Boom Tschak: Die heimliche EP des Jahres 2013 kam von Actress


Diesmal über die fast überraschend veröffentlichten Jahresend-EPs von Actress und Burial.

Der größte Feind Musikjournalisten ist – entgegen anderslautenden Gerüchten – nicht die Verlagsleitung, sondern die unangekündigte, deshalb sehr spontan wirkende, aber nichtsdestoweniger wahrscheinlich von langer Hand vorbereitete Veröffentlichung von Tonträgern. Sie nimmt keine Rücksicht auf Vorläufe und Deadlines. Noch feindlicher wird es, wenn die Veröffentlichung in die Zeit von Mitte bis Ende Dezember fällt, wenn das Chaos am größten, die Deadlines am engsten und die Tage am kürzesten sind. Zum Beispiel vergangenen Dezember.

Anfang des Monats kündigte das Hyperdub-Label ohne weitere Informationen eine neue EP des Londoner Produzenten-Wunderkinds Burial an. Knapp zwei Wochen später war „Rival Dealer“ da. 29 Minuten lang und drei Tracks mit monumentaler, sakraler, gesangslastiger, 2-steppiger, garagiger Musik, die die Ränder jener kommerziellen Variante streift, die von Burial et al. beeinflusst ist. Nicht schlecht, aber auch nicht eine Sensation, die diese Geheimniskrämerei rechtfertigen würde – im Gegensatz zu der fast auf den Tag genau ein Jahr vorher erschienenen „Truant/Rough Sleeper“-EP.

Anders der Fall bei Actress. Während die Zielgruppe der für Ende Januar angekündigten Veröffentlichung des Superpakets aus dem neuen Album, HAZYVILLE, und dem ersten, GHETTOVILLE, entgegenfieberte, erschien vier Tage vor Weihnachten in aller Stille die 12- Inch „Grey Over Blue“ mit der B-Seite „Wee Bey“. Zwei Tracks von knapp acht und elf Minuten Spielzeit, die auf das fragmentierte, avantgardistisch ambitionierte HAZYVILLE nicht gepasst hätten. Eine im Breitwandformat angelegte Ode an die Finsternis, introspektiv, latent bedrohlich aus den tiefsten Ambient-Kammern des Londoner Hexenmeisters, auf der anderen Seite von einer fast schon versöhnlichen Melodik und rhythmischen Direktheit, die man Actress nicht zugetraut hätte.

Da hat einer die EP des Jahres 2013 veröffentlicht und 2013 hat das kaum jemand bemerkt.

Diese Kolumne ist in der März-Ausgabe 2014 des Musikexpress erschienen.