Bryan Adams: Edle Einfalt, stille Größe: Bryan Adams, Rocker der Witwen und Waisen


London. Die Woge der Gefühle, die sein Erscheinen auf der Bühne auslöst, ist schlichtweg gewaltig. Erwachsene Pärchen schauen sich mit beschlagenen Augen in die selbigen und quietschen still vor Glück. Nur Teenager quietschen lauter. Doch im Gegensatz zur sündigen Kylie Minogue etwa dürfen diesmal die Eltern beruhigt zuhause sitzen – im Wissen nämlich, daß Bryan ihren Liebsten weder den nackten Hintern zeigt noch verbalen Schweinkram an den Kopf wirft.

Soweit das Image aus der Tagespresse. Soweit, wie sich bald herausstellt, auch der lebendige Herr Adams: Gekleidet in die obligate Kombination von sauberem Denim und sauberem Shirt, rockt er, aufrecht wie Robin Hood, seine 20 Nummern sauber und ungerührt herunter. Nicht einmal der gigantische Erfolg DER Single („Everything I Do I Do It For You You“ ist die erfolgreichste Single der jüngeren Popgeschichte) scheint irgendetwas an seiner Absicht zu ändern, gleich nach dem Ständchen im Pub nebenan noch kurz ein paar Bäume zu fällen.

Die Bühnendekoration ist simpel (eine Art holzfarbener Teppich, hinten hinaufgewölbt), die Musiker sind kompetent, ohne sonderlich aufzufallen (links Baß und Keyboard, rechts Drums und Gitarre, Bryan in der Mitte), hie und da blitzen farbige Lichter auf, hie und da legt sich der Gitarrist in die klassische Rocker-Pose mit den geknickten Knien und dem peinvollen Mundwinkel. So weit, so Pub-Rock.

Und die Songs? Von Songs, individuellen Songs jedenfalls, kann eigentlich kaum die Rede sein. Denn genauso wie DER HIT auf Anhieb als geballtes Konzentrat von Balladenklischees wirkt, scheint sich auch Adams‘ Rock-Repertoire auf ein Umarrangieren altbekannter Archetypen zu beschränken. Das gilt für Melodie wie Text. „She’s Only Happy When She’s Dancing“ singt Adams – teils Rod Stewart, teils Springsteen – zur Begrüßung. „Everywhere I Go The Kids Wanna Rock“ schreit er im zweiten Song. „I’ve Had Enough Of Your Crazy Ways“ protestiert er im dritten Lied, wobei diesmal dem Sauberknaben immerhin etwas Schmutzrocker beigemengt wird. Hier etwas Little Steven, dort etwas Southern Boogie, danach eine Prise Blues, etwas Bon Jovi – immer schön abgetrennt in einzelne Schubladen.

„Cuts Like A Knife“ ist in der ersten Konzerthälfte der einzige Lichtblick: Wenigstens hier kann die Melodie nicht gleich um zwei Takte vorausgeahnt werden; der Beat allerdings dümpelt einfallslos vor sich hin. „Hey Honey – I’m Packing You In“, „I Thought I’d Died And Gone To Heaven“ sind in ihrer Berechenbarkeit nicht besser. Wie auch DER HIT, vorgestellt als „ein glücklicher Zufall“ und anschließend begleitet von 10.000 Kehlen auf der vergeblichen Suche nach dem richtigen Ton. Bei den Zugaben klingt einer der Songs haargenau wie „Footloose“, ein anderer beginnt mit der Zeile „telephone is ringing“, ist dann aber doch nicht Alice Coopers Evergreen gleichen Startes.

Natürlich: An der präzisen Band und an Adams‘ schnörkellosem Vortrag gibt’s nichts zu bemängeln. Was Adams macht, macht er gut. Obendrein schwitzt er auch gut. Nur wird auf der Bühne noch drastischer klar, was bei den Alben schon verunsicherte: Adams‘ herausstechende Qualität ist die konzentrierte Durchschnittlichkeit seiner Musik. Edle Einfalt, stille Größe. Warum gerade diese Qualität beim Publikum derartige Resonanz findet, bleibt auch nach einer sauberen, rechtschaffenen Show wie dieser ein Rätsel.

Oder sollte das etwa das Geheimnis des Erfolgs sein …?