Can Solo Projects


SEIT DEN LAUWARMEN REAKTIONEN AUF IHR „RITE TIME-Comeback-Album vor zehn Jahren weigern sich Can beharrlich, auf den Revival-Zugzu springen. Immerhin akzeptieren sie Remixe ihrer bahnbrechenden Werke aus den Siebzigern. Und manchmal reisen sie sogar gemeinsam zu Konzerten an. Das war’s dann aber auch mit dem trauten Miteinander. Denn danach bieten sie,statt alter Can-Stücke, getrennt voneinander ihre Soloprojekte in einem über vierstündigen Konzertmarathon dar. Damit jeder merkt, daß sie lieber nach vorne als zurück schauen. Holger Czukay tritt mit Funkempfänger, Sampler und einem Regal voller Computerbildschirme in Aktion. Er ruft elektronische Endlosschleifen ab, die eine Urform von Techno suggerieren. Friedliche Ambient-Sequenzen wechseln sich mit bedrohlichen Wall-of-Sound-Passagen ab, ehe am Ende seines Sets eine Amazone den Velvet Underground-Klassiker „Sunday Morning“ vorträgt und damit für einen unerwartet harmonischen Schlußpunkt sorgt. Unspektakulär. Michael Karoli empfiehlt sich sodann als Teufelsgeiger für den Ball der Dämonen. Sein Spiel schwankt zwischen folkigem Frohlocken und dissonantem Freistil. Der Drummer seiner Band „Sofortkontakt“ unterlegt Karolis atonale Einlagen mit den für Can so typischen repetitiven Beats. Schwer verdaulich. Irmin Schmidt wiederum hat sich mit seinem Sampler-Spezialisten Kümo etwas ganz Verrücktes ausgedacht: Aus seinem mit Synthesizern und Effektgeräten verstärkten Piano kommen Klänge, die denen einer indischen Sitar ähneln. Das freudig grinsende Duo läßt die Bassdrum heftig pochen und wartet mit eigenwilligen Rhythmusrochaden auf. Geräusche von zerberstendem Glas, vorbeischnaufenden Dampfloks und abstürzenden Flugzeugen begleiten die Tracks. Den Höhepunkt bildet Schmidts ekstatisches Pianosolo, das an Rachmaninow erinnert. Waghalsig. Das Publikum will mehr davon, bekommt aber nach kurzer Pause gleich Jaki Liebezeits „Club Off Chaos“ geboten. Liebezeit spielt die Beats mit der Präzision eines Drumcomputers. Highlight seiner Sub-EBM-Trance-Techno- Electronica-Metamorphosen ist die Einlage des Gitarristen, der sein offenbar selbstgebautes Arbeitsgerät durch den Anschlag von Eßstäbchen zu karibischen Steel-Drum-Geräuschen zwingt. Es ist gleichzeitig der mitreißende Schlußpunkt eines langen Abends, der die Erkenntnis brachte-. Die rheinischen Tüftlernaturen haben zwar ein Alter erreicht, in dem andere die Rente einreichen, den Geist des Konventionsbruchs lassen sie aber nach wie vor in ihrer Krautbüchse wuchern. Dafür: Applaus.