Bon Iver im Interview: „Die Einsamkeit wird um eine Zweisamkeit ergänzt“
Justin Vernon im Gespräch über „eine Münze, die immer zwei Seiten hat“.

Seit Justin Vernon unter dem Namen Bon Iver Musik macht, interessiert er sich für die Teilung. Alles begann 2007 mit dem Ende einer Liebesgeschichte: Aus zwei mach eins – Vernon fand sich in der Isolation wieder, schrieb die Lieder von FOR EMMA, FOREVER AGO (2007). Ein guter Kollege sagte damals, beim Hören dieses Albums befalle ihn unmittelbar eine große Schwermut, weil in der Musik bereits angelegt sei, dass dieser Singer/Songwriter ein solches Werk nicht noch einmal aufnehmen wird.
Und so kommt es dann auch: Bei BON IVER, BON IVER (2011) spaltet sich das Songwriting von der Persönlichkeit ab. Die Lieder spielen an erdachten Orten, die Harmonien sind himmlisch, die Stimmungslage diffus. 22, A MILLION (2016) führt die Partition auf hochabstrakte Weise fort, die Lieder erhalten nun Nummern als Titel, dazu Buchstabenkolonnen, wie aus dem Moment, wenn der Rechner hops geht. Auf der vertonten Bipolarität I, I (2019) wiederum klingen die Songs wie die Kinder von Elon Musk: „Yi“, „iMi“, „U (Man Like)“. Wer Bon Iver diese Tracks live performen sieht, erkennt, wie stark sich Folk und Elektronik immer wieder an- und abstoßen. Wie Justin Vernon versucht, sich mal in diese Lieder hineinzuschmeißen, sich dann wieder von ihnen zu distanzieren. Um beim Stück „22 (OVER S∞∞N)“ zu fragen, ob das Ende aller Zeiten aus der Konstellation der Sterne abzulesen ist.
„Wie ein gefälschtes Wunderland“
Mit I,I hätte Vernon einen Punkt hinter Bon Iver setzen können. Kein schöner Schluss wäre das gewesen, aber ein würdiger. Weil nämlich alles mit der sehr persönlichen Nabelschau in der Hütte im Wald begann, hätte die Gegenüberstellung des selbstbestimmenden Personalpronomens auf I,I einen „Hier-schließt-sich-der-Kreis“-Moment ergeben. Doch Justin Vernon spürt, dass er noch eine Erzählung auf Lager hat, die vielleicht einen besseren Schluss ergibt. FOR EMMA, FOREVER AGO handelt von „Aus-zwei-mach-eins“. SABLE, fABLE von „Aus-eins-mach-zwei“. Die Zweiteilung des Albums ist musikalisch offensichtlicher als auf den Werken zuvor. Die Vokabel SABLE, die dem ersten Part den Namen gibt, steht hier nicht nur für die schwarzfellige Marder-Gattung des Zobels, sondern auch fürs Schwarze, Finstere, Düstere. „SABLE passt zur Energie der Dunkelheit“, sagt Vernon. „fABLE hingegen ist eine Art helle, bunte, majestätische, poppige Geschichte. Beinahe wie eine Fabel halt. Wie ein gefälschtes Wunderland.“ Wobei offen bleibt, ob Justin Vernon in dieser Story die Alice ist, die sich in dieses Wunderland hineinwagt. Oder Percy, das weiße Kaninchen, das in der Lage ist, Portale zu öffnen, um sich und andere in fantastische Welten mitzunehmen. Im Zweifel ist Justin Vernon wohl beides: Alice und Karnickel.
Ohne Punkt, mit Komma
„Alle Bon-Iver-Platten haben dieses Komma in der Mitte“, stellt Justin Vernon fest. Das Satzzeichen verweist auf eine Dualität. Es verbindet so sehr, wie es trennt. Emma, die Ewigkeit. Die zwei Teile von Bon Iver. Die 22 (das Alter, in dem Vernon mit seiner alten Band DeYarmond Edison die erste Platte veröffentlichte), die Million (die er damit erreichen will). Ich, Ich. Und nun SABLE, fABLE – als ein Schritt nach vorne. „Weil die Einsamkeit nun um eine Zweisamkeit ergänzt wird.“ Nicht als Vorher-Nachher-Geschichte. Sondern als „eine Münze, die immer zwei Seiten hat“, wie Vernon es formuliert. Wobei natürlich auch das kleine f vor den Versalien eine Bedeutung hat. Ohne diesen Buchstaben bleibt ABLE. Zur Zweisamkeit fähig zu sein.
Konkret besteht der SABLE-Teil aus den drei Stücken, die Vernon bereits Ende 2024 auf der EP gleichen Namens veröffentlichte. Es handelt sich um pure Folksongs, die Stimme ist kaum manipuliert, mit ihm als Songwriter so nah am Ohr, wie seit vielen Jahren nicht mehr. Der minimalistische Gospel „Awards Season“ ist das Schlüsselstück, benannt nach den Wintermonaten, in denen in den kreativen Branchen die Awards verliehen werden, bevor es danach endlich Frühling werden kann.
„Ich bin die Düsternis / Wir die Fabel“, singt Justin Vernon, bevor er das Ende der Beziehung formuliert, um im Finale ganz alleine, nur zu einem schwebenden Orgelton, festzustellen: „But you know what will stay? / Everything we’ve made.“ An dieser Stelle entsteht dann doch noch einmal das Gefühl von FOR EMMA, FOREVER AGO. Dieses Wissen um einen Abschied. Und um die Tatsache, dass man den Menschen verloren hat – und der Schmerz umso größer ist, wenn man feststellt, dass sich zwei Leben nun nicht mehr berühren. Und man sich wiedersieht, und sei es im Fernsehen, bei einer Preisverleihung. Der abhandengekommene Mensch im Rampenlicht. Der Protagonist allein in der Finsternis. Trauriger kann’s nicht werden. Und wird’s auch nicht.
fABLE schließt mit seinen neun Stücken daran an, Justin Vernon erzählt eine Geschichte der Heilung: „Wenn SABLE wie ein dunkler Riss und festgefahrener Ort ist, dann steht fABLE für die Heilung und die Fähigkeit, weiterzugehen.“ Man könnte es auch so formulieren: Diese neun Songs sind Liebes- und Partylieder. Nach den Bedingungen von Bon Iver, versteht sich. Da ist der Neo-R’n’B von „Everything Is Peaceful Love“ über den „Beginn einer Beziehung, ein erstes Treffen, bei dem alles möglich scheint“, wie Vernon es beschreibt. Da ist das etwas verschleppt-liebliche „Walk Home“, über den Moment, wenn es bereits einen Rückzug geben kann, „eine Stimmung wie: ‚Ich will einfach nur mit dir zusammen sein. Lass uns nach Hause gehen und die Sonne ins Fenster scheinen lassen.‘“ Und da ist das Happy-end: Mit „There’s A Rhythm“ stellt Justin Vernon die These auf, es gebe „einen Schritt, einen Tanz, einen Groove, ein Tempo, um mit jemand anderem im Gleichschritt zu sein“. Wobei die Schwierigkeit darin bestehe, auf zwei Tempi achten zu müssen: „auf sein eigenes und das der anderen Person“. Auch deshalb klingt das Stück sehr gemächlich, schwebt es vorsichtig vor sich hin, beinahe wie in Watte gepackt. Paartanzkompatibel: Justin Vernon lässt den Klammerblues spielen. Zumindest für einen Moment, denn es ist ja nicht so, dass man die dunkle, zweifelnde Seite einfach abstellen könnte, wie einen Fernsehapparat, der einen nervt. „Man kann nicht einfach sagen: ‚Ich habe die richtige Person gefunden, jetzt kann ich für den Rest meines Lebens Corona-Bier trinken.‘“ Es gebe immer Arbeit, man stehe immer zu Veränderungen. „Und es kommen verstärkt Dinge, die uns das Leben wegnehmen. Krankheiten, Todesfälle. Das alles kommt jetzt auf uns zu.“ Aber: Justin Vernon fühlt sich dafür gewappnet. Fürs Leben. Für die Liebe. Gut möglich, dass das viel mehr hat, als er es sich damals in der Hütte hat vorstellen können. War aber auch ein langer Weg. Das zeigen schon die vielen Kommas.