Björk – Vulkan aus dem Eis
Im Alleingang erobert Björk den Pop-Himmel und verzaubert die ganze Welt. Doch der Erfolg ist keine Hexerei: Hinter dem hübschen Gesicht verbirgt sich ein Arbeitstier em französischen Hotelportier entlockt die Szenerie nur einen äußerst indignierten Blick. Vor dem Fenster des durchschnittlich komfortablen Baus schneidet eine bunt bemalte Dame grausame Grimassen und garniert sie mit ziemlich eindeutigen Hüftbewegungen. Dann drückt sie einen dicken Schmatz auf die Scheibe, winkt und verschwindet in Björks Tour-Bus.
Björk kichert über das Abschiedszeremoniell ihrer Musikerin, und die Fältchen, die sich dabei über ihrem hübschen Naschen bilden, würden bei jedem männlichen Kollegen wohl sofort den stereotypen Wortschwall provozieren, der die Isländerin seit Anbeginn ihrer Karriere begleitet: Eisprinzessin, nordische Fee, Indie-Elfe, Pippi Langstrumpf, mythische Kindfrau, Kobold oder schlichtweg Göttin …
„Wenn ihnen einer abgeht, wenn sie mich sehen — bitteschön. “ Nicht gerade die passende Wortwahl für eine Künstlerin, die allerorts für ihre entrückte Exotik und verträumte Unschuld gepriesen wird. Die in Videoclips vor überdimensionalen Teddybären flüchtet und beim Essen trotzig beide Ellenbogen auf den Tisch stemmt.
Als anno 1988 die Sugarcubes das europäische Festland erreichten, wurde ihre zierliche Frontfrau schnell zum Traumbild jedes musikinteressierten Feuilletonisten. Selbst seriöse Profis von Spiegel oder SZ konnten ihre Begeisterung kaum zügeln. Vielleicht weil ihre fremdartige Erscheinung so wenig mit den Attributen handelsüblicher Sex Objekte zu tun hatte, daß selbst emanzipierte Männer niedere Triebe halb offen bekennen konnten. Doch so differenzierte Gedanken über ihre Bewunderer will Björk sich ohnehin nicht machen:
„Schickt doch die männlichen Musikjournalisten am besten alle in Therapie. „
Björk selber hat ihre Nachhilfestunden in Sachen Massenpsychologie schon zeitig hinter sich gebracht. Im zarten Jugendalter von zwölf Jahren hat sie, — Kind einer aufgeschlossenen Hippie-Familie —, ihre erste Platte mit eigens für sie komponierten Kinderliedern aufgenommen. „Meine Eltern waren damals sowas wie die In-Leute Islands. Sie hatten jede Menge Kontakte auch zur Musikbranche. Ich war sowieso den ganzen Tag am Singen, da hat sich diese Platte ganz zufällig ergeben.“ Klein Björk allerdings, zum Freidenker erzogen, hatte schon damals ein äußerst ausgeprägtes Selbstbewußtsein:
„Ich habe alle Lieder damals selber ausgewählt und auch die Texte abgesegnet. Dann kamen irgendwelche Produzenten ins Spiel und haben meine Stimme zu Minnie Maus-Gequietsche verzerrt. Danach wußte ich, daß ich sowas nicht mehr machen will. Die Leute, mit denen ¿
ich damals arbeitete waren alles Erwachsene. Die hatten die besten Tage ihres Lebens schon gesehen. Ich war ein Teenager, ich wollte die Welt verschlingen. Und ich wollte meine eigene Musik machen.“ Für die Erwachsenen war das wohl ein harter Schlag, denn Björks Frühwerk verkaufte sich in Island wie Fischfilet. „Ich war danach sowas wie öffentliches Eigentum.“
Das sorgte für die nächste frühe Erkenntnis: „Man braucht eine gute Portion Humor, um in dieser Branche zu überleben. Das Ganze ist ein Spiel, man darf das nie vergessen und vor allen Dingen nicht ernst nehmen.“ Für Björk gab es nach dem ersten Vorgeschmack des Starrummels nur eine Konsequenz:
„Ich habe mich seither redlich bemüht, nicht berühmt zu werden. „Das ist ihr gründlich mißlungen. Seit Björk nur noch Björk ist und nicht mehr die Sängerin und das Aushängeschild der Sugarcubes und vor allem seit sie mit ihrem ersten Solowerk „Debüt“ eine der überraschendsten und eigenständigsten Platten des Jahres 1993 veröffentlichte, hat sie sich den eigenen Masterplan gründlich versaut. Zu gut paßte sie in die Lücke einer nicht gerade von weiblichen Reizen überfluteten Musikwelt der Gegenwart. Und ihr größter Verdienst dabei ist, daß sie nicht esoterisch verklärt die eigenen Neurosen vertont, sondern tatsächlich Musik macht, zu der man tanzen kann. Der Spaßfaktor war ihr ein persönliches Bedürfnis. Achtzig Prozent aller Tanzmusik sei phantasieloser Müll, so meint sie, da war es an der Zeit, daß jemand die Musik macht, zu der sie selber um sechs Uhr morgens noch die Beine schwingen würde.
Die Botschaft kommt an: Drei Stunden später hat sich die erfrischend bodenständige junge Frau, die latent genervt („Interviews gehören nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftungen.“) aber geduldig im Hotelfoyer Fragen beantwortete, in das viel umschwärmte Fabelwesen verwandelt, für das noch niemand den richtigen Namen fand. Auf der Bühne des Elyssees Montmartre steht eine Erscheinung im langen weißen Kleid und hat die Haare zu wunderlichen kleinen Knötchen gebunden — in der barocken Umgebung von Kristallüstern und blätterndem Stuckwerk ein perfektes Bild. Ihren musikalischen Eigensinn hat Björk in ein erstaunliches Live-Konzept verpackt.
Begleitet von zwei Percussionisten zwei Keyboards, Baß, Schlagzeug, Saxophon und Flöte bestreitet sie eine Show, die bis in die letzte Reihe glückliche Gesichter zaubert. Gemäßigte Techno-Beats wetteifern mit der sirenenhaften Stimme der Isländerin und müssen natürlich unterliegen. Sanfte Grooves schmeicheln sich charmant wie ihre Interpretin ins Ohr. Und Björk tobt über die Bühne wie ein Kind am ersten Frühlingstag. Das Schönste daran: Ob sie nun in ruhigen Momenten regungslos am Mikrophonständer verharrt oder mit schlenkernden Armen fröhlich über die Bühne hüpft, Björk wirkt dabei so unprätentiös, ehrlich und spontan, als wäre es tatsächlich ihr Privatvergnügen dort oben zu stehen.
Ganz so einfach darf es letztlich doch nicht sein:
„Musik zu machen ist meine Form von Besessenheit, es ist fast wie ein Krankheit. Ich arbeite wie ein Tier dafür, manchmal siebzehn oder achtzehn Stunden am Tag.“ Das, so Björk, sei allerdings typisch isländisch: „In unserem Land ist Arbeit Religion. Man arbeitet aus Leidenschaft. Wer immer seinen Job aus einem anderen Grund macht, ist für mich ein verdammter Verlierer. Etwas nur für Geld zu tun, ist nicht besonders ehrenhaft. “ Und das gilt im strengen Weltbild der Björk Gudmundsdottir nicht nur für Leute, die wie sie zu den Glücklichen gehören, die ihr Hobby zum Beruf machen konnten.
„Es ist Blödsinn anzunehmen, daß alle Musiker ihren Beruf aus Spaß machen, und alle Leute, die Schuhe machen, das nur aus Existenzgründen tun.“ Denn, ausschließlich Freude hat Björk an ihrer Betätigung auch nicht. Vor allem seit sie erfahren mußte, daß Popstars mehr Zwängen ausgesetzt sind als brotlose Künstler. „90 Prozent deiner Zeit verwendest du darauf, den golde¿
nen Moment vorzubereiten, in dem du machen kannst, was du wirklich machen willst, nämlich Musik. Ich gebe nicht besonders gerne Interviews, ich reise nicht gerne, ich mag keine Hotelzimmer. Ich bin kein technisch interessierter Mensch, aber ich muß wissen, wie ein Mischpult funktioniert. Also habe ich mich gezwungen, eine Menge Bücher darüber zu lesen. Das ist Arbeit für mich.“
Falls die unangenehmen Seiten ihrer musikalischen Obsession mal überhand nehmen sollten, hat die über sprudelnde Energie der kleinen, resoluten Person für sie schon jede Menge Alternativen vorgesehen, „1000 Wege, die ich gehen könnte, für die aber ein einziges Leben gar nicht reicht. Ich würde gerne Comics zeichnen, oder eine isländische Bäurin werden. Ich würde gerne ein Cafe auf einer Insel im Süden betreiben. Ich wäre gerne Krankenschwester in China. Ich wäre gerne Babysitter.“
Ihre zweite Profession bis dato ist allerdings eine andere: Björk ist Mutter eines siebenjährigen Sohnes, mit dem sie letztes Jahr die Heimatinsel verlassen hat, um in London seine Schulpflicht und ihre Karriere auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Trotz dieses Schrittes hat sie noch immer ein relativ ambivalentes Verhältnis zu swinging London. „London ist nicht mein wirkliches Zuhause. Doch das permanente Pendeln zwischen den Orten ging mir allmählich auf den Geist. Und so entschied ich mich, mit meinem Sohn Siddri nach London überzusiedeln. “ Wo sie und er sich ein schickes Apartment in Londons Little Venice-Bezirk teilen. „Ich glaube, ich werde hier noch ein Album einspielen und dann wieder zurückziehen. Schließlich habe ich noch mein Haus in Island.“
Der letzte Beweis gegen den Mythos: Als berufstätige Mutter muß Björk mehr Realistin als Prinzessin sein. „Natürlich fällt es manchmal schwer die beiden Hauptkomponenten meines Lebens miteinander zu verbinden. Als ich gestern zuhause anrief, erfuhr ich, daß Siddri Grippe hat. Da ist mein erster Gedanke natürlich, die Tour abzubrechen und sofort nach Hause zu fahren, um bei ihm zu sein. Man lebt in einem ständigen inneren Zwiestreit, aber den hat man immer, wenn man sich seine Zeit im Leben einteilen will. Wieviel Zeit verwendet man für sich, wieviel für andere. Ob das jetzt Freund oder Kind oder sonst wer ist, macht keinen Unterschied. Ich will das nicht an die große Glocke hängen, ich bin nicht die einzige Frau, die ein Kind groß zieht und arbeitet. Das ist doch sehr gewöhnlich.“
Als Frau in ihrem Beruf, meint Björk kühl, „hat man es sowieso viel zu leicht. Stell Dich auf die Bühne und seh‘ ansatzweise gut aus. Du brauchst nur drei Gitarrenakkorde beherrschen und wirst schon als verdammte Göttin gepriesen. Es ist traurig, daß man sich als Frau so wenig beweisen muß, solange nur der Lippenstift richtig sitzt.“ Dabei trägt sie gar keinen und sieht trotzdem so schön aus. Björk hat keine Zeit für Komplimente, sie ist schon halb aus der Tür, bevor sie ihren letzten Satz beendet hat.