Blond im Interview: „Eigentlich wissen sie, dass es falsch ist“
Chemnitz sendet. Das grelle Trio vertont neben Liebe auch Subversion. Blond im großen ME-Gespräch.

Ausgerechnet in der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 setzte vor kurzer Zeit ein gutes Drittel sein Kreuz bei der AfD. Zehntausende Hände schien in Chemnitzer Wahlkabinen vor allem eine Emotion zu leiten: der Groll. ICH TRÄUM DOCH NUR VON LIEBE, entgegnen Blond. Ihre neue Platte verlangt die Hoffnung auf ein Miteinander in einer zumindest halbwegs fairen Welt.
ME: Als Chemnitz zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 erkoren wurde, standen einigen Menschen aus eurem Umfeld die Tränen in den Augen. Spürt ihr eine Aufbruchsstimmung in der Stadt?
JOHANN BONITZ: Bei mir im Viertel sind wirklich die Cafés voll – ich weiß nicht, ob es daran liegt …
NINA KUMMER: Oder der Zug nach Chemnitz ist voll und es steigen Leute mit Koffern aus! Wenn man darüber redet, wo man herkommt, sind einige so: „Faschostadt.“ Zumindest ein paar Leute sagen aber auch: „Ah, Kulturhauptstadt.“ Es gibt jetzt ein zweites Narrativ, würde ich sagen.
Unter den Städten mit mehr als 200 000 Einwohnern hat die AfD bei der Bundestagswahl in Chemnitz die meisten Zweitstimmen erhalten. Inwieweit vermag es Kultur, ein gesellschaftliches Klima zu ändern?
LOTTA KUMMER: Ich würde sagen, dass Kunst für Kulturschaffende manchmal eine Art Ausweg ist. Wenn einem gewisse Sachen nicht gefallen, schafft man sich seine eigene bunte Welt.
NINA: Viele Konzerträume sind ja auch linke Räume – und da ist es erst mal wichtig, dass sie einfach da sind. Wenn man überlegt, wie man selber politisiert wurde, dann total oft über Popkultur. Kunst bietet die Möglichkeit, politische Debatten auf einer ganz anderen Ebene zu führen. Das ist viel zugänglicher, weil man das Gefühl hat: Ich muss über das Thema kein Buch lesen, aber den Song verstehe ich – und fange darüber an, mich damit zu beschäftigen. Das ist meine Hoffnung an die Kultur.
In der Jugend werden die Idole zu Identifikationsfiguren – was Kleidung und Sprache angeht, aber eben auch Werte. Welche wichtigen Acts oder Institutionen haben euch in dieser Hinsicht den Weg geebnet?
NINA: Wir waren viel im AJZ, dort sind wir auf unsere ersten Konzerte gegangen. Auch das Atomino-Umfeld als linker Club war sehr prägend.
JOHANN: Weil wir so früh im Atomino waren und auftreten durften, haben wir viele andere Chemnitzer Künstler:innen direkt kennengelernt, wodurch man sich gegenseitig unterstützen konnte.
LOTTA: Als wir das erste Mal Peaches gesehen haben, waren wir so: „Ach du Scheiße, wie geil ist das?“ Auf der Kunstebene, aber auch auf politischer Ebene. Weil es extrem feministisch war und trotzdem total leicht daherkam. So was hat uns immer beeindruckt.
Eure Konzerte wirken wie Messen, die der Gemeinde Trost, Verbundenheit und Kraft spenden. Ist das Zusammenkommen und Zelebrieren eigener Werte in Zeiten wie diesen die wichtigste Aufgabe der Kunst?
LOTTA: Dass es sehr wichtig ist: Fakt. Man merkt, dass unsere Fans eine Community sind. Darauf bin ich sehr stolz.
NINA: Ich war letztens auf einem Konzert. Es war zwar voll, aber alle waren für sich. Bei uns begreifen sich die Leute eher als Gruppe, sie lernen sich kennen – zumindest wünsche ich mir das. In Zeiten wie diesen ist es das Wichtigste, dass man sich vernetzt.
Vor sechs Jahren habt ihr mit „Thorsten“ zum ersten Mal gegen männliche Verirrungen angesungen. Nun brüstet sich Johann auf ironische Weise mit dem „Bare Minimum“ als Feminist-Icon. Auf dem Song findet sich die Zeile: „Sehr, sehr wenig ist mehr als nichts.“ Hat sich etwas in Sachen feministische Sensibilisierung zum Positiven gewendet?
NINA: Da muss ich kurz drüber nachdenken … Man glaubt das immer und dann passiert trotzdem wieder so was wie mit der Wahl. Wo man so ist: „Ach, Mann, die wollen jetzt wirklich die veralteten Rollenbilder zurück und labern was von zwei Geschlechtern.“
JOHANN: Immer, wenn man aus seiner Bubble rauskommt, merkt man: Es ist doch nicht alles so schön, wie man manchmal glaubt.
LOTTA: Wenn wir über „ThThThorsten“ reden: Mittlerweile kommen wir mit unserer eigenen Crew und haben gar keinen Kontakt mehr zur örtlichen Bühnentechnik. Ich glaube aber, wenn man jetzt eine Newcomer-FLINTA*-Band fragt – die würde leider immer noch sehr ähnliche Erfahrungen machen. Für mich ist es schwierig, da einen sehr positiven …
NINA: … gleichzeitig muss man sich selbst sagen, dass es sich zumindest ein bisschen ins Positive verändert. Sonst bekommt man das Gefühl: Es ist jetzt sechs Jahre her – und wenn sich überhaupt nichts ändert, das wäre schon sehr ermüdend
LOTTA: Wenn man heute mit Leuten in eine Diskussion geht, haben viele zumindest schon mal was von Feminismus gehört. Früher verstanden die überhaupt nicht, was du von denen willst. Jetzt tun sie Dinge, die unangebracht sind – aber eigentlich wissen sie, dass es falsch ist.
Auf „Girl Boss“ besingt ihr Boss-Bitch-Klopapier, Girlpower-Schals, Viva-la-Vulva-Wein – Konsumgüter mit knalligen Slogans, die aber recht wenig praktischen Nutzen mit sich bringen. Wann stieß euch der Ausverkauf feministischer Werte übel auf?
NINA: Manchmal denkt man: „Wir sind schon sehr weit. Die Werbung ist divers und auf alle Körpertypen ausgelegt.“ Aber eigentlich sind das nur Marketing-Instrumente, die im Kapitalismus gut funktionieren. Zwar können die ihre Skincare-Produkte jetzt auch an Männer verkaufen. Das hat aber nichts mit einem wirklichen Kampf gegen Ungleichheit, Diskriminierung und Sexismus zu tun. Die Chefetagen haben kein wirkliches Interesse daran, alles fairer zu gestalten. Wir haben auch vermehrt selbst Anfragen bekommen … weil „ihr seid doch so feministisch“.
Ihr solltet als Werbefiguren herhalten. Seid ihr darauf eingegangen?
NINA: Lotta und ich führen einen Podcast. Die Möglichkeit, damit Geld zu verdienen, liegt im Schalten von Werbung. Wir haben damit wieder aufgehört.
LOTTA: Ich würde lieber sagen „kauf diesen Keks, er ist lecker“, als zu sagen „mit diesem Nagellack empowerst du Frauen“. Natürlich haben wir ausschließlich solche Anfragen bekommen …
NINA: … von feministischen Companies mit zwei female CEOs, und die verkaufen dann ein feministisches Wasser. Das fühlt sich schon schäbig an beim Aufsagen!
Auf „Wie du“ kommt ihr zu dem Schluss: Nichts übertrifft die emotionale Kraft der Liebe. Auch in Anbetracht des Albumtitels: Ist die Sehnsucht nach Romantik, Geborgenheit und Liebe am Ende doch ein urmenschliches Verlangen, von dem sich auch die Gen Z mit ihren Situationships und offenen Beziehungen nicht gänzlich lösen kann?
ALLE: (lachen)
NINA: Sehr schöne Frage. Für uns ist das Thema Liebe gerade den Albumtitel betreffend weiter gefasst als nur: Ich liebe die andere Person auf eine romantische Weise. Es geht auch viel um Geschwisterliebe, um Liebe ohne Machtmissbrauch, Liebe zu sich selbst.
NINA: Auch dieses Miteinander: Wie wollen wir Menschen auf dieser Welt unsere Zeit verbringen? Aber ja, wahrscheinlich ist es schon ein urmenschliches Verlangen.
LOTTA: Es erwischt einen ja auch immer wieder mal, leider ist die Liebe nichts Rationales.
JOHANN: Leider auch manchmal vergänglich.
LOTTA: Manche Eltern sind so: „Mensch, die Person ist doch nett, warum bist du nicht mit der?“ Und man denkt sich: „Na ja, ich bin halt nicht verliebt.“ Wenn man aber rational sagen könnte: „Ich habe eine Person, die wohnt neben mir, die ist nett …“
NINA: … ich glaube, so haben Menschen das in vorherigen Generationen gemacht.
LOTTA: (lacht) Und so läuft es halt nicht mehr. Man sucht natürlich schon ein bisschen nach dem Aaah und dann ist man verliebt. Es ist auch einfach etwas sehr Schönes. Liebe kann aber auch andere Formen haben als dieses „man ist jetzt verheiratet“.
NINA: Und wenn dann vielleicht eine romantische Liebe zerbricht, ist man umso dankbarer dafür. Weil: Wer fängt einen dann auf? Die Familie, die Freunde. Das soll alles wertgeschätzt werden auf diesem Album.
Immer wieder reflektiert ihr darauf die eigene Vergangenheit. Unabhängig von den konkreten Ereignissen der Lieder: Fällt es euch schwerer, euch selbst zu verzeihen oder anderen?
LOTTA: Ich finde, das ist was total Krasses. Zu sich selbst ist man ganz oft so hart. Was man anderen teilweise durchgehen lässt und sagt: „Nicht schlimm, ich verzeih dir noch mal.“ Wenn man aber irgendwann einen liebevollen Umgang mit sich selbst pflegt, ist das so viel wert. Dann hält man Menschen, die einem Böses wollen, auf Abstand – weil man sagt: „Ich stehe für mich selbst ein, hier ist meine Grenze.“ Wenn man auch nur in die Richtung geht, merkt man: Dort lebt es sich schöner.