Björk – Telegram
Man könnte die Sache ja zynisch angehen und behaupten, Remix-Alben seien nichts weiter als der Versuch, aus Künstlern, die im Songschreiben nicht so flink sind, ein paar Groschen mehr herauszuquetschen. Nun sind wir aber alle gewillt, zu glauben, Björk besäße nicht die Faser eines zynischen Business-Kopfes, der uns mit Ausschußware verarschen wollte. Dieser Glaube wird von TELEGRAM nicht überstrapaziert. Insgesamt existieren um die 60 Remixes der Stücke von POST, dem letzten „richtigen“ Björk-Album. Und viele davon sind unter Beihilfe der isländischen Sirene persönlich entstanden. Für TELEGRAM hat sie von jedem Song die Version ausgesucht, die die Eigenart des Liedes am konsequentesten hervorhebt und dabei oft auch den Gesang neu aufgenommen. Auf der Plus-Seite kriegen wir LFO’s Space-Version von ‚Possibly Maybe‘, Dillinjas Drum & Bass-Mix von ‚Cover Me ‚Army Of Me‘ im metallesken Ambient-Mix von Graham Massey (808 State), und last but eindeutig best ‚Headphones‘ im beeindruckend spröden Stil des Finnen Mika Vainio. Weniger glücklich ist die verklemmte ‚Hyperballad‘ des Brodsky Quartets oder Deodatos säuslige ‚Isobel‘ in Begleitung von 60 Streichern, und geradezu unerklärlich Dobie’s Langweil-Rap zu ‚I Miss You‘. Dagegen ist der einzige neue Song eine fürwahr charmante Vignette – ‚My Spine‘ ist ein Du-1 ett von Stimme und polierten Autoauspüffen, aus denen die taube klassische Perkussionistin Evelyn Glennie einen Zauberteppich aus Sounds macht.
„Es machte l unglaublich viel Spaß, mit Evelyn zu arbeiten tfef beeindruckend…“, strahlt Björk. Denn bemer-‚ kenswert ist an der 31jährigen Schottin nicht nur, daß sie in der ganzen klassischen Musikwelt der erste Volt-Profi im Bereich der Perkussion ist. Bemerkenswert ist an ihr auch die Tatsache, daß sie seit dem zwölften Lebensjahr vollkommen taub ist. Ihre Technik hat sie sich erfühlt – bei Auftritten ist sie oft barfuß, damit sie buchstäblich die Vibrationen besser spüren kann. Lippen kann sie derart subtil lesen, daß sie bei einem Engländer sogar den regionalen Akzent erkennt. „Ich besuchte sie in ihrem Haus auf dem Land, wo sie ein kleines Studio hat. Wir vertilgten Unmengen von Biscuits, tranken viel Tee und nahmen etliche Songs auf. Sie hat eine Marimba wie ein Cadillac! Wir improvisierten viel. ‚My Spine‘ war in zehn Minuten fertig. Sie klimpert da auf einem Set von auf Hochglanz polierten Autoauspüffen herum! Aber noch mehr am Herzen liegen mir die Improvisationen, die wir mit Stimme und Marimba gemacht haben. Vielleicht erscheinen sie in irgendeiner Form zu einem späteren Zeitpunkt noch“, erzählt Björk.
Nicht nur die eigentümlichen Klänge heben TELE-GRAM allerdings von der Pop-Konkurrenz ab, sondern auch die Verpackung und die begleitenden Promo-Photos des japanischen Fotografen Kobuyoshi Araki. Dafür ist die multi-kulturell interessierte Wahl-Londonerin extra nach Nippon geflogen. „Ich habe ihn mehrere Male angefragt“, sagt Björk, „aber sein Kommentar war schlicht ‚fuck off‘. Er dachte, ich sei bloß so ein dummer, kleiner Popstar, was ich natürlich auch bin…“ Aber zum Schluß, als Björk ihm schrieb, sie wolle nur von ihm, und von niemand sonst, abgelichtet werden, ließ sich Araki doch dazu herab, sie ins Studio zu laden. Mehr noch: Er brach für sie sogar seine goldene Regel, nämlich daß er von Frauen selbst Portraits nur dann mache, wenn sie nackt seien, denn im Entkleiden entblättere sich auch erst das Gesicht. „Sie braucht sich nicht auszuziehen“, erklärte Araki, nachdem er Björk kennengelernt hatte, „ihr Gesicht ist auch so nackt und pur.“ Araki ist mit seinen Bilder von Frauen, erotisierten Kochtöpfen, Stadtbildern und Katzen in Japan zum Pop-Star geworden. Von ihm nackt und oft in „pornographischer“ Pose fotographiert zu werden ist eine Ehre, die Warteliste von Möchtegern-Models ist lang. Björk: „Manchmal habe ich das Gefühl, daß die Welt voller Feiglinge ist. Aber Arakis Fotos sind mutig und ehrlich. Er hat eine Fähigkeit, in allem die Magie zu sehen. Er bringt überall eine Unschuld und Naivität hervor, aber auch eine gewisse Unbarmherzigkeit und Grausamkeit. Solche Gegensätze inspirieren mich.“