mit deiner Vergangenheit umzugehen?
„Nein, ich will niemals zynisch sein. Aber ich sehe, daß wir in der Vergangenheit Fehler machten; das bedrückt mich, aber ich habe daraus gelernt.“
Und wie siehst du die Rolle der Clash nach dem Auslaufen ¿der 76er Punk-Bewegung?
„Der Punk ist verschwunden, weil es zu wenig Originale und zuviel Imitatoren gab. Punk sollte die Schleusen öffnen und Verrückte nach oben spülen stattdessen gröhlte selbst deine Oma in einer Punkband, konstruierte Songs ohne jede Leidenschaft.
Die Clash haben den Fehler begangen, mit den Aufnahmen zu LONDON CALLING 1978 den Punk-Rock fallengelassen zu haben. Weil wir nicht Teil dieser emotionslosen Formal-Punk-Bewegung sein wollten, fingen wir an zu spielen, zu sehen, was wir eigentlich spielen können.
Das bedauere ich. denn wir hätten der Bewegung durch unser Beispiel Stärke geben können! Die Leute waren traurig darüber, daß es die Sex Pistols nicht mehr gab – und sie setzten ihre Hoffnungen in die Clash.“