#BlackLivesMatter, ein Kanal voller Egoist*innen, Malonda und Coolio: Volkmanns Popwoche im Überblick
In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Paula Irmschler die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler*in, welche Platte, welche Rapper von vor 9/11 lohnen sich (nicht) – und sind schwarze Quadrate auf Deinem Social-Media-Profil wirklich politischer Aktivismus? In der neuen Folge zur KW 23/2020 geht es außerdem um Idioten zu Wasser und an Land. Musikexpress-Ultras, pumpt Eure Schlauchboote auf und wartet auf den Sturm – die neue Popwoche ist hier!
LOGBUCH KALENDERWOCHE 23/2020
Für mich ereignete sich diese Woche endlich ein Interview mit dieser Eins-A-Internet-Berühmtheit: Endlich mal mehr als immer bloß 280 Zeichen von El Hotzo, dem „Luke Mockridge für Schwuchteln“ (Selbstbezeichnung), erfahren. Mein Fazit: interessanter Jugendlicher mit Herz – demnächst mehr davon.
HILFLOSIGKEIT DER WOCHE: #thescheißmustgoon
Die Corona-Starre scheint mittlerweile endgültig Vergangenheit zu sein. Vorbei die gemütlichen Tage im Lockdown. Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in Minneapolis diskutiere ich mit einem Freund über die Beteiligung unserer eigenen kleinen Musik-Webseite am eintägigen Internet-Blackout. Unter dem Hashtag #TheShowMustBePaused ruft die Musikindustrie zu 24 Stunden Stillstand auf. Fancy Hashtag-Aktionismus ist mir zutiefst suspekt, wem dient das denn?, doch die eigene Hilflosigkeit ist groß. Man möchte gern die Lichter ausschalten, sich mit irgendeiner gefühligen Kampagne solidarisch zeigen. Es ist wohl eher eine Geste der Selbstberuhigung – wir machen also mit. Bequemer Aktionismus per Mausklick – sowas allein reicht nicht. Auch nicht der Demo-Besuch am Tag drauf in der Innenstadt. Der fühlte sich allerdings schon mal weniger hilflos und dafür kämpferischer an als all die Hashtags und schwarzen Quadrate.
DAS KLEINSTE INTERVIEW DER WOCHE: MALONDA
Malonda ist Musikerin, stammt aus Essen und lebt in Berlin. Aufgrund ihrer Hautfarbe kennt sie das Problem von Alltagsrassismus im Großen wie Kleinen zu genüge. Und diese Woche geht es natürlich auch wieder nur um diesen Scheiß. Malonda, ich schwöre, beim nächsten Interview sprechen wir einfach bloß über Musik. Das wird schön, aber jetzt erstmal das. Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast.
Malonda, „Amerika ist weit weg“, wird hierzulande beschwichtigt. Du widersprichst: „Deutschland, auch du bist gemeint!“ Was sollte jetzt auch bei uns endlich diskutiert werden?
MALONDA: Polizeigewalt aufgrund von Racial Profiling gegen nicht-weiße oder nicht-deutschsprechende Menschen gibt es auch hier. Habe ich 2017 in Berlin selbst erlebt. Der Eindruck, dass mensch hier selten daran stirbt, beruht womöglich darauf, dass die Namen Oury Jalloh, William Tonou-Mbobda, Laye-Alama Condé, Dominique Koumadio, Aamir Ageeb, Achidi John etc. der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Menschen mit Migrationshintergrund sind insgesamt überdurchschnittlich häufig von Polizeigewalt betroffen. Die mediale Unsichtbarkeit dieser Vorgänge ist hoch-problematisch. Es gibt immer wieder Statistiken darüber, dass große Teile von Polizei und Bundeswehr von Rechtsextremismus unterwandert sind. Einen Skandal gibt es aber nicht. Und auch der Rassismus-Diskurs als solcher ist in Deutschland sehr rückständig und von konstantem „Othering“ bestimmt. Das merkt man zum Beispiel daran, dass es für Othering und sämtliche andere Diskriminierungserfahrungen keine deutschen Synonyme gibt und viele das jetzt googlen werden müssen.
Die Gästeliste Deiner Show „Malondas Musikalisches Gästezimmer” macht deutlich, dass du auch viele friends und Kontakte in einer „weißen Musikszene“ besitzt. Da hängen viele aufgeklärte Leute dran, die sich positiv einbringen wollen. Also: Welche Form der Unterstützung ist für die PoC-Community konkret gefragt?
MALONDA: Es ist mir ein Anliegen, mich selber noch besser zu vernetzen, denn der Community mangelt es vor allem an Sichtbarkeit. Die Erwartungen, die an Schwarze Musiker*innen gerichtet werden, sind sehr spezifisch und beschränken sich auf die wenigen Genres, die Schwarz gelesen werden: Rap/Hip Hop, R’n’B, Soul, Jazz und so weiter. Viel zu häufig gibt es Musikkritiken und Interviews, in denen unsere Kunst in Relation zur Hautfarbe gedeutet wird – ob wir das nun wollen oder nicht. Und was soll das sein, eine „weiße“ Musikszene? So viel von dem, was sie ausmacht, ist schließlich in anderen Kulturen verwurzelt. Die werden eben einfach nicht abgebildet, sondern nur diejenigen, die davon profitieren. Da müssten die Medien schon mitziehen. Warum wird sich öffentlich immer weiter an Roberto Blanco und Xavier Naidoo abgearbeitet? Was ist um Himmels Willen mit den Frauen? Trans* und Non-Binary People? Queeren PoC? Wahrscheinlich müsste man sich irgendwann zwangsweise auch damit befassen, wie politisch unsere Branche insgesamt ist beziehungsweise ob sie es in Zeiten, in denen sich eine Gesellschaft gerade neu verhandelt, nicht gerade sein müsste. Für den Anfang hilft: sichtbar machen!
Wie kommt dieser öfter zu sehende Kommentar „All lives matter” bei Dir an?
MALONDA: Das ist dieser Whataboutismus, der ja traditionell dazu gedacht ist, unliebsame Kritik zu ersticken. Wohlmeinende Menschen schreiben das öfter aus Unwissenheit darüber, dass das für Rassisten reine Taktik ist. Folgenden Vergleich, den es mittlerweile als virales Meme gibt, finde ich hilfreich: Wenn ein Haus brennt und man ruft die Feuerwehr, muss diese nicht erst anrücken und alle Häuser in der Nachbarschaft besprühen, nur, weil die auch wichtig sind? Die Realität von BPoC weltweit brennt seit Jahren, weshalb gilt „All lives can’t matter, until black lives matter“ – wer an der Seite der Bewegung stehen möchte, muss ihr den Raum lassen, ihr Anliegen konkret zu formulieren.
Folgt Malonda auf Instagram und überhaupt: @frau_malonda
UNTERGANG DER WOCHE: PARTY PEOPLE AUF SEE
Es war alles – wie immer – nicht so gemeint. Es ging um Aufmerksamkeit für die prekäre Lage der Clubs und endete in einem fragwürdigen Hedo-Flashmob vor einem Krankenhaus. Zehntausende Teilnehmer*innen, ohne Ab- oder Anstand. Das Bild mit dem bekritzelten Bettlaken „I can’t breath“ (sic!) über einer saufenden und feiernden Crowd wird zum Symbol des zynischen Egoismus einer mit den Hufen scharrenden Ausgehgesellschaft. Dem Verständnis für die aktuelle Notlage der Clubs hat diese Aktion in jedem Fall keinen guten Dienst erwiesen. Letztlich einfach eine rundum große Scheiße.
DOKU DER WOCHE: „We Almost Lost Bochum”
“Wem willste es denn verübeln, wenn die Leute das große Geschäft wittern, mit den Scheinen wedeln und die halbe Szene aufkaufen?“
Deutscher HipHop geht zur Jahrtausendwende erstmals so richtig durch die Decke, Acts dieser Zeit sind Samy Deluxe oder die Beginner – aber auch das Ruhrgebiet hat seine Stars: RAG a.k.a. Ruhrpott AG sind eine Crew, die sich zu dieser Zeit schon viel Fame erarbeitet hat. Mit dem zeitweiligen Kollaps der HipHop-Bubble innerhalb der Musikindustrie verschwinden allerdings auch RAG.
Weg vom Fenster – und heute nur noch Teil kollektiver Nerd-Erinnerungen. Julian Brimmers und Benjamin Westermann zeichnen in „We Almost Lost Bochum“ Aufstieg und Fall der Gruppe nach. Ach, klingt viel zu pathetisch, diese Doku ist einfach eine Spurensuche, in der sich weit mehr finden lässt als nur die Story einer Band. Persönlich hatte ich RAG damals nicht auf dem Schirm, der ganze deutsche HipHop-Boom um Y2K war mir – als Szenefremder – völlig suspekt. Nach diesen zwei Stunden allerdings habe ich mir „Unter Tage“ (1998), das Referenzwerk von RAG, noch mal gegeben und den Film mit den damaligen Sounds abgeglichen. Was soll ich Euch sagen? Mehrwert 3000.
HÖRSPIEL DER WOCHE: Der Melog
Aus dem Power-Haushalt Summen (Staatsakt) schwappt gerade eine putzige Geschichte in meine stets geöffneten Hörspiel-Minen: Gabriele Summen hat sich „Julius und der Melog“ ausgedacht. Das ist auf allen Plattformen zu hören und wird unter anderem gesprochen von Reverend Chr. Dabeler und Francoise Cactus. Hätte sich die Hamburger Schule damals durchgesetzt, wäre sowas heute Pflichtstoff für die Kids statt „Paw Patrol“ oder Crack!
KEIN MEME DIESE WOCHE
Guilty oder Pleasure?
(90s-Edition, Pt.7)
Die Sache ist ganz einfach: Ein verhaltensauffälliger Act aus dem Trash-Kanon der 90er wird noch mal abgecheckt. Geil or fail? Urteilt selbst!
Folge 7:
Coolio
HERKUNFT: (Straight outta) Compton
DISKOGRAPHIE: 10 Studio-Alben
ERFOLGE: „Gangsta’s Paradise“ verkauft weltweit über 6 Millionen Einheiten, erreicht insgesamt 17 Platin-Auszeichnungen und ist 1995 der erfolgreichste Song in den USA.
TRIVIA: Coolio macht mittlerweile Werbung für die Sex-Seite Pornhub.
PRO
Dieser Film mit Michelle Pfeiffer… er wäre längst vergessen, wenn ihn nicht der Song des sympathischen Kiffers mit der komischen Frisur unsterblich gemacht hätte. Er vermischte auf luftige Art chartstaugliche Klänge, Drama und Sprechgesang. Der Platz in den ewigen Bestenliste des Pop steht Coolio eindeutig zu.
CONTRA
„Gangsta’s Paradise“ war schon damals unerträglicher HipHop-Kitsch mit Moralkeule, undichter Tränendrüse und musikalisch fast komplett von Stevie Wonder gerippt. Dass Coolio bei all seinem Zufalls-Fame Mitte der Neunziger nur ein One-Hit-Wonder blieb, spricht auch nicht gerade für einen großen künstlerischen Geist.
Anmerkung der Redaktion: Mehr über die Neunziger erfahrt Ihr in unserem neuen Podcast „Never Forget – der 90er-Podcast“. Vom 9. Juni überall, wo es Podcasts gibt!
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.