Chemical Brothers
ES IST KURZ NACH HALB EINS, als die Chemical Brothers auf die Bühne huschen und sogleich hinter ihren Synthesizern und Mischpulten abtauchen. Das Publikum tobt. Kein Wunder. Seit mehr als drei Stunden heizen diverse DJs (u.a. der BreakbeatLondon, Brixton Academy Pionier Kool Herc) und Vorbands (u.a. die famosen Death In Vegas) die „Academy“ auf mittlere Sauna-Temperaturen vor. Dicke Nebelschwaden ziehen vorüber, die jeden Drogenhund auf der Stelle kollabieren lassen würden. Die Versorgung mit Ecstasy und anderen Rauschmitteln ist besser organisiert als der Bierverkauf. Vor der Halle ist der Schwarzmarktkurs für Tickets inzwischen auf Kleinwagenniveau geklettert.
Drinnen wiederholen sich auf drei Leinwänden über der Bühne in Endlosschleifen abstrakte Schwarzweiß-Videos, zwei scheinbar frei im Raum schwebende, spacig illuminierte Würfel dienen als zusätzlicher Blickfang. Ein plötzlich hereinbrechendes Strobo- und Lasergewitter sorgt außerdem dafür, daß von Ed Simons und Tim Rowlands so gut wie nichts zu sehen ist. Aber zu hören. Lage für Lage wuchten die Brüder im Geiste monströse Rhythmen übereinander, nur um mit fiesen Samples (vorzugsweise Sirenengeheul und Kreissägen) bizarre Löcher in den zerklüfteten Soundwall zu sprengen. Mitunter tauchen zumindest marginale Elemente von Tracks wie „Block Rockin‘ Beats“ oder „Loops Of Fury“ auf. Ansonsten gefallen sich die Chemical Brothers als manische Klang-Terroristen. Selbst ihr Hit „Setting Sun“ birst unter dem Druck destruktiver Drumpatterns, „Leave Home“ entpuppt sich gar als die chemische Formel für Lärm. Mehrere Sattelschlepper, ein Güterzug und eine wildgewordene Meute Polizeiautos scheinen gleichzeitig durch die Halle zu donnern. Nach knapp zwei Stunden gipfelt das Inferno schließlich in einem Soundbeben von apokalyptischen Ausmaßen. Rock’n’Roll, Jahrgang 1997.