Brian Wilson war unser Verbindungsmann nach oben

Nur wenige Tage vor seinen 83. Geburtstag ist Brian Wilson gestorben. Er hinterlässt unglaublich wertvolle Geschenke. Wird nie von einer KI kopiert werden können. Und darf nun gerne beim Adressaten seiner Songs ein gutes Wort für uns einlegen.


Nach gut einer Woche Wind und Regen ist endlich wieder Sommer, da macht die Nachricht die Runde, Brian Wilson sei gestorben. Das ist der Moment, um die Türen und Fenster aufzureißen und seine Lieder zu hören. „God Only Knows“, der himmlischste aller Popsongs von PET SOUNDS, der himmlischsten aller Pop-LPs. Oder „’Til I Die“, mit der Zeile, die einem dann in den Sinn kommt, wenn einen die Welt überwältigt. Was häufig genug vorkommt. Heute male ich die Worte mit dem Finger in den Himmel: „I’m a cork on the ocean.“

Gerade eben noch habe ich über Brian Wilson geschrieben, in einer Geschichte zum 20. Geburtstag von DEMON DAYS, dem zweiten Album der Gorillaz. Es gibt auf der Platte einen Song, auf dem Damon Albarn der Vokalkunst der Beach Boys huldigt. Und damit vor allem Brian Wilson, dem Maestro des Pop-Arrangements. Sein Chor und er hätten damals versucht, die Gesangsharmonien der Beach Boys zu kopieren, sagt Albarn in einem Interview. Die meisten fanden schön, was da gesungen wurde, aber ihm gefiel ist nicht. Weil der Vibe nicht stimmte. Dann bemerkte er den Fehler: Alle hatten ihre Stimmen mit lachendem Herzen gesungen. Doch Brian Wilsons Herz habe beim Singen nicht gelacht, sagt Albarn. Also sang er seine Spur noch einmal neu. Mit schwerem Herzen. Und nun klang es perfekt.

Das Stück auf DEMON DAYS heißt übrigens „Don’t Get Lost In Heaven“, im Text heißt es: „Don’t get lost in heaven/ They got locks on the gate.“ Keine Sorge: Brian hat den Schlüssel. Wenn nicht er, wer dann?

Das bekommt die KI nie hin. Diese Sehnsucht. Diese Gebrochenheit

Es ist unendlich viel geschrieben und gesagt worden über diesen Menschen, diesen Musiker. Es gibt Bücher und Filme. Natürlich auch ein Biopic. Den älteren Brian Wilson spielt John Cusack, was bedeutet, dass die deutsche Synchronstimme von Andreas Fröhlich übernommen wurde. Bob Andrews von den Drei Fragezeichen spricht Brian Wilson. Bekloppt, aber passend. Weil solche Irrungen und Wirrungen schon immer Teil des Lebens von Brian Wilson waren. Diesem unendlich traurigen Mann, der Musik erschuf, die unendlich glücklich machte. Wie er das hinbekam? Bleibt sein Geheimnis. Es gab immer mal wieder Versuche, ihm die magische Formel zu entlocken. Aber Brian Wilson konnte oder wollte nicht darüber reden. Was natürlich genau die richtige Entscheidung war.

Es wird seit einigen Monaten sehr intensiv über die Künstliche Intelligenz debattiert, über ihren Einfluss auf die Popmusik, die Kunst, die Kreativität. Man muss sich Sorgen machen, das schon. Aber wenn jetzt, an diesem 11. Juni, dem Todestag von Brian Wilson, neun Tage vor seinem 83. Geburtstag, aus den geöffneten Fenstern und Türen die Töne von Brian Wilson nach draußen strömen, dann kann man sich sicher sein: Das bekommt die KI nie hin. Diese Sehnsucht. Diese Gebrochenheit. Dieses Hängenbleiben. Diese Melodien. Alles digital nicht darstellbar. Nicht mit der Wirkung eines Songs wie „In My Room“ aus dem Jahr 1963, bei dem Brian Wilson erstmals klarstellte, dass es eine innere Welt gibt, die ihm die Sicherheit geben kann, die ihm die Außenwelt verweigert.

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Dass sich Brian Wilson diese innere Welt mutmaßlich selbst zerschoss, ist das Drama seines Lebens. Dass er aus diesem Zustand heraus weiterhin unglaubliche Lieder schreiben konnte, ist sein Geschenk an uns.

Vor gut zehn Jahren, sein solides Solo-Album NO PIER PRESSURE stand kurz vor der Veröffentlichung, hatte ich die Gelegenheit, Brian Wilson in einem Hotel in Berlin zu interviewen. Es war Berlinale, im Aufzug zur Suite traf ich den Schauspieler Bob Odenkirk, der gerade seine Serie „Better Call Saul“ vorstellte, einige Jahre zuvor auch wegen seiner bösen Brian-Wilson-Parodie als Willips Brighton zu Comedy-Ruhm gekommen war. Natürlich ist er großer Fan, der Sketch war eine vergiftete Hommage. Dass Brian ein Stockwerk über ihm residierte, erzählte ich ihm dennoch nicht. Kurz vor dem Interviewstart sagte Wilsons persönlicher Manager, man solle sich bitte darauf einstellen, dass Brian kurze Antworten gebe. „Sehr kurze.“

Im der Suite saß dann ein Mann in Floridaseniorenkleidung, der müde wirkte, aber in sich zu ruhen schien. Er sagte, die besten Songs schreibe er nach dem Diner, da ein gutes Essen ihm die Nervosität nehme. Denn es sei so: Jede Begegnung mit einer Melodie mache ihn so nervös wie ein Date an der Bar. „Man weiß schließlich nie, wie das ausgeht.“ Was im Gespräch klar wird: Über Musik zu reden, funktioniert gut. Auf welchen Song er neidisch ist? „Be My Baby“ von den Ronettes, produziert von Phil Spector. „Pures Glück und Euphorie. Einen solchen Song könnte ich nicht aufnehmen.“ Sein Lieblingssong der Beatles, den ewigen Konkurrenten um den obersten Platz im Olymp der Pop-Songwriter? „‚She’s Leaving Home‘, McCartneys Story eines Mädchens, das ihren Vater und ihre Mutter verlässt, um ein neues Leben zu beginnen.“ Sein Vorbild als Teenager? „Chuck Berry. Von ihm habe ich gelernt, wie man einen Rock’n’Roll-Song schreibt.“

Vielleicht setzt er sich im Himmel ja für uns ein

Eine Frage noch, Mr. Wilson: Was passiert mit einem Song, den sie aufgenommen haben? „Ich verschenke ihn. Jeder meiner Songs ist eine Gabe an die Hörer.“

Es ist der 11. Juni 2025, der Tod von Brian Wilson macht die Runde, und aus unzähligen offenen Fenstern und Türen klingen seine Lieder, seine Geschenke. Ist ja kein Zufall, dass ausgerechnet heute der Sommer zurückkommt. Es läuft natürlich auch „Surf’s Up“, einer dieser unfassbaren Songs. Die ersten beiden Strophen singt Carl Wilson, im zweiten Teil übernimmt Brian. „Surf’s up, mm-mm, mm-mm, mm-mm.“ Schließlich: „I heard the word, wonderful thing.“

Brian Wilson mit seinem „teenage symphonies to God“ war unser Verbindungsmann nach oben. Jetzt ist er selbst dort. Verlangen wir nicht zu viel von ihm, aber vielleicht setzt er sich im Himmel ja für uns ein. Wäre so schlecht nicht …