Brian Adams – Die neue weisse Hoffnung?
Noch wenige Wochen vor seinem Auftritt in der "Rocknacht" spielte er in gähnend leeren Hallen. Doch selten waren sich die Insider so einig: der kanadische Sunnyboy mit der explosiven Bühnen-Präsenz ist auf dem Sprung nach ganz stoben. Vor dem "Rockpalast"-Gig unterhielt sich ME/Sounds mit dem Titelaspiranten für das Rock 'n' Roll- Schwergewicht.
Nur wenn er lächelt, wird aus dem schmächtigen, blonden Jungen mit dem Narbengesicht der charmante Sunnyboy, den man von Pressefotos her kennt: Oktober 1983; der 23jährige Bryan Adams, „Canada’s sexiest Rocker“, will es nun auch in Europa wissen.
Mit 16 Jahren hatte er seine eigene Band. In den Clubs von Vancouver jammte er mit allen und jedem. „Ich werde nie vergessen, woher ich komme-und wie ich es bis hierher geschafft habe“, sagt er heute.
Seine ersten beiden Alben, BRYAN ADAMS und YOU WANT IT – YOU GOT IT, haben es in der Tat zunächst schwer. Adams spricht von „growing pains“, sinngemäß: „schweren Geburten“. Erst sein drittes Album CUTS LIKE A KNIFE bedeutet für ihn 1983 den – wenn auch triumphalen – Durchbruch in Canada und den USA.
Auf seiner ersten Europatournee muß der „tough guy“ Bryan Adams erst einmal Nehmerqualitäten beweisen: Mäßig besuchte Konzerte (ein Grund: 61 000 Gls sind zu diesem Zeitpunkt im Manöver) und Pannen (Probleme mit der australischen Vorgruppe „Wendy & The Rokketts“) stressen alle Beteiligten. Adams versucht, es zähneknirschend als „Media-Promotion-Tour“ aufzufassen.
Er ist hypernervös, als ich eine halbe Stunde vor Beginn seiner Show in Neu-Isenburg mit ihm spreche. Fahrig, aber freundlich seine Antworten. Nur etwa 200 zahlende Zuschauer warten vor der Halle auf den Neuling, der schon bald für eine Sensation auf der Rock-Szene sorgen könnte. Immerhin hat er mit CUTS LIKE A KNIFE die Spitzen internationaler Charts erreicht; Loverboy, Bob Welch, Bonnie Tyler und Ted Nugent nehmen Cover-Versionen seiner Songs auf – und nun vielleicht via „Rockpalast“ der Durchbruch in Europa. Wie fühlt man sich da?
“ Was zunächst die Songs angeht: Ich schreibe ausschließlich für den Eigenbedarf. Nur wenn ich im Studio merke, daß ein Stück nicht für mich funktioniert, gebe ich es frei.
Meist komponiere ich auf der Gitarre. Aber besonders die Balladen arbeite ich mit meinem langjährigen Freund Jim Vallance, Pianist und Arrangeur, aus. So richtig die gute alte Schule des Komponierens: Jim am Flügel-und ich stehe daneben und singe. Unser Team hat immer Vorrang, auch wenn Jim gelegentlich etwas mit anderen Musikern macht. Wir sind wirklich stolz auf unsere Songs.“
Weniger im Gesangsstil als in der Machart deiner Songs kann man eine Verwandschaft mit Billy Joel entdecken…
„Mag sein, er ist großartig. Und wir haben sicher Eines gemeinsam: Billy und ich sind Beatles-Fans. Ich habe doch im Prinzip als Junge nur gemacht, was mir John Lennon erzählt hat. Ließ mir die Haare wachsen; Rock’n’Roll als Revolution. „
Warum, glaubst du, orientieren sich dann Leute wie Joel und Neil Young heute nicht nach vorne, sondern zurück – in die 50er Jahre?
„Frag‘ Billy! Vielleicht ist es ihm auf die Dauer langweilig geworden, ewig in die Balladen-Ecken abgeschoben zu werden. Und so flieht er zu den Wurzeln des Rock n ‚Roll.
Ich für meinen Teil bewundere eine Menge Bands der 60er Jahre: Supremes, Yardbirds, Small Faces, Deep Purple. Damit bin ich aufgewachsen, Mann. Du müßtest das doch wissen, du bist doch selbst kaum älter. Wie auch immer, ich mache es eben anders als Billy. Ich bin eine Art Voyeur…“
Und wen beobachtest du?
„Eine Menge Leute. Laß es mich so sagen: Wenn ich eine feste Freundin hätte, wäre die wahrscheinlich ständig sauer auf mich. Denn ich bin immer neugierig, immer offen für andere: und darüber eben schreibe ich. Sie würde wohl immer glauben, die Songs handeln von ihr. Aber die handeln von dir und mir, Beziehungskisten, Straßenszenen, vom Typen bei McDonald.“
Zu deinen Musikern. Sind das Studioleute, oder ist das eine echte Band?
„Ich arbeite nicht gerne mit Studiomusikern. Ich brauche frisches Feuer. Typen, die noch unerfahren und heiß sind, die noch etwas lernen wollen. Es ist schwer, hervorragende Musiker auf Dauer an sich zu binden. Es scheitert immer am Geld. Ich kann ihren Preis nicht bezahlen. Musiker sind wie Söldner.
Aber das Publikum will sich mit einer Gruppe und nicht nur mit einem Frontmann identifizieren können. Ich stehe auf meine Band, habe Respekt vor ihr; sie sind wirklich heiß. Diese alten, routinierten Rock-Typen hängen mir zum Halse heraus. Es ist Zeit für uns Junge. Das Feuer ist hier, Mann (tippt sich an die Brust). Ich bin bereit. „
In den USA und Kanada weiß man Bryan Adams „Feuerwerk“ schon seit geraumer Zeit zu schätzen. Dort spielt er mittlerweile in riesigen Arenen. Mit Foreigner, Kinks und zuletzt mit Journey war die Bryan Adams Band in jeder größeren Stadt des nordamerikanischen Kontinents. 150 Konzerte allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres. „Ich war insgesamt höchstens einen Monat zu Hause. “ In Vancouver brachten sie sogar 10 000 Fans auf die Beine. Überall lief es gut für Adams, nur nicht in Los Angeles: „Die stecken da immer noch in dieser Disco-Kiste.“
Er liebt den Enthusiasmus des amerikanischen Publikums, auch wenn es sich, wie in Dallas, gegenseitig Whiskeyflaschen über den Schädel schlägt. „Die sehen das als riesige Party, hören eher mit dem Bauch als mit dem Kopf. Get up and boogie. Aber ich mag auch dieses sehr aufmerksame Konzertpublikum in Europa. Sie beobachten dich genau und respektieren dich als guten Musiker. „
Zurück zu deiner letzten Platte. Du hast sie selbst coproduziert?
„Ja, mit Bob Clearmountain, einem Toningenieur aus New York. Ich wette, er wird sehr bald einer der gefragtesten Produzenten sein. Er hat mit den Stones und David Sowie gearbeitet, er ist wahnsinnig gut und hat sehr gute Ideen.
Für CUTS LIKE A KNIFE haben Jim Vallance und ich erst einmal ein paar Demos aufgenommen und sie dann zusammen mit Bob durchgesprochen. Ich mag diese altertümliche Methode. Das ist ähnlich wie früher bei Neil Diamond oder Carole King. Die hatten ein Büro, und dort wurde dann konzentriert an Kompositionen gearbeitet. So läuft es mit Jim, vor allem bei den Texten. „
Deine Texte erzählen in der Regel von Beziehungen, loveaffairs…
„Klar, darum geht es doch meistens. Ich nenne das „romantische Unruhe“. Ich bin der ruhelose Romantiker, verstehst du?“
Später, während Adams erdrutschartiger Show, „versteht“ man nur noch die gehetzte Rastlosigkeit, die als tosendes Powerplay das Publikum überwältigt, beinahe vergewaltigt. Es bleibt kein Platz, keine Zeit zum Atemholen. Adams schlägt einem seine Musik um die Ohren und schreit seinen Lebenshunger raus; immer wieder scheint seine geballte Faust imaginäre Gegner niederzuschlagen. Alles-oder-Nichts, ist hier die Botschaft.
Die Leute verstehen sie. Auch wenn Bryan mit Anlauf in die Menge springt, wie ein schweißglänzender Derwisch PA-Türme besteigt, seinem Sologitarristen mehr oder weniger freundschaftlich in den Hintern tritt, seinem Drummer einen mundvoll Wasser ins Gesicht spuckt: Er lebt sich stellvertretend für alle aus, will sie (er spricht von „breaking grounds“) ein für allemal erobern.
Von seinen nuancenreichen Platten weiß man, daß dies nur die eine Seite seiner Talente ist. Live kommt die sanfte Subtilität der Balladen, das bewußte Modulieren der Stimme zu kurz. Die romantische Seite der Ruhelosigkeit wird live bisher noch nicht riskiert.
Mit dem völlig ausgepumpten, aber zufriedenen Bryan spreche ich nach dem Konzert über dieses Phänomen, das wohl die meisten im Publikum als Stärke, ich aber als gelegentliche Schwäche empfunden haben.
Bryan, deine Show war gut, fast zu gut. Glaubst du nicht, daß du vielleicht zu sehr den Akzent aufs Kämpfen gesetzt hast?
„Ich glaube, es war dafür nicht einmal laut genug. Meine Stimme schien manchmal völlig unterzugehen. In manchen Hallen, gerade hier in Europa, ist der Sound problematisch.
Trotzdem: Ich finde, wir haben ,a hell of a show gemacht.“
Das ist der Punkt. War da nicht schon zuviel Hölle in dieser „hell of a show“?
„Ich bin eben manchmal ein bißchen brutal. Das stimmt (lacht). Nun stell‘ dich mal nicht so zimperlich an. So ein „Angriff auf die Leute kann doch verdammt gut sein. Wenigstens gehst du heute abend nicht mit einem faden, nichtssagendem Gefühl nach Hause, sondern sagst dir: ,Dieser Bursche hat’s mir richtig gegeben!‘ Im Ernst: Der technische Aspekt ist dabei aber auch wichtig. Wenn ich meine Stimme nicht richtig höre, forciere ich das Ganze vielleicht ein wenig zu stark. Aber wer mich ein paar Mal live erlebt, wird sich daran wohl gewöhnen.
Dazu kommt jetzt auf dieser Tour: Man kennt hier meine Songs noch nicht, meine Show auch nicht. Ich bin an eine gewisse Resonanz inzwischen gewöhnt. Hier spiele ich zunächst nur die knalligen, harten Sachen. Und die mit voller Energie. Wenn man mich erst einmal kennt, ist es noch früh genug für die Balladen. Jetzt ist Dampf angesagt.
Im übrigen bin ich einfach der Typ, der immer voll losgeht. Im Moment werde ich hier noch mit anderen Musikern verglichen. Verständlich. Wenn ich eine neue Gruppe höre und sie jemandem kurz beschreiben soll, dann sage ich auch: ,Die klingt wie der und der‘.
Aber man wird verstehen, daß ich auf etwas anderes hinauswill. Mein letztes Album ist das heißeste, das ich je gemacht habe: Die Auswahl der Songs stimmt, das Feeling kommt rüber. Endlich weiß ich, wie ich klingen und wie ich mich präsentieren muß. Das gilt für das Produzieren, das Komponieren – selbst meine Stimme paßt da jetzt besser hinein.
Alles andere findet sich. Jetzt warten wir erst mal den Rockpalast-Gig ab. Wir sind mächtig stolz, da spielen zu können. Now is the time and the time is now.“
Bryan Adams ist auf künftige Ziele fixiert und hat in seinem System gegenwärtig keinen Platz für echte Fragen. Die Resonanz auf sein Konzert gibt ihm recht.
Möglicherweise merkt Bryan Adams selbst bald, daß er sich auf die Substanz seiner Songs und auf seine Stimme verlassen kann. Weniger wäre da oft noch mehr.
Er hat schon heute eine Ahnung, was für ihn gefährlich werden könnte. Auf die Frage, was er denn so mache, wenn er nicht auf Tour sei, sagt er: „Ich fahre Auto, im Augenblick einen BMW. Aber ich suche schon seit Jahren nach einem 59er Chevy. Das sind wahnsinnige Kisten. Ich würde ihn mir tunen lassen und dann… Manchmal bin ich ganz froh, daß ich nicht den richtigen finde. Ich würde mich wahrscheinlich mit so einem Ding umbringen. „