CD-Platten
Wie im letzten Heft versprochen (vgl. „CD-Piraten“ in 3/87) das Neueste von der Raub-CD-Front: Immer mehr Fabriken beginnen eigene Produktion der Silberscheiben, und die existierenden Werke weiten die Kapazitäten ständig aus. Genau das machen sich pfiffige Zeitgenossen zunutze, die Lohnfertigungsaufträge placieren und „Digitally Mastered“-Bänder aus obskuren Quellen zu CDs verarbeiten lassen. In diesem aufblühenden Gewerbe tummeln sich manche Geschäftemacher, die schon in den 70er Jahren mehrfach wegen Plattenpiraterie vor dem Kadi standen, und mittlerweile findet man hunderte von Raub-CD-Titeln in den Regalen — vornehmlich mit „Antiquitäten“, bei denen die Rechtslage undurchsichtig erscheint!
So einen Grenzfall stellt beispielsweise der Japan-Import THE BEAT-LES/1960-1962 dar, versehen mit dem „Overseas Records“-Label und angeblich hergestellt von einer Teichiku Records Co. in Nippon. Das Material, insgesamt 30 (!) Songs mit einer Spieldauer von 70’43“, überschneidet sich teilweise mit dem, was vor Jahren mal auf englischer Import-LP als THE COMPLETE SILVER BEATLES ins Land kam. Optisch aufgemacht wie die berühmten Hit-Kompilationen der EMI, spotten diese Aufnahmen auch auf CD jeglicher Bootleg-Qualität. Man muß vermutlich einen ausgeprägten Hang zum Masochismus besitzen, wenn man den Player mit solchen „Raritäten“ füttert. Darum noch einmal die Warnung: Wo einem der Name der Plattenfirma schier gar nichts sagt, sollte man lieber erst einmal im Geschäft in solche CDs reinhören, bevor man dafür Bares auf den Tisch legt. Sonst kann man böse Überraschungen erleben. Ein Geschäft, das Raub-CDs anbietet, müßte den Schund zwar zurücknehmen und das Geld erstatten. Einen Musterprozeß hat es allerdings in punkto CD-Piraterie bislang noch nicht gegeben.
Kommen wir zu Erfreulicherem:
Peter Gabriel PLAYS LIVE gibt es jetzt auf zwei CDs und ohne Kürzungen (Geffen 4012-2/Disco Box-Import); womit man wieder beim leidigen Erbsenzählen wäre. Die knapp 90 Minuten Spielzeit waren nicht auf einer CD unterzubringen, so daß man einen stolzen Betrag hinblättern darf, wenn man den Mitschnitt in originaler Länge auf Digitalscheiben besitzen möchte. Den derzeit niedrigen Dollarkurs geben nämlich längst nicht alle Importeure an die Kunden weiter.
Vorbildlich verhält sich da das Plattenunternehmen der Universal. Es hat eine „Two On One“-CD-Serie aufgelegt, das wie die entsprechende Motown-Serie hoffentlich Schule macht. Beste Wiederveröffentlichung bislang ist die Joe Walsh-Kopplung THE SMOKER YOU DRINK, THE PLAYER YOU GET mit YOU CANT ARGUE W1TH A SICK MIND (MCAD-5869. ebenfalls über Disco Box zu bestellen).
Zumindest in diesem Fall verhielt man sich auch bei Atlantic vorbildlich. Die sieben Doppel-LPs der ATLAN-TIC RHYTHM & BLUES-Box 1947-1974 (ATL 781 293/299-2) publizierte man auf sieben Einzel-CDs; allerdings ließ man im Zweifelsfall einen bis drei Songs der Vinyl-Äquivalente aus Kapazitätsgründen beim Silber-Diskus weg. Was auch aus der Sammler-Perspektive ärgerlicher erscheint: Anstatt von frühen Coasters bis zu spätem Otis Redding die vorhandenen Stereo-Abmischungen zu überspielen, benutzte man die Stereo-Originale offenbar nur dort, wo partout kein Mono-Mix vorlag. Was nun wirklich grotesk anmutet. Denn anders als bei den schwarzen Scheiben gab es keine technisch zwingenden Gründe, die seinerzeit für Singles erstellten Mono-Mischungen auch bei den CDs zu verwenden.
Da haben sich wenigstens die amerikanischen Techniker bei Capitol Records der Sammler erbarmt und fast alles, was an frühen Beach Boys-Klassikern stereofon aufgezeichnet wurde,
auch so auf ENDLESS SUMMER (Capitol CDP 746467-2/US-Import) überspielt. Zu loben ist nochmals die britische Firma PRT. die all das. was die Kinks für Pye aufnahmen, so vorhanden auch in Stereo auf CD wiederveröffentlichten. Die Kollektion umfaßt inzwischen LIVE AT THE KELVIN HALL (88ü 226), ARTHUR OR THE DECLINE AND FALL OF THE BRITISH EMPIRE (880229), LOLA VERSUS POWERMAN AND THE MONEYGOROUND (880230, alle über Ariola Import) sowie frühe Mono-LPs. Noch in diesem Monat sollen auch Kinks-Klassiker wie SOMETHING ELSE und V1LLAGE GREEN PRESERVATION SOCIETY in der stereofonen Urgestalt folgen, die vorher auf dem Warner-Label Reprise ungeschnitten und unverfälscht als US-Platten zu haben waren. Zum 25jährigen Jubiläum kann man endlich die Kinks der 60er Jahre in — relativ — besserer Klangqualität kaufen als jemals vorher.
Zum nämlichen Jubiläum (25 Jahre) fand man sich endlich auch bei Island Records bereit, wichtige Aufnahmen aus dem Katalog auf CD zu bringen, darunter gleich sechs Bob Marley-Originalplatten, Altes von Nick Drake, Free und Steve Winwood und das neueste Werk von Tom Waits. Schneller als die Ariola und deren CD-Fabrik Sonopress waren die Importeure gewesen: Der Fairport Convention-Folk Rock-Meilenstein LIE-GE AND LIEF (Island CID 9115) war genauso wie das seinerzeit von den SOUNDS-Lesern zur Platte des Jahres erklärte Debüt PLAY LOUD! der B-52’s aus England in bundesdeutsche Geschäfte gelangt. Nach ebenso unerfindlichem wie wenig weisem Ratschluß findet man im CD-Jubiläums-Paket von Island merkwürdigerweise nicht die definitive Anthologie der Spencer Davis Group. Da überläßt es Island-Chef Chris Blackwell wohl den CD-Piraten, einen „Greatest Hits“-Verschnitt der von ihm so nachhaltig protegierten Band zu publizieren. Immerhin ist Steve Winwood nicht nur mit mehreren Solo-Platten, sondern auch mit Traffic-Produktionen (JOHN BARLEY-CORN MUST DIE, THE LOW SPARK OF HIGH-HEELED BOYS) im CD-Katalog vertreten.
Echte Neuheiten, die aus unterschiedlichen Gründen eine nachdrückliche Empfehlung verdient hätten, waren in den letzten Wochen auf CD fast so selten wie Schneeverwehungen auf Jamaika. Nur die Polygram hält in der Regel Novitäten von BJH und Deep Purple bis Rosie Vela auch prompt auf CD präsent. Anderes wie die jüngsten Aufnahmen der Steve Miller Band (Capitol CDP 746326-2) oder Nick Caves KJCKING AGAINST THE PR1CKS (Mute INT 846.820) kommt mit Wochen und Monaten Verspätung — wer will das dann nochmal auf CD kaufen? Oder so lange warten??? Bei FILIGREE & SHADOW von This Mortal Coil (4DAD 609) spricht dafür die Klangqualität und die Spielzeit von gut 74 Minuten, bei Pete Townshends DEEP END LIVE! (Atco 790553) der Raritätenwert: Diese Auswahl aus dem Video-Mitschnitt des Brixton-Konzerts ist auf absehbare Zeit nur auf Import-CD zu kaufen und auch nicht zur Veröffentlichung bei Townshends neuer Plattenfirma Virgin vorgesehen.
Wer im übrigen das Debüt von Rosie Vela für eine technisch brillant produzierte Enttäuschung oder Belanglosigkeit hält, der sollte vielleicht doch mal in ein anderes Debüt reinhören: HOPE IN A DARKENED HEART von Virginia Astley (WEA 242039-2/ Teldec Import Service) ist eine so naiv wie raffiniert anmutende Mischung aus Folk und Elektro-Pop, bei der David Sylvian einen Song lang im Duett zu vernehmen ist. Die Arrangements tendieren zwar gelegentlich zu gefährlicher Nähe von High Tech-Kitsch, aber bizarr ist das Unternehmen zweifellos.
Wenn es an einem in den letzten Wochen wahrlich nicht mangelte, dann waren das „Greatest Hits“-Zusammenstellungen für CD, angefangen von den 22 CLASSIC CUT von Little Richard (Ace CDCH 195/TIS) und RUNA-WAY HITS von Del Shannon (Edsel CD 121/Disco Box-Import) über Donovans GREATEST HITS (Epic EK 26439/US-Import) und THE BEST OF ROBERTA FLACK (Atlantic 250840) bis zu Neil Youngs GREA-TEST HITS (Reprise 925 271-2) und A QUIET NORMAL LIFE, ein „Best of.. .“-Querschnitt von Warren Zevon (Asylum 960 503-2).
Aus preiswerterer deutscher Fertigung liegt jetzt THEN AND NOW… THE BEST OF THE MONKEES (Arista 257 874 mit 25 Songs) genauso Hot wie A DECADE OF STEELY DAN (MCA 251957-2), so daß man dafür nicht mehr die happigen Importpreise berappen muß und trotzdem identische Klangqualität erhält, weil von den gleichen digital umgeschnittenen Bändern gemastert wurde.
Enttäuschend fielen dagegen zwei von Warner Special Products betreute und vorerst nur als teure Importe greifbare CDs aus. Für THE ULTIMATE COASTERS (Warner Bros. 927604-2) benutzte man bei etlichen Songs („Charlie Brown“, „Poison Ivy“ u. a.) wieder mal nur den Mono-Mix; bei den 20 Songs von THE ULTIMATE OTIS REDDING (Warner Bros. 927608-2) filterte man die Höhen so drastisch, daß zugunsten reduzierten Bandrauschens einiges von der ursprünglich denn doch korrekteren Balance verlorenging. Auch hier gilt: lieber erst mal reinhören.