Bushido, Sinatra und ihre Gangster-Freunde
Seit der Enthüllung von Bushidos Verbindungen zur Mafia herrscht helle Aufregung. Warum eigentlich? Schon die Kosher-Nostra investierte in die Unterhaltungsindustrie und half Frank Sinatra gern. Eine kulturelle Einordnung von Michael Pilz für die "Welt".
Der folgende Artikel ist in der „Welt“ am 22. April 2012 erschienen.
Wir haben es gewusst. Dass die Besucher in Bushidos Stammcafé „Al Bustan“ nicht nur Wasserpfeife rauchen, dass die Ordner in seinen Konzerten andere Berufe haben, und dass er ein Freund der „Großfamilie A.“ aus den Gerichtsberichten ist. Er hat die Abou-Chakers ja in seinem Buch als „La Famiglia“ beschrieben, seine neue nämlich, und ihr „Mafia-Prinzip“ erklärt.
In seinem Spielfilm „Zeiten ändern dich“ hat er gezeigt, wie Arafat Abou-Chaker (Moritz Bleibtreu) und ein Leibwächter die Plattenfirma Aggro überzeugten, den Vertrag zu lösen. Anschließend wurde Bushido Deutschlands reichster Rapper. Seinem Konkurrenten Sido hat er im Song „S.i.d.o.“ angedroht: „Ich komme mit den Abou-Chakers!“ Jetzt, nachdem der „Stern“ es aufgeschrieben hat, herrscht helle Aufregung. So ist das mit der Mafia. Wenn wir ihr in den Medien begegnen, schüchtert sie uns ein.
Im „Stern“ steht auch, woher die Abou-Chakers kamen: aus den libanesischen Palästinenser-Lagern. Deshalb trägt Bushidos bester Freund, das Oberhaupt des Clans, den Namen Arafat. Musikhistoriker werden hier hellhörig.
Das große Popgeschäft wurde begründet von der sogenannten Kosher Nostra in Amerika, von jüdischen Einwanderern wie Meyer Lansky , die sich nach geeigneten Geschäftsfeldern umsahen. Lansky kontrollierte in den 1920ern den Alkoholschmuggel. Als die Prohibition gelockert wurde und Prostitution allein nicht ausreichte, verlegte sich die Mafia auf die aufblühende Unterhaltungsindustrie.
Das Imperium des Meyer Lansky
Die italienischen Kollegen brachten Frank Sinatra groß heraus, indem sie bei Film und Funk vorsprachen und die Plattenfirmen heimsuchten. Später verhalf dieselbe Mafia John F. Kennedy ins Präsidentenamt und Sinatra sang dazu. Sein Geld legte er in Las Vegas an.
Las Vegas wiederum war errichtet worden von der Kosher Nostra. Lansky ließ Hotelkasinos bauen, um sein Geld zu waschen. Da debütierte Connie Francis 1960 als jüngste Sängerin, die je dort eine Show für sich allein bekam. Eine New Yorker Italienerin, die sich mit „Santa Lucia“ und „Volare“ in die Herzen italienischstämmiger Mafiosi sang. Francis wurde Lanskys Geliebte.
„Die erleuchtete Stadt setzt meine Seele in Flammen“, schwärmte Elvis in „Viva Las Vegas“. „Memphis Mafia“ nannte sich sein eigener Klüngel, wobei dieses Syndikat eher eine Horde von Claqueuren war und keine ernst zu nehmende Mafia. Aber Mafia galt nun mal im Pop als Ehrentitel.
Popstars waren für die Mafia immer eine lohnenswerte Geldanlage. Einerseits sorgten die Unterhaltungskünstler selbst für reichlich frisches Geld und andererseits für die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Hintermänner. Kaum einmal betritt Bushido einen Roten Teppich ohne seinen Schatten Arafat. Er müsste nicht mehr rappen, er verdient mehr Geld im Im- und Export und mit Immobilien. Aber auf dem Boulevard ist er der Rap-Gangster vom Dienst.
Was wäre Snoop Dogg ohne die Cribs?
Vielleicht ist Theodor W. Adorno schuld, dass wir die kriminellen Ursprünge der Popmusik vergessen haben. Für den Oberlehrer der Kulturkritik stammte sie aus dem Souterrain der Spätromantik. Sie kam aber aus der Halb- und Unterwelt und kehrt noch immer gern dorthin zurück.
Ohne den Jamaikaner Lee „Scratch“ Perry gäbe es keinen Reggae. Perry lebt seit langem in der Schweiz, nachdem sein Studio auf Jamaika abgebrannt war, andere waren in ihren Studios erschossen worden. Snoop Dogg, der heute Reggae singt und früher Gangsta-Rapper war und mittendrin im mafiösen Bandenkrieg der Neunziger, hat 2005 noch „Real Soon“ gerappt. Ein Requiem für Tookie Williams, den zum Tode verurteilten Gründer der Cribs. Snoop Dogg wäre nicht da ohne die Cribs.
Wir haben immer viel gelacht über Bushido. Darüber, dass der Tunesier aus Tempelhof nie rappen konnte, aber von der deutschen Prominentenwirtschaft adoptiert wurde, gegen Gewalt an Schulen sprach, den „Bambi“ für vorbildliche Integration bekam und öffentlich mit Schauspielern, Politikern und Fußballern verkehrte. Heute wissen wir, dass ihn eine polizeilich aktenkundige arabische Familie adoptiert hat. Jetzt nehmen wir ihn als Gangsta-Rapper ernst.
Dieser Text von ME-Redakteur Michael Pilz ist in der „Welt“ am 22. April 2012 erschienen.