Nicht nur optisch erinnert sie an Blondies Debbie Harry. Englands neue Pop-Lolita besitzt auch eine kesse Zunge. Und noch mehr? Oder ist Wendy James doch nur eine Mandy Smith für modische Punks? Hanspeter Kanzler machte den Test.
Die englischen Chans sind vollgepackt mit der künstlichen Studiomusik von Swck. Aiikcn und Waicrman. Es liegt an uns und einigen weiteren Bands, ihnen diese Position streitig zu machen. Es herrscht ein Krieg zwischen Integrität und Kassensclüagerjagd. Wir stehen auf der Seile der Individualität und Integrität. Waterman & Co. stehen auf der Seite ihres 13. goldenen Porsches. Je schneller die Kids merken, wie sie bei jedem Kauf einer Single ihr Geld in die Taschen von drei reichen, sehr, ahem… berechnenden Männern stecken, desto…“
Leider kommt Wendy James nicht dazu, das „Desto“ ihrer Träume genauer auszumalen, denn plötzlich überkommt ihre 22jährige Stimme, bei der seit geraumen Sätzen ein bedrohliches Bronchialrasseln mitgeschwungen hat, ein gräßlicher, von einem flehenden Blick zum Himmel begleiteter Hustenanfall.
Die Rauchschwaden einer frischen Zigarette — genüßlich über die an die Tischplatte gestemmten Füße hinweg gepustet — wirken wiederbelebend. Auch für Wendys Gewohnheit, mit entwaffnend simplen Slogans zu operieren:, ___ und ich bin überzeugt, gute Musik wird über böse („evil“) Musik obsiegen!“
„Revolution Baby“ war Transvision Vamps erste Single: ein schamloser Verschnitt Marc Bolan’scher Refrains, komplett mit enthusiastischen „ah-ah. ohoh!“-Chören vielfach multiplizierter Wendys. Die Single zeigte zwar einen gewissen Charme, doch schaute die potentielle Kundschaft gerade anderswohin. Das Nachfolgewerk „Teil Thal Girl To Shui Up“. die beste Blondie-Single seit langem, schaffte immerhin schon die unteren Chartnotierungen. Bei „I Want Your Love“. dem dritten Anlauf, hat’s nun endlich geklappt: Zur Abwechslung klingen Wendy und Band diesmal wie ehedem Suzi Quatro. „Wir nehmen einfach all unsere Lieblingssongs und setzen sie so zusammen, daß sie auch für die SOer Jahre relevant werden. So wie die Hip Hop-Leute das tun. Oder wie Andy Warhol.“ Mit entwaffnender Ehrlichkeit hat die Band denn auch ihr Debüt-Album POP ART getauft.
Die plötzliche Allgegenwart ihrer unübersehbaren Bilder in den Medien täuscht: Transvision Vamp sind nicht über Nacht der Retorte entstiegen. Vier Jahre ist’s nunmehr her. da gönnte sich der gitarrespielendc Nick Sayer in einem Pub der Armelkanalstadt Brighton ein Bier. Es war dies just derselbe Pub. in welchem sich Wendy James zum kargen Studenienlohn ein paar Groschen dazuverdiente, und zwar mit Vcrionen von Patti Smith-Songs: „Sur ganz wenige Frauen in der Popmusik liahen einen inspirierenden Effekt auf mich. Patti Smith war die erste und. glaube ich. noch immer die beste.“
Nick war beeindruckt und schlug Wendy vor. mal ein paar von den scinigen Songs zu singen. Und weil Wendv eh keine Mm mehr hatte, von Lehrern bevormundet zu werden“, hängte sie das Studium an den Nagel. Nach zweijähriger Komponierarbeit verlegte sich das Duo gen London, wo es seither zu einem Quintett angewachsen ist. das auch live ganz schön Lärm zu produzieren vermag. Eine Gruppe, „die die Energie und die Attitüden der Punks in die Klier Jahre übersetzt.“ „Dazu ist ein ganz wichtiger Einfluß Bob Dylan„. sagt Wendy plötzlich ganz ernst, nachdem sie die erwarteten Namen (Velvet Underground. Punk. Pnnce. New York Dolls. die Faciory-Szene in Manchester) aufsclistet hat. Bob Dylan?
..klar sind wir keine Folk-Baml. und klar schreiben wir andere Texte als er. Doch kannst du von jemandem beeinflußt sein, ohne daß das in deiner Musik direkt zum Ausdruck kommt. Was wir mit Bub Dylan gemeinsam haben, ist unser Ausblick auf die Welt, die An und Weise, wie wir unsere Musik angehen und präsentieren. Ich entdeckte Dylan mit 14 Jahren. Ich hin überzeugt, daß seine Texte einen großen Einfluß gehabt haben darauf, wie ich meine Lebensanschauung formulierte. Das Konzept „Starruhm“ zum Beispiel läßt mich — uns — völlig kalt. Ich hasse es. wenn jemand auf ein Podest gestellt und als Popstar angehimmelt wird. Mit Teen-Idolisierung haben wir nichts am Hui.“
Die Art und Weise, wie du und die Band sich kleiden, und sich in der Öffentlichkeit bewegen, scheint doch aber fugenlos in die Popstar-Tradition blickfängerischer Effekthascherei zu passen?
„Nein, das seh ich nicht so. Wir schauen schlicht so aus. wie wir ausschauen. Wir haben uns nie Gedanken über unser Image gemacht. Ich würde ausschauen, wie ich ausschaue, selbst wenn ich in einer Bank arbeitete.“
Im Krieg zwischen Integrität und Kussenschlagerjagd stehen Transvision Vamp eindeutig auf der Seile des buntgescheckten, amüsanten und harmlosen Popsongs. Lang möge Wendy James von ihrer Integrität im Platten-Business träumen: Uns birgt jenes Träumchen immerhin das Versprechen manch schauen Ohrwurmes.
