Change we can believe in


Glastonbury hat seinen ersten HipHop-Headliner. Und das war erst der Anfang im Change!-Jahr 2008

LONDON/CLASTONBURY/NEW YORK – Es war eine Nominierung, die an Althergebrachtem rührte und Potential hatte, die Nation zu spalten. Mit harten Bandagen, bisweilen unter der Gürtellinie und mit rassistischen Untertönen wurde eine Debatte geführt, die das überkommene kulturelle Selbstverständnis eines bröckelnden weißen anglosächsischen Mehrheitsmainstreams in Frage stellte und den charismatischen afroamerikanischen Kandidaten ein ums andere Mal das Zauberwort beschwören ließ, das dieses Jahr wie kein anderes bestimmte: Veränderung! „Die Welt kann nicht ewig die gleiche bleiben – und das ist das Schöne daran. Sie verändert sich und wir müssen diese Veränderungen annehmen.“ Und: „Wenn wir uns nicht auf das Neue einlassen – wie sollen wir dann Fortschritte machen?“

Es war vielleicht nicht die bedeutsamste Frage in diesem Popjahr, aber sicher eine der am leidenschaftlichsten diskutierten: Is Glastonbury readyfor a rap president? Ist das „Mutterschiff aller Rockfestivals“, der jährliche europäische Zentralevent des weißen Gitarrenrock, bereit für einen US-Rapper als Headliner?

Die Verpflichtung von Jay-Z als Top-Act von „Glasto“ 2008 sorgte schon seit Februar für Aufregung in Internet-Foren, wobei Festival-Co-Organisatorin Emily Eavis in einigen Postings „Untertöne“ wahrnahm, die sie „etwas beunruhigten“. Zum aufbauschfähigen Thema für die Medien wurde die Kontroverse, als sich im April Britrock-Kanzler Noel Gallagher quasi zum Oppositionsführer aufschwang und die Verpflichtung des Rappers und die Kombination Glastonbury + HipHop schlechthin – in einem BBC-Interview als, „falsch“ geißelte. „Glastonbury ist traditionell ein Ort für Gitarrenmusik.“

Eine Sicht der Dinge, die Jay-Z nicht akzeptieren wollte. „Ich meine, dass HipHop eine Kunstform ist, die respektiert werden sollte wie jede andere auch. Ich höre alle möglichen Arten von Musik und so soll es sein, darum geht’s doch in der Welt: das Vermischen der Kulturen“, sagte der designierte Headliner und streckte dann in Ausübung seines Amtes beim Festival im Juni der Gegenseite die Hand entgegen, indem er seinen Set mit Oasis‘ „Wonderwall“ eröffnete, eine weiße Stratocaster vor dem Bauch. „HipHop ist RICHTIG für Glastonbury“, resümierte der Kritiker des Guardian seine erfreute Kritik. „Die Zeiten haben sich geändert, Mr. Gallagher.“

Wir werdenjetzt aufhören, weiter den Vergleich zu kitzeln. Aber es passte einfach zu schön, wie dieser kleine – aber in seinen Implikationen vielleicht nicht ganz zu unterschätzende – Sturm in Rockhausen die große, historische politisch-gesellschaftliche Konfrontation und Umwälzung spiegelte, die sich dieses Jahr in den USA vollzog und die halbe Welt in Atem hielt mit Barack Obamas Verheißungen von „change“ und „hope“. Letzteres ein Aspekt, der an Bedeutung gewann, je mehr sich seit Herbst die ersten Beben der Börsen- und Finanz- zur bald schon Wirtschaftskrise mit ihren noch unabsehbaren Folgen auswuchsen. Change we can believe in? Aber hallo. 2009 könnten einschneidendere Veränderungen auf uns zukommen, als sich jetzt jemand träumen lässt. Und um mit dem ersten schwarzen Headliner von Glastonbury zu sprechen: We’ve got 99 problems but engstirnige Musikgeschmacks-Grabenkämpfe shouldn’t be one.