Boom Tschak
Die Electro-Kolumne von Albert Koch
Rhythmus bleibt ein Tänzer
Während sich die Avantgarde in der elektronischen Musik gerade aus den Trümmern des Dubstep quasi auf einem von Referenzen freigeschaufelten Feld die Referenzräume von morgen zusammenbaut, macht die Neo-Disco-House-Fraktion ernst mit einem lange angedrohten, aber nie in die Gänge gekommenen Revival: ja, wir reden vom Neunzigerjahre-Eurodance.
Zum Beispiel Munk. Durch manche Tracks des aktuellen Albums The Bird And The Beat des in Frankreich residierenden Italo-Müncheners Mathias Modica zieht sich die ölige Spur des Neunzigerjahre-Italo-House. Oder Hercules And Love Affair. Denkt man die musikalische Entwicklung von Andy Butlers Projekt chronologisch weiter – erstes Album: Endsiebziger-Disco; zweites Album: Mittachtziger-House -, kann man sich ungefähr vorstellen, was auf dem dritten zu erwarten ist.
Beim aktuellen Hercules-Album Blue Songs hat der österreichische Produzent Wolfram Eckert mitgearbeitet, der bisher seine Musik unter dem Pseudonym Diskokaine veröffentlicht hat. Mit feuchten Händen warten die Neo-Disco-Anhänger auf die Platte, die er unter dem Namen Wolfram Ende März beim Münchener Label Permanent Vacation veröffentlichen wird.
Es gelten die gleichen Regeln wie beim Achtzigerjahre-Revival, das gefühlt seit 20 Jahren am Laufen ist: Auch die Revivalisten der Neunziger verkünden nicht die reine Lehre. Zitatpop bedeutet ja immer auch die Verhandlung der Vergangenheit von einem heutigen Standpunkt aus – alles andere wäre keine Kunst, sondern lediglich Konservierung des Vergangenen. Während in der Musik von Munk ein sanftes Wegdriften von den Achtzigern hinüber in die Neunziger spürbar wird, die Neunziger also lediglich als vage Andeutung (oder wertunneutral: als Warnung) aus einzelnen musikalischen Elementen hervorlinsen, macht Wolfram ernst. Auf seinem Album gibt es die ganze Palette: die Humpta-Humpta-Drögheit des Eurodance, die patschenden Drums, die Fanfaren-Synthie-Linien, die simplen Melodien. Was aber das Beste ist: Für den Song „Thing Called Love“ fährt Wolfram Haddaway als Gastsänger auf, Haddaway, den Original-Eurodance-Master.
In Zukunft muss „Rhythm Is A Dancer“ von Snap! in den einschlägigen DJ-Sets nicht mehr im rechtsfreien Raum bestehen, sondern darf in Würde von „La Musica“ von Munk und „Thing Called Love“ von Wolfram featuring Haddaway eingerahmt werden.