Calexico live in München


Ganz und gar nicht verstaubt präsentieren die Wüstensöhne von Calexico sich und ihr aktuelles Album CARRIED TO DUST in der Münchner Muffathalle.

Zum zweiten Mal in nur acht Monaten ist die Muffathalle aus dem selben Grund proppenvoll mit Menschen in karierten Flanellhemden und erwartungsvollen Gesichtern. Stichwort: Tucson. Damit meine ich nicht das gleichnamige geländegängige Modell eines japanischen Autoherstellers. Tucson, die kleine Stadt im Grenzland zu Mexiko, steht vielmehr Pate für die Wüsten-Rocker Nummer Eins: Calexico.Support ist „Depedro“, seines Zeichens das Soloprojekt des in Spanien ziemlich bekannten Gitarristen Jairo Zavala. Ein Spanier mit Klampfe allein auf der Bühne. Vamos a la playa. Was kann das schon werden? Er singt Spanisch und bedient dabei alle gängigen Klischees – Julio Iglesias-Anleihen und viel Schmalz inklusive. Später, unterstützt von Calexico, überzeugt er so sehr, dass die Damen neben mir vom Fleck weg beschließen, Spanisch zu lernen. Der durch das spanische Gesäusel Gestalt annehmende Gedanke an Sommer, Strand und Urlaub beeinflusst vermutlich ein klein bisschen die, zu Recht sehr positive, Resonanz des Publikums. Calexico beginnen ihr Set mit „El Gatillo“, einem Instrumentalstück, und demonstrieren vom ersten Moment an ihre Stärke. Bilder von vorbeihuschenden Windhexen, Sandstürmen, Kakteen und flirrender Hitze tun sich vor den Augen des Hörers auf. Billy The Kid schickt Karl May schöne Grüße. Willkommen im calexicoschen Saloon. Man tritt ein und möchte verweilen. Genug der Klischees. Das inzwischen um Jairo Zavala erweiterte, siebenköpfige Ensemble ist eine, bis ins kleinste Detail, perfekt abgestimmte Live-Band. Das Vertrauen ineinander erzeugt eine intime Atmosphäre. Mit Joey Burns hat Calexico einen überaus sympathischen Frontmann, der sich zur Abwechslung nicht um jeden Preis in den Mittelpunkt drängt; jeder bekommt die Möglichkeit sein herausragendes Können unaufdringlich zu demonstrieren.Wie immer erfreuen sich die eingestreuten Instrumentals besonderer Beliebtheit. Die Verzückung der Münchner ist groß und so nimmt es nicht wunder, dass diese mit enormer Spielfreude quittiert wird. Vor allem bei neuen Titeln geben sie sich überraschend laut und druckvoll. „Two Silver Trees“ etwa, artet zur Rockoper aus. Das gefällt. Abseits der zwangsläufig mitschwingenden Sehnsucht und heraufbeschworenen Urlaubsreife, sind Calexico durchaus eine politische Band, auch wenn dies lange nicht so offensichtlich ist und die Statements dezent verpackt sind. „Victor Jara’s Hands“ erzählt die Geschichte eines chilenischen Musikers und Regime-Kritikers, dessen Hände gebrochen wurden, um seine in Lieder verpackten Klagen, abzuwehren. Und Joey Burns weiß die Melodramatik kraft seiner vielseitigen Stimme, sicher zu transportieren. Im Set finden sich gleich zwei Coverversionen der 80er Jahre Punkband „Minutemen“: Jesus & Tequila“ und „Corona“, Letzteres vor allem bekannt als Intro der MTV Serie Jackass. Calexico sind gut drauf, vielleicht zu gut. Denn dadurch rückt ihr bezaubernd melancholisches Liedgut ins Abseits. Die brillante, dunkle und verworrene Komponente ihres Schaffens, wird allein durch das gruselige „Man Made Lake“ bedient und steht als beunruhigender Gegenpol zur restlichen Darbietung leider ziemlich verlassen da. Gleichwohl übertrafen sie dennoch die Erwartungen, sodass niemand enttäuscht nachhause gehen konnte.Vielleicht das einzige kleine Manko: Es fehlten die Liegestühle und die Lakaien mit den Palmblättern.

Raffaela Binder – 08.07.2009