Bob Dylan – Entspannt im Hier und Jetzt
Drei Jahre sind vergangen, seitdem Bob Dylan mit seiner Bekehrung zum bekennenden Christen für ungläubiges Staunen sorgte. Über Hintergründe und Motive dieses Schrittes hat er bislang konsequentes Stillschweigen bewahrt. War es Dylan wirklich ernst damit?! Vor seiner Europa-Tournee nun stellte er sich erstmals einem offenen Gespräch. Mit einem entspannten und überraschend kommunikativen Bob Dylan unterhielt sich in Los Angeles Robert Hilburn.
Vor dem Konzert treffen wir uns in seinem Hotel-Zimmer. Dylan katholischer Sohn jüdischer Eltern, sitzt auf einem Sofa und raucht eine Zigarette. Es ist das erste Mal daß er in einem Interview über seine religiösen Erfahrungen spricht.
„Es ist schon bezeichnend, daß die meisten Leute glauben, Jesus könne nur dann in ihr Leben treten, wenn sie am Boden zerstört oder einfach alt und widerstandslos geworden seien. Bei mir war das ganz sicher nicht der Fall. Mir ging es blendend 1978 hatten wir eine erfolgreiche Tournee hinter uns gebracht, ich war zufrieden und gut beisammen. Ganz beiläufig erzählte mir einer meiner besten Freunde etwas über Jesus.
Zuerst kam mir das alles sehr fremd vor, ich wollte die Auseinandersetzung mit diesem Thema auf später verschieben. Doch dann wurde mir bewußt, daß die Meinung dieses Freundes mir immerviel bedeutet hatte. Und da ich gerade nichts zu tun hatte, rief ich ihn an.
Ich war skeptisch, gleichzeitig aber doch offen und auf keinen Fall zynisch. Ich hatte eine Menge ehrlicher Fragen wie: „Der Sohn Gottes – was bedeutet das überhaupt?“ – oder: „Was heißt: Er stirbt für meine Sünden?
Langsam begann ich zu akzeptieren, daß Jesus eine reale Größe ist – und daß ich daran auch glauben wollte! Ich war überzeugt daß Jesus nicht in mein Leben treten würde, um es in irgendeiner Form zu erschweren. So kam eins zum anderen, bis ich eines Tages eine Vision hatte. In dem Raum, in dem ich mich befand, gab es plötzlich eine solch ungeheuere körperliche Präsenz, daß es einfach nur Jesus sein konnte.“
Dylan, der wohl respektierteste Songschreiber Ära, hat seit der Veröffentlichung seines Gospel-orientierten Albums SLOW TRAIN COMING keine Interviews mehr gegeben. Personen, die an seinen religiösen Erfahrungen wirklich interessiert seien, empfahl er stattdessen, die Songs seiner Platte sprechen zu lassen.
Obwohl SLOW TRAIN COMING eines von Dylans erfolgreichsten Alben wurde, fühlten sich viele seiner alten Anhänger verunsichert, einige gar verraten. Derselbe Mann, der einst sein Publikum zum Fragen aufforderte, gab sich nach Meinung seiner Kritiker nun einer der – wie es schien – banalsten religiösen Selbsttäuschungen hin. Ganz sicher – so wollten es viele wissen – sei dieser Schritt nichts anderes als einer der typischen Sprünge in Dylans ständig wechselnder Persona.
Selbst, nachdem er mit SAVED ein zweites Gospel-Album veröffentlicht hatte, glaubten viele noch immer, daß die Tage seiner christlichen Überzeugungen gezählt seien.
Seine jüngsten Konzerte indes können derartige Prognosen in keiner Weise bestätigen. Auch beim Interview gibt Dylan unmißverständlich zu verstehen, daß sein Glaube tief verwurzelt ist „It’s in my System“, sagt er lakonisch.
Gleichzeitig aber macht Dylan deutlich, daß ihm das kritische Fragen durchaus nicht fremd geworden ist Auf die politischen Aktivitäten einiger religiös-sektiererischer Gruppen angesprochen, sagt er etwa folgendes:
„Man sollte sehr vorsichtig mit diesen Leuten sein. In der Bibel kann man alles finden und alles so drehen, wie man es gerade will. Es gibt genug Leute, die das auch tun. Meiner Meinung nach kann man Moral einfach nicht in Paragraphen pressen. Wichtig ist stattdessen, einen persönlichen Zugang zu Jesus zu finden. Er wird dich schon führen. Und was die Sektierer betrifft: Jeder Prediger, der ein wirklicher Prediger ist wird dir sagen: ‚Folge nicht mir, sondern folge Jesus!‘ Bei einer improvisierten kleinen Pressekonferenz hinter der Bühne hatte sich Dylan in puncto Glaubensfragen noch zögernd und verschlossen gezeigt. Als ich ihn später beim Interview im Hotel auf dieses Thema anspreche, ist er völlig offen. Es wäre indes böswillig, Dylan als stereotypen Jesus-Freak abzutun, der sich ausschließlich an religiöse Themen klammert So wendet sich auch das Interview anderen Fragen zu, Fragen nach seiner musikalischen Richtung, besonders seinem Entschluß, wieder alte Songs in sein Repertoire zu nehmen:
Viele Leute würden es begrüßen, wenn du auf die Bühne gingest und ausschließlich alte Songs spielen würdest – so etwas wie eine lebende „Beatlemania“. Siehst du darin eigentlich eine Gefahr? Ist es nicht Elvis Presley am Ende auch so ergangen?
„Elvis hatte sich verändert Die Show, über die alle in diesem Zusammenhang reden, ist seine 1969er TV-Show, doch in seinen Anfangsjahren klangen die gleichen Songs völlig anders. Als er 1953 ‚That’s All Right Mama‘ sang, da besaß er Sensibilität und Kraft – 1969 war es nichts als rohe Kraft. Ich kenne diese Sackgasse, nimm nur die Tournee von 1974. Man muß schon eine Gratwanderung vollbringen, um mit den Dingen, die man einmal geschaffen hat, noch in einem gesunden Verhältnis leben zu können. Eine Menge Musiker wollen ihre alten Hits einfach nicht mehr spielen. Ich kann das gut nachvollziehen, denn du bist nicht mehr die gleiche Person, die diese Songs einmal geschrieben hat.
Andererseits bist du auch kein völlig anderer Mensch, es steckt nach wie vor in deinem Körper. Deshalb halte ich es durchaus für möglich, die alten Songs zu spielen, vorausgesetzt, man findet Kontakt zu der Person, die man zum Zeitpunkt des Schreibens einmal war. Ich könnte mich jetzt beispielsweise nicht hinsetzen und „It’s All Right Ma“ schreiben; ich wüßte gar nicht, wo ich anfangen sollte. Aber ich kann es nichtsdestotrotz singen und bin froh, daß ich es einmal geschrieben habe.“
Warum hast du denn auf der 79er Tour überhaupt keine alten Nummern gespielt?
„Ich hatte, wenn man es so nennen darf, tatsächlich ein Erlebnis von Wiedergeburt. Es ist ein ziemlich abgedroschener Begriff, aber man versteht wohl, was ich meine. Es passierte 1978 und hat meine Einstellung zu vielen Dingen grundlegend verändert. Zwar war mir schon immer bewußt, daß es einen Gott geben mußte, einen Schöpfer des Universums. Doch die Beziehung zwischen Jesus und diesem Schöpfer war bis zu diesem Zeitpunkt für mich einfach nicht vorhanden.“
Nach deinem Erlebnis hast du dann wohl hier in Los Angeles einen dreimonatigen Bibelkurs besucht?!
„Zuerst sagte ich mir:‘ Nie und nimmer werde ich drei Monate m ein es Lebens dafür opfern. Ich muß wieder los, auf Tournee, was machen.‘ Doch eines morgens saß ich um 7 Uhr hellwach im Bett und konnte nicht anders, als mich anzuziehen und zur Bibelschule zu fahren. Es war gespenstisch. Ich konnte es selbst kaum glauben, als ich dort ankam“.
Aber zu diesem Zeitpunkt hattest du Jesus als Existenz in deinem Leben schon akzeptiert?
„Schon, aber ich hatte niemandem davon erzählt. Ich dachte, man würde nur sagen: „Alter, mach keinen Spruch“, denn die meisten meiner Freunde haben mit Christi Auferstehung nichts am Hut. Wenn überhaupt, dann ist Jesus für sie nur ein Prophet unter vielen.
Für mich hingegen sah das nun anders aus. Sicher, ich hatte schon früher in der Bibel gelesen, doch war es damals eigentlich nur Literatur. Ich hatte nie gelernt, mit der Bibel sinnvoll umzugehen.“
Ich war der Annahme, daß diese Gefühle zu einer Zeit der Krise auftauchten, zu einem Zeitpunkt, als du verzweifelt nach einem Halt suchtest.
„Durchaus nicht. Ich war so weit gekommen, daß ich an nichts mehr glauben konnte. Ich war überzeugt, daß jeder seine eigene Wahrheit habe. Ich hatte die Suche nach irgendeiner Wahrheit längst aufgegeben.“
Aber bist du nicht damals nach Israel gefahren? Suchtest du da nicht nach religiösen …
„Nein, darum ging es nicht. Wenn ich damals etwas suchte, dann war es so etwas wie die nackte Realität. Ich wollte die Dinge ohne Maske sehen. Das war aber schon immer mein Anliegen, gleichgültig um welchen Gegenstand es sich handelte. Wie beispielsweise das Thema Krieg. Die meisten Menschen sehen Krieg nie als ein Geschält, sondern sie glauben, es sei eine emotionale Angelegenheit. Aber wenn du genau hinschaust, ist Krieg – abgesehen von dem Fall, wo jemand des Anderen Land zum nackten Überleben braucht – ist Krieg nichts als Geschältemacherei. Wenn man es so betrachtet, kann man die Zusammenhänge viel besser verstehen. Es gibt eben gewisse Leute, die verdienen am Krieg genauso viel Geld wie andere mit Bluejeans. Es hat mich schon immer aufgeregt, wenn man diesen Sachverhalt zu verschleiern sucht.“
Hast du deinen Freunden von dem Bibelunterricht erzählt?
„Nein, ich wollte unnötige Mißverständnisse vermeiden. Falls ich es nicht durchgehalten hätte, hätte niemand sagen können: „Tja, das war wohl wieder so ein Ding, das nicht geklappt hat“. Ich wußte ja selbst nicht, ob ich drei Monate durchhalten würde! Nach zwei Monaten allerdings erzählte ich einigen Freunden davon, und prompt wurden sie aggressiv und ausfallend Zumindest ein Teil von ihnen.“
Hat das bei dir irgendwelche Zweifel ausgelöst?
„Nein, zu diesem Zeitpunkt war ich mir schon sicher. Und wenn ich an etwas fest glaube, ist mir die Meinung anderer Leute egal.“
Hattest du je die Befürchtung, daß das, was du heute sagst, dich in fünf Jahren vielleicht verfolgen wird – dann nämlich, wenn Zweifel an deiner Überzeugung aufkommen sollten?
„Ich glaube nicht. Wenn dem so wäre, hätten sich Anzeichen dafür bereits bemerkbar gemacht.“
Aber wir haben es doch schon oft genug miterlebt, wie Rockstars sich mit Gurus und Maharishis einließen, um sich bald wieder neuen Dingen zuzuwenden.
„Dies ist ganz sicher kein Maharishi-Trip. Jesus bedeutet etwas anderes für mich.“
Wann genau hast du eigentlich die Songs für SLOW TRAIN COMING geschrieben?
„Etwa zwei Monate nach m einem Erlebnis. Ich wollte sie ursprünglich nicht einmal selbst singen. Ich wollte sie Carolyne geben, (Carolyne Davis, Sängerin auf der vorherigen Tournee – Die Red.); sie sollte singen, und ich wollte die Platte gegebenenfalls produzieren.“
Warum wolltest du die Songs denn nicht selbst singen?
„Ich wollte nichts überstürzen.“
Wie hast du auf die – zum Teil böswilligen – Reviews von SLOW TRAIN COMING reagiert?
„Man sollte sich daran nicht orientieren.“
Kannst du denn verstehen, wie einige Kritiker zu dem Vorwurf kamen, die Botschaft dieser Platte sei plump und aufdringlich?
„Es war nicht meine Absicht, einen Holzhammer zu benutzen. Falls es doch so aussehen sollte, so kann ich nur beteuern, daß ich keinen treffen wollte. Ich mache keinem einen Vorwurf, nur weil er nicht gläubig ist. Jeder muß alleine die Antwort finden, sie steht jedem frei.“
Was waren die Gründe für deine Entscheidung, auf der 79er Tour ausschließlich neue Songs zu spielen?
„Ich hatte damals keinerlei Beziehung zu meinen alten Songs.“
Aber inzwischen singst du sie wieder?
Ja, das war die Konsequenz der letzten Tour. Ich kam zu der Überzeugung, daß diese Songs … wie kann ich es am besten ausdrücken? … daß diese Songs eigentlich gar nicht gegen Gott gerichtet waren, wie ich es zeitweise angenommen hatte.“
Haben denn die alten Titel heute noch eine Bedeutung für dich – oder spielst du sie nicht doch mehr für dein Publikum?
„Ich liebe diese Songs, sie sind ein Bestandteil meines Lebens geworden.“
Kannst du in irgendeiner Form beschreiben, wie dein religiöses Erlebnis deine Gefühle und dein Verhalten verändert hat?
„Es war eine grundlegende Veränderung. Es fehlt mir nur einfach die Zeit, das detailliert zu beschreiben. Wenn es jemand wirklich wissen wollte, könnte ich es ihm schon erklären, doch das könnten andere Leute ebenso gut. Ich verspüre dazu einfach keine Berufung. Im letzten Jahr habe ich das auf der Bühne streckenweise getan. Ich glaubte, daß die Zuschauer das brauchen würden. Heute aber halte ich es nicht mehr für notwendig.
Trotzdem bin ich, besonders wenn ich auf Tournee neue Menschen kennenlerne, felsenfest davon überzeugt, daß die Menschen Jesus dringend nötig haben. Schau dir nur all die Junkies an, die Alkoholiker und innerlich verstörten Menschen. Ihnen allen könnte sofort geholfen werden! Die jetzigen Machtverhältnisse aber lassen das einfach nicht zu. Man will uns einreden, daß nur eine politische Lösung diesen Menschen helfen könne.“
Sprechen wir über deine jüngsten Songs. Einige von ihnen scheinen – wenn überhaupt nur am noch Rande mit Religion zu tun zu haben.
„Richtig, sie haben sich weiterentwickelt. Ich habe meinen Standpunkt mit einigen Songs klargemacht und könnte es nicht mehr besser sagen. Warum sollte ich mich wiederholen?“
Heißt das, daß du heute wieder eine umfassendere Perspektive hast?
„Das mag sein, soll aber nicht heißen, daß ich diese Stücke nicht mehr spielen werde.“
Inwieweit ist Musik heute überhaupt noch wichtig für dich?
„Musik hat mir eine Aufgabe und ein Ziel gegeben. Als Kind war es der Rock’n’Roll, später dann Folk & Blues-Musik. Es bedeutete für mich immer mehr als nur passiv Musik zu hören. Musik war immer in meinem Blut und hat mich nie im Stich gelassen. Ich habe dadurch einen Freiraum erhalten, der viele Probleme des Lebens von mir ferngehalten hat. Es hat mich unabhängig von den Meinungen anderer Leute gemacht. Das spielt alles keine Rolle mehr für dich, wenn du auf die Bühne gehst, Gitarre spielst und deine Lieder singst.Das steckt einfach in meinem Blut. Ich weiß nicht, warum die Wahl gerade auf mich fiel. Aber ich weiß, daß ich jetzt fast 40 Jahre alt und noch lange nicht müde bin.“