Bob Dylan: Die wichtigsten Alben im Ranking
Welche Platten von Dylan sind ein Muss, welche eher schmückendes Beiwerk? Hier geht es zur Auflistung.

Große Worte, aber auch berechtigt: Das wandelnde Mysterium Bob Dylan veränderte nicht nur konsequent seine Musik und sich selbst, sondern damit auch die ganze Welt. Was uns zum ersten und vermutlich letzten Mal in dieser Rubrik zum Themenkomplex „Musik von Nobelpreisträgern“ führt.

MÜSSEN SEIN
Bringing It All Back Home (1965)
Hierzulande als SUBTERRANEAN HOMESICK BLUES veröffentlicht, war es der gleichnamige Eröffnungstrack, der die Weichen stellte: ein Elektrogitarrenschock für Sandalen tragende Folkies, ein textlicher Weckruf zwischen Wortspiel, Underground-Milieustudie und purem Sarkasmus. Stücke wie „Maggie’s Farm“ und „Outlaw Blues“ definieren Dylans THC-induzierte Metamorphose vom spröden, nasal intonierenden Beatnik-Troubadour zum Pop-Phänomen mit Breitenwirkung. John Lennon war einer der gelehrigen Schüler, ebenso The Byrds aus Los Angeles, die sich „Mr. Tambourine Man“ unter den Nagel rissen. Dieses Album war künstlerisch relevant und genuin amerikanisch – in den damaligen Zeiten britischer Pop-Dominanz nicht die Regel.
Fünf Sterne
Highway 61 Revisited (1965)
Dylan hatte 1965 nicht nur in kreativer Hinsicht einen unglaublichen Lauf, sondern etablierte sich zunehmend als geschichtsbewusster Kenner des amerikanischen Erbes. Der reale Highway 61 verbindet seine Heimat in Minnesota mit jenen Gegenden im Süden, die für die Entwicklung der heimischen Musikkultur entscheidend waren. Er ließ sich von diesen Spielarten immer offensichtlicher inspirieren. Das bitterböse „Like A Rolling Stone“ offenbart seine zynische Seite, doch es ist vor allem das knapp elfeinhalbminütige „Desolation Row“, das überragende Qualitäten besitzt: eine beklemmende Allegorie auf Zeiten des Umbruchs, auf Unsicherheit und latent lauernde Gewalt. Unsicher ist die deutsche Presse: „Dieser junge Mann, der sich Bob Dylan nennt und wie ein Gammler gibt, ist längst Millionär“, vermeldet „Der Musikmarkt“ im Februar 1966. „Der Sänger und Dichter Bob Dylan ist das Idol der Jugend Amerikas geworden. Schon streitet man darüber, ob er nicht auch Amerikas vielversprechendste literarische Hoffnung sei.“
Fünfeinhalb Sterne
The Basement Tapes (1975)
„Big Pink“ hieß das Holzhaus nahe Woodstock, in dem Dylans hochkompetente Begleitcombo The Band 1967 residierte – und in dessen Keller jene einst sagenumwobenen Aufnahmen entstanden, die zunächst nur auf Bootlegs kursierten. Dylan profitierte von der Expertise der kanadisch-amerikanischen Multiinstrumentalisten, für The Band markierte die Zusammenarbeit den Beginn ihrer eigenen Karriere. Offiziell und mit frischen Overdubs versehen, wurde der Americana-Klassiker erst acht Jahre später veröffentlicht, allerdings nur auszugsweise. Erst 2014 erschien die 6-CD-Box THE BOOTLEG SERIES VOL. 11: THE BASEMENT TAPES COMPLETE, die all jenen Kritikern den Wind aus den Segeln nahm, die bei der 75er-Version zu viele Lücken im Repertoire ausgemacht hatten.
Fünfeinhalb Sterne
Love And Theft (2001)
Hereinspaziert! Dylan präsentiert ein amerikanisches Panoptikum, bevölkert von schrägen Glücksrittern und anderen dubiosen Gestalten, die zum Mythos des „alten Südens“ gehören wie Bourbon, Baumwollfelder und Hochwasser am Mississippi. Es ist das sepiagetönte, mitunter sarkastische Porträt einer kulturell überaus reichen, aber verworfenen – und im Zweifelsfall eben rassistischen – Gesellschaft. Musikalisch untermalt werden diese Moritaten von allem, was einst südlich der Mason-Dixon-Line erfunden wurde: vitale Roots Music, die Dylans fast enzyklopädisches Wissen offenbart.
Fünfeinhalb Sterne
SOLLTEN SEIN
Blonde On Blonde (1966)
Der finale Teil von Dylans Mittsechziger-Trilogie, zum Großteil in Nashville aufgenommen und stilistisch eng verwandt mit den beiden Vorgängern: Electric Bob schielt erneut in Richtung R’n’B und Rock und liefert auf „Absolutely Sweet Marie“ eine unsterbliche Zeile fürs Poesiealbum aller Nonkonformisten: „To live outside the law you must be honest.“
Fünf Sterne
John Wesley Harding (1967)
Er schultert die akustische Gitarre, zieht seine Cowboystiefel an und taucht ab in die Mythen des Westens (und der Bibel): „I Am A Lonesome Hobo“. Weil Dylan mit diesem sparsam instrumentierten Werk nicht zu dick aufträgt, gerät es wesentlich charmanter als der Country-Rock späterer Veröffentlichungen, die sich deutlicher am Mainstream orientieren. Heimlicher Höhepunkt trotz „All Along The Watchtower“: „As I Went Out One Morning“.
Vier Sterne
Time Out Of Mind (1997)
Dylan lief mehrfach Gefahr, als Künstler wahrgenommen zu werden, dessen Verdienste vornehmlich in der Vergangenheit liegen. Auch, bevor TIME OUT OF MIND erschien, rechnete kaum jemand mit einem weiteren Frühling des Comeback-erprobten damals 56-Jährigen. Doch „Highlands“, inspiriert vom schottischen Nationaldichter Robert Burns, knüpfte nahtlos an frühere Großtaten an, „Love Sick“ und „Cold Irons Bound“ sind weitere Glanzpunkte dieser intensiven, dunkel getönten Songsammlung aus Folk, Blues, Country und ein wenig Rock.
Viereinhalb Sterne
Modern Times (2006)
Dass Dylans kreatives Hoch der späten Neunziger- und frühen Nullerjahre kein Strohfeuer war, bewies MODERN TIMES. Wer ein Haar in der Suppe sucht, wird aber dennoch fündig: Einige Songs trugen zwar Dylans Kompositions-Credits, basierten jedoch eindeutig auf traditionellen Folk- und Blues-Klassikern, was dann doch ein G’schmäckle hatte. An der Qualität der rustikalen Songkollektion ändert es allerdings gar nichts.
Vier Sterne
Tempest (2012)
Inhaltlich und stilistisch an die amerikanische Gotik von LOVE AND THEFT anknüpfend, offenbarte TEMPEST zwei Gewissheiten: Bob Dylan ist in seinem späteren Werk immer dann am besten, wenn er sich den abseitigeren Aspekten des amerikanischen Traumes widmet, den Nachtschattengewächsen, den Schurken, Spielern und Sexarbeiterinnen. Und er ist einer der wenigen Künstler, die nach einer langen Karriere, nach kreativen Triumphen und reputationsschädigenden Ausfallerscheinungen, nach Irrungen, Wirrungen, Rückzügen und Comebacks tatsächlich noch etwas zu sagen haben.
Vier Sterne
KÖNNEN SEIN
Das Wort „Protestsänger“ mag in der Rückschau so angestaubt klingen wie „Beatband“, „Heimorgel“ oder „Auslegeware“, doch war es eben Dylans betont sozialkritische, prä-elektrische Folk-Phase, die seine Karriere erst in Schwung brachte. Wer diesen Anfängen nachspüren möchte, ist mit THE FREEWHEELIN’ BOB DYLAN (1963, dreieinhalb Sterne) und ANOTHER SIDE OF BOB DYLAN (1964, dreieinhalb Sterne) gleichermaßen gut bedient. Teile der Gegenkulturszene werteten es als Affront, dass ihr Protest-Idol NASHVILLE SKYLINE (1969, drei Sterne) in ebenjener als erzkonservativ verrufenen Country-Metropole aufnahm und dem Mainstream damit ungewohnt nahe kam. Für Freunde des Genres dennoch ein brauchbares Album, zudem ebnete Dylan damit manch nachfolgenden Kollegen den Weg. Denn „The Times They Were A-Changing“, auch in Nashville. Inwiefern BLOOD ON THE TRACKS (1975, dreieinhalb Sterne) wirklich stark autobiografische Züge trägt, wie manche Dylan-Exegeten zu wissen glauben, sei dahingestellt. Fakt ist, dass dieses eher introspektive Folkrock-Werk bei seiner Veröffentlichung kaum enthusiastische Reaktionen evozierte, heute jedoch als zentrales Meisterwerk gilt.
Den Folkie, Rocker, Americana- und Country-Dylan hatten wir schon, fehlt noch der Gospel-Dylan, der die Fangefolgschaft mit SLOW TRAIN COMING (1979, drei Sterne) spaltete. Der Wiedergeborene Christ lieferte musikalisch dank sattem Background-Chor und Gitarrist Mark Knopfler Erbauliches, doch wer 1965 „don’t follow leaders“ postuliert hatte und jetzt „Gotta Serve Somebody“ sang, musste eben mit Widerspruch rechnen. Nach mehrheitlich lauen Veröffentlichungen in den Achtzigern endete das Jahrzehnt immerhin mit dem recht erfreulichen OH MERCY (1989, drei Sterne). Die Produktion von Daniel Lanois war manchen Kritiker:innen etwas zu aufdringlich geraten, aber Musik und Texte gingen absolut in Ordnung.