CD-Platten
Wer heute tatsächlich all das hören will, was die Plattenindustrie an Veröffentlichungen bietet, der ist praktisch gezwungen. Plattenspieler. Cassettenrecorder und CD-Player zu besitzen. Sonst entgeht ihm unter Umständen nämlich so einiges! Beispiele gewünscht?
Die kompletteste Single-Kollektion der Cure ist nicht als CD, sondern auf Doppel-LP bzw. auf MC erhältlich. Denn die 25 Titel von STANDING ON THE BEACH (Fiction/Metronome 829 239-4) paßten schlicht nicht auf eine CD. Dasselbe gilt für David Sylvians GONE TO EARTH, wo man für die CD (Virgin 352 803-222) kurzentschlossen vier Kompositionen des Doppelalbums (Spielzeit rund 81 Minuten) unter den Schneidetisch fallen ließ, ausgehend von der Tatsache, daß sich Doppel-CDs erfahrungsgemäß schlechter verkaufen lassen, wenn es sich nicht gerade um »Klassiker« von den Doors bis Zappa handelt.
Das ist auch der Grund, warum Motown seit Monaten viele der bekanntesten Soul-Stars in der Serie „2 All Time Great Classic Albums“ neuerlich vermarktet, indem man zwei LPs auf einer CD von rund 70 Minuten Spielzeit unterbringt. Jüngste Wiederveröffentlichungen: GOING TO A GO-GO und THE TEARS FOR A CLOWN von Smokey Robinson and The Miracles (Ariola Import 886 053-225). CLOUD NINE und PUZZLE PEOPLE von den Temptations (Ariola Import 886 066-225), Edwin Starrs 25 MILES und WAR AND PEACE (Gordy GCD 08020 GD/US-Import) und dann die wichtigste von allen, nämlich Marvin Gayes WHAT’S GO-ING ON gekoppelt mit LETS GET IT ON aus den Jahren 1971 bzw. 1973 (Ariola Import 886 062-225).
Diese überwiegend bei Denon in Japan gefertigten Import-CDs bieten schon mal insofern klangtechnische Vorteile, als sie vom originalen Mutterband überspielt sind und nicht von mittelmäßigen bis schrecklichen Kopien, die Motown noch bis Mitte der 70er Jahre an die Lizenznehmer in Übersee für die Plattenherstellung verschickte. Dieser von Soul-Fans beklagenswerte Zustand änderte sich erst um 1980. Bei Stevie Wonders SECRET LIFE OF PLANTS und nachfolgend HOTTER THAN JULY (jetzt auf Motown/RCA ZD 72015 als CD erhältlich) konnte man soviel schon jetzt nicht mehr falsch machen, denn Sound-Freak Stevie mischte hier das Stereo-Mutterband schon auf Digital-Zweispur-Maschine ab.
Über die „Bonus-Politik“ der Plattenkonzerne dürften die unbeugsamen Liebhaber der schwarzen Scheibe auch nicht unbedingt entzückt sein. So enthält die Talking Heads-CD von TRUE STORIES (EMI CDP 746345-2) zusätzlich den Maxi-Mix von „Wild Wild Life“, bietet das Debüt von Anna Domino auf Silberdiskus über die LP hinaus die Songs „Sixteen Tons“ und „Half Of Myself“. enthält Eric Claptons NO REASON TO CRY (RSO 813 582-2) den bislang unveröffentlichten Blues „Last Night“.
Noch ärgerlicher wird’s, wenn sogar brandneue Sachen wie Rodney Crowells STREET LANGUAGE (Columbia CK 40116) oder Albert Lees SPEECHLESS (MCA Records MCAD-5963. beide als US-Import über Disco Box) überhaupt nicht mehr auf Platte, sondern nur noch als teure Import-CDs greifbar sind, weil die europäischen Tochterfirmen solche Aufnahmen für so total unkommerziell halten, daß sie die nicht mal mehr einer Veröffentlichung auf Vinylscheibe für wert befinden. Diese Art der Veröffentlichungspolitik fördert denn doch mehr Frust als Lust.
Denn auf CD wird mittlerweile auch etliches herausgebracht, was sich prompt als unverkäuflich auf Digitaltonträger erweist (und dann unter Einkaufspreis verramscht wird), während andere wirklich herausragende Aufnahmen in so lächerlichen Auflagen gefertigt werden, daß sie rasch wieder vergriffen sind: Engpässe bei den Mastering- und Hersteller-Kapazitäten, teilweise aber auch ziemliche Ahnungslosigkeit in den A&R-Abteilungen. Ersteres zumindest dürfte sich im Lauf des Jahres geben, denn die mittlerweile vorbereitete CD-Kapazitäten sind so enorm, daß spätestens Mitte ’87 mit deutlichem Preisverfall gerechnet wird.
Japan-Importe sind dann — des hohen Yen-Kurses wegen — nur noch interessant, wenn sie rare, anderswo nicht erhältliche Aufnahmen enthalten. Dagegen werden auch US-Importe wie THE BEST OF JOE WALSH (MCA Records MCAD-1601, um Lichtjahre besser als die klanglich miese Vinyl-Version) oder die Gene Pitney-ANTHOLOGY der Oldies-Spezialisten von Rhino (RNCD 75896. über L&P in Berlin zu beziehen) demnächst entschieden preiswerter, wenn erst einmal die neuen Fabriken von Philips/DuPont, Denon usw. voll in Betrieb sein werden.