„Wir waren nicht kriminell“: Rammsteins Flake über Underground-Musik in der DDR
„Wir haben den Sinn dieser Spielerlaubnis nie in Frage gestellt“: Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz‘ im Interview mit Linus Volkmann über seine früheren Bands Feeling B und Magdalene Keibel Combo sowie über legale und illegale Konzerte in der ehemaligen DDR, Westmusik auf getauschten Kassetten und die Talking Heads.
Christian „Flake“ Lorenz‘ 1983 in Ost-Berlin gegründete Band Feeling B gilt als ein Vorläufer Rammsteins. Neben Flake spielten dort unter anderem seine späteren Rammstein-Kollegen Paul Landers und Christoph Schneider mit. Feeling B besaß in der DDR eine offizielle Spielerlaubnis und großes Szene-Renommee. Weniger bekannt dagegen war Flakes Band Magdalene Keibel Combo, die im Underground agierte und keine behördliche Einstufung besaß. Über Musik und Illegalität in der DDR sprach Flake mit Linus Volkmann.
Feeling B hatten sich Anfang der 80er „einstufen“ lassen und durften damit offiziell in der DDR auftreten, während Du aber genauso in diversen nicht-lizensierten Bands (allen voran die Magdalene Keibel Combo) aktiv warst. Welchen Stellenwert hatte für Dich die Underground-Musikszene der DDR?
FLAKE: Kaum hatten wir mit Feeling B etwa fünf Lieder im Repertoire, versuchten wir, diese überall zu spielen, wo es uns möglich war. Das war auf privaten Partys, in Wohnungen, noch besser Gärten von irgendwelchen Bekannten, oder wenn andere Bands wie Freygang und Pardon uns inkognito zu ihren Konzerten mitnahmen und in der Pause spielen ließen, und in einigen Kirchen zu Bluesmessen oder ähnlichen Veranstaltungen. Ein in der DDR üblicher Pragmatismus ließ eher die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede zwischen Punk und Kirche suchen. So konnten wir in der ersten Zeit einige Male auftreten. Da wir aber aus verschiedenen Gründen nicht zweimal bei Bekannten eingeladen wurden und die Bands uns auch nicht mehr mitnehmen wollten, weil wir durch den Verkauf von selbstgebastelten Ohrringen mehr Geld als sie mit ihren Auftritten verdienten, bewarben wir uns um eine Einstufung als Amateurband. Außerdem ließen wir es wohl auch an Dankbarkeit fehlen – und da nur wenige Pfarrer so weltoffen waren wie der Jugendpfarrer Eppelmann, waren unsere Möglichkeiten, überhaupt vor Leuten zu spielen, zu schnell aufgebraucht gewesen.
„Wir haben den Sinn dieser Spielerlaubnis nie in Frage gestellt“ (Flake)
Es gab unterschiedliche Einstufungen für Bands. Daran hing auch, in welchem Rahmen sie auftreten konnten und was sie an Geld bekamen? Amateurband war die untere Stufe.
FLAKE: Profis konnten wir nicht werden, da wir nicht Musik studiert hatten. Wollten wir in Clubs und auf großen Veranstaltungen spielen, brauchten wir also eine Spielerlaubnis. Wir haben den Sinn oder die Notwendigkeit dieser Spielerlaubnis nie in Frage gestellt. Man braucht ja auch eine Fahrerlaubnis, bevor man auf der Straße fahren darf. Oder einen Pilotenschein. Das Vorlegen der notwendigen Papiere wie polizeiliches Führungszeugnis und Erlaubnis des Arbeitgebers stellte kein Problem dar. Dann haben wir wochenlang für diesen Auftritt geprobt und letztendlich eine Sonderstufe mit Konzertberechtigung bekommen.
Auftritte ohne diese Spielerlaubnis standen unter Androhung von Geldstrafe. Hat Euch das bei der Magdalene Keibel Combo nicht abgeschreckt?
FLAKE: Wir erhielten als einzelne Musiker eine eigene Spielerlaubnis, mit der wir dann in allen anderen Bands mitspielten – wie zum Beispiel in der Magdalene Keibel Combo. Als Band besaß die keine Einstufung, aber man konnte auftreten, da alle beteiligten Musiker eine eigene Erlaubnis besaßen. Die Punkbands wie zum Beispiel Antitrott, die sich dem völlig verweigerten, behielten zwar ihre Autonomie und ihren Status bei den Punks, bezahlten aber einen hohen Preis dafür, da sie so gut wie nie auftreten konnten. Wir hatten nie das Gefühl, uns irgendwie verbogen zu haben. Zumal wir auf den Dörfern unser Programm zu 100 Prozent so gestalteten, wie wir uns das vorstellten. Was jeder bestätigen dürfte, der uns in den Achtziger Jahren im Konzert erlebt hat. Dabei war unsere Zielsetzung nicht irgendeine Subkultur voranzutreiben, sondern Musik zu machen und uns vor allem restlos zu betrinken.
War die konkrete Gefahr, die mit subversiver Kunst in der DDR einherging, für Dich eigentlich ein Motor – oder doch bloß Belastung?
FLAKE: Der Staat hatte wenig Einblick in die Sachen, die in den vielen Dorfsälen passierten. Einzig in Städten wie Berlin und Leipzig sahen sich einige Beobachter unsere Konzerte an und mokierten sich über unsere Texte oder unser generelles Auftreten. Ab und an verboten sie uns, in bestimmten Clubs oder Orten zu spielen – komischerweise ist uns das später im Westen genauso gegangen. Dann spielten wir eben woanders. Diese vermeintliche Gefahr, oder dieses Gefühl, etwas halb Verbotenes zu tun, schaffte ein gutes Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Bands untereinander und zwischen Bands und ihren Fans. Eine wirkliche Gefahr hat in meinen Augen nie für uns bestanden. Wir waren nicht kriminell.
Wie bist Du in jener Zeit an West-Platten gekommen?
FLAKE: Ich für meinen Teil hatte so gut wie keine Platten aus dem Westen. Dafür hatte ich viele Kassetten mit Liedern, die ich selbst aus dem Radio aufgenommen, oder mir von Freunden überspielt hatte, die sie wiederum auch aus dem Radio hatten oder sich von Freunden überspielt hatten. Manche Leute hatten sich angewöhnt, immer extra wach zu bleiben, um die Sendung mit John Peel von Anfang bis Ende mitzuschneiden, um alle guten Lieder zu erwischen. Die Trefferquote war dort sehr hoch. Durch dieses häufige Überspielen von Kassette auf Kassette und die Bandkompression veränderten die Lieder ihren Klang. Als ich dann nach der Wende dieselben Lieder auf einer CD hörte, war ich völlig enttäuscht davon, wie kalt und steril diese Aufnahmen in meinen Ohren klangen. Ich hatte mich ja in langen Jahren an den warmen Klang der Kassetten gewöhnt.
Und gab es Möglichkeiten, der Platten auch in echt habhaft zu werden?
FLAKE: Wenn wir doch die originalen Platten aus dem Westen wollten, mussten wir nach Budapest fahren und hoffen, dass es sie im Fonograph-Laden zu kaufen gab, man konnte dort angeblich auch Platten bestellen, oder wir bekamen sie von Freunden, die ausgereist waren und uns nicht vergessen hatten. Sie übergaben uns die Platten dann in Prag oder Karlsbad, wo wir uns mit ihnen treffen konnten. Lustigerweise schenkten sie uns Platten von befreundeten Westberliner Bands, die zum Teil noch ziemlich unbekannt waren und vielleicht nur eine Auflage von 500 Stück hatten. Da ihre Platte in der DDR so gut verbreitet, verborgt und überspielt wurde, hatte diese Band hier ganz viele Fans und wir dachten alle, dass eine Band, die im Westen eine Platte macht, weltberühmt ist und stellten diese Bands für uns auf eine Stufe mit den Stones und den Sex Pistols. Nach der Wende wunderten sich die Bands, wie viele Leute sie plötzlich kannten.
Fällt Dir eine Platte ein, die Du organisiert hast in der Zeit, die Dir besonders wichtig ist?
FLAKE: Als in den Achtziger Jahren das Lied „Road To Nowhere“ von den Talking Heads im Radio hoch und runter lief, war das für mich der absolute Hit. Einmal war ich auf einer Party bei einer Künstlerin, die ziemlich viele Westplatten hatte. Da stand auch eine von den Talking Heads. Ich fragte sie, ob ich mir die borgen kann und zu meiner riesigen Überraschung gab sie mir die Platte mit. Es war sogar ein Doppelalbum. Zu Hause angekommen legte ich noch nachts die Platten auf und spielte sie von Anfang bis Ende ab, ohne dass das Lied „Road to Nowhere“ kam, was ja das einzige Lied war, was ich von ihnen kannte. Ganz kurz war ich enttäuscht, bis ich merkte, wie gut alle diese Lieder waren, die ich überhört hatte, weil es nicht das war, was ich kannte. Seitdem ist das meine Lieblingsplatte der Talking Heads, obwohl ich danach noch ganz viele gute Lieder der Band entdeckt habe. Natürlich habe ich die Platte pünktlich und ordentlich wieder zurückgegeben.
Noch mehr unterhaltsame Eindrücke aus der abenteuerlichen Vergangenheit von Flake finden sich übrigens in seinen Büchern:
„Der Tastenficker. An was ich mich so erinnern kann“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf) sowie „Heute hat die Welt Geburtstag“ (S.Fischer Verlag).