Bitch mit Botschaft
Schon mit ihrer ersten Single schaffte Meredith Brooks den Sprung an die Spitze der US-Charts. Provozierender Titel des Songs:“Bitch“. Nun, eine Schlampe ist sie sicher nicht. Als Biest jedoch hat sie durchaus Erfahrung.
Die Frau macht nicht einfach nur Musik, die Frau hat auch eine Botschaft. Und die hat sie in ihren Song „Bitch“ gepackt: „Ich will, daß Frauen zu ihren Gefühlen und den verschiedenen Facetten ihrer Persönlichkeit stehen“, sagt Meredith Brooks und streicht sich die langen, dunkelbraunen Haare aus dem schmalen Gesicht. „Bitch“ wurde ein Hit. Und die Textzeilen „I’m a bitch, I’m a lover, I’m a child, I’m a mother, I’m a sinner, I’m a saint. I do not feel ashamed. I’m your hell, I’m your dream and nothing in between; you know you wouldn’t want it any other way…“ haben viele Musikfans – darunter auch eine ganze Menge Männer-als Message verstanden. Und jetzt bekommt die amerikanische Sängerin und Gitarristin, die ihr Alter nicht preisgeben will, all diese Briefe, die sie sehr stolz machen: „Zum Beispiel von einer 13jährigen, deren Eltern nie mit ihr zufrieden waren. Sie hatten ganz klare Vorstellungen, wie ihre Tochter sein sollte. Und die hatten mit der Realität rein gar nichts zu tun.“ Die Lösung lag auf der Hand. Töchterchen spielte Mama und Papa „Bitch“ vor. Seitdem herrscht Frieden in der Familie. „Das macht mich stolz“,sagt Meredith. Und dann das Dankschreiben von der 38jährigen Brooks-Anhängerin, die ihr Leben lang davon geträumt hatte, Gitarre zu spielen. „Sie hörte mein Album, und danach ließ sie sich meine Akkorde von einem Freund beibringen. Solche Reaktionen spornen mich an.“ Das ist gut so. Denn fast hätte Meredith nicht mal die Songs ihre Debütalbums „Blurring The Edges“ aufgenommen:“Ich bin sehr kompliziert und auch sehr selbstkritisch, weil ich eben all das bin.was ich in ‚Bitch‘ sage. Ich kam ins Studio und sollte singen. Und ich sagte’oh nein, das kann ich nicht. Was ist, wenn das jemand hört?‘ Aber dann dachte ich mir:’Ich will all das, was ich erlebt habe, mit anderen teilen. Wenn sich nur eine Person dadurch besser fühlt, reicht das schon.’Vor allem in den USA haben die Menschen nicht gelernt, das auszudrücken, was sie empfinden. Jungs dürfen eben immer noch nicht weinen.“
Meredith spricht aus Erfahrung. Auch sie mußte lernen, ihre Gefühle zu verstecken: „Ich war das mittlere Kind in der Familie. Meine große Schwester lief ziemlich früh von zu Hause weg. Ihretwegen gab es dauernd Ärger. Und meine Eltern machten sich Sorgen um sie. Deshalb mußte ich die Artige sein. Aber hinter der Fassade spielte sich eine Menge ab. Ich tat eben alles Verbotene heimlich.“ Meredith wuchs in dem College-Kaff Corvalis in Oregon auf. „Da ist es dauernd so neblig wie jetzt gerade hier“, sagt sie und zeigt mit einer fahrigen Bewegung nach draußen, wo vor dem Fenster ihrer Kölner Hotelsuite der 97er Dauerregen niedergeht. Merediths Mutter arbeitete als Innenarchitektin, ihr Vater als Sheriff. „Er war sehr streng und stets auf Disziplin aus. Genau das Gegenteil von meiner Mutter. Die hat uns immer alles machen lassen.“ Die Eltern ließen sich scheiden. Und Meredith wuchs „frei wie ein echtes Hippiekind“ auf einer Farm auf. „Wenn ich einmal im Jahr meinen Vater besuchte, spielte ich den perfekten kleinen Engel“, erinnert sich Meredith an ihre Zeit als kleines Biest. „Erst mit 19 ging ich zu ihm hin und sagte-.’Hör mal, Daddy, ich bin ganz anders.‘ Und dann zählte ich all meine negativen Eigenschaften auf. Er war völlig perplex. Als ich ihm kürzlich’Bitch’vorspielte, mußte er lachen und sagte:’Das erinnert mich an damals‘.“ Merediths Mutter ließ ihre Tochter schon früh eine Musikschule besuchen: „Ich habe Musik gemacht, seit ich denken kann. Ich klaute mir immer die Gitarre meiner älteren Schwester und sagte,’ich spiel‘ eh besser als du‘.“ Vom Musikgeschmack der älteren Schwester aber, die Platten von Eric Clapton, Jimi Hendrix und Bonnie Raitt sammelte, profitierte Meredith. Die erwähnten Musiker wurden zu ihren Idolen. Später kam Chrissie Hynde als Vorbild dazu („sie ist die Beste, ich habe ihre Art von Humor übernommen“) und Fleetwood Mac:“Lindsay ßuckingham spielt göttlich. Ich bin ein echter Fleetwood Mac-Fan.“ Als 15jährige fing Meredith an, eigene Songs zu schreiben. Und nach der Highschool ging sie als Sängerin und Gitarristin von diversen Bands auf Ochsentour durch die Clubs in Oregon. Obwohl sie gut davon leben konnte, zog Meredith auf Einladung der ehemaligen GoGos-Drummerin Charlotte Caffay nach Los Angeles, um dort in Charlottes Band The Graces zu singen und Gitarre zu spielen. Meredith denkt gern an diese Zeit zurück: „Charlotte ist ja wesentlich älter als ich. Sie hat alles gelernt, was man als Frau in diesem Business lernen muß. Ich hätte mir keine bessere Lehrerin wünschen können.“
Nach dem Ende der Graces plünderte Meredith ihr Konto, hatte dadurch ganze 140 Dollar in der Tasche und nahm schließlich unter der Regie von Punk-ProducerGezaX“Bitch“ auf. Wenig später ging sie mit David Ricketts (David & David) ihr Debutalbum an. Für ein halbes Jahr zog sie sich in Ricketts Haus im Nicholas Canyon zurück: „Er verschaffte mir den kreativen Freiraum, den ich brauchte. Er hielt mir alle Leute vom Hals. Auch die von meiner Plattenfirma.“Ricketts griff auch zu ungewöhnlichen Mitteln, um seiner Künstlerin zu helfen. So stellte der erfahrene Produzent eines Abends im ganzen Haus Kerzen auf, um die Musikerin in Stimmung zu bringen. Meredith setzte durch, daß sie alle Gitarrenparts auf „BlurringThe Edges“ spielen durfte („das unterscheidet mich von den meisten anderen Musikerinnen“). Mit der Grunge Bewegung will sie nichts zu tun haben:“Die ist mir zu dunkel, zu depressiv. Ich will positive Musik machen. Zum Glück ist Grunge vorbei. Ich mußte fünf Jahre warten, bis meine Zeit gekommen war. Jetzt darf man endlich positive und aufbauende Texte singen.“
Seit einigen Jahren mischt Meredith Brooks aktiv in der New Age-Fraktion der amerikanischen Frauenbewegung mit. Seit sie nach Los Angeles gezogen ist, besucht sie regelmäßig Frauengruppen. Dort diskutiert sie dann mit ihren Freundinnen Probleme der weiblichen Selbstfindung. Unter anderem lernte sie dort auch „die heilsame Kraft der Tränen“ zu schätzen. Über derlei Themen hält die redegewandte Musikerin Vorträge in Kliniken und an Schulen. Zu ihrem Freundeskreis zählen auch „einige sehr erfolgreiche Karrierefrauen“. Um fit zu bleiben, praktiziert Meredith Yoga. Zudem geht sie bei einer alten Indianerin in die Lehre, die ihr „viel über das Leben und über die Macht, die wir Frauen eigentlich haben“, beigebracht hat.
Meredith hört aber auch hin, wenn Kollegen musizieren. So schätzt sie die Wallflowers, Verve Pipe oder auch Sheryl Crow. Daß manche Kritiker sie mit Frau Crow vergleichen, macht sie allerdings sauer: Journalisten, die so etwas schreiben, sind einfach zu faul, um richtig hinzuhören.“ Fuchsig wurde Meredith auch, als ein US-Reporter sie mit Alanis Morissette verglich:“Er behauptete, erst die Musik von Alanis hätte mich wirklich zum Songschreiben animiert. Dabei war ich längst im Studio.ais Alanis mit ihrem Album rauskam. Die Platte kaufte ich mir erst, nachdem ich den Artikel dieses Journalisten gelesen hatte. Da merkte ich, daß Alanis viel jünger ist als ich, ganz anders singt und zudem auch noch völlig andere Themen behandelt.“ Darüber hinaus machte Meredith mit Blick auf Frau Morissette eine weitere Feststellung -„nämlich die, daß diese Frau richtig gut ist!“ Und das imponiert der Lady aus Oregon,“denn letztlich haben Frauen in diesem Business doch alle mit demselben Problem zu kämpfen. Sie werden immer miteinander verglichen. Daß Pearl Jam wie die Stone Temple Pilots klingen, schreibt niemand. Selbst Fiona Apple wird mit Alanis Morissette verglichen. Das ist doch wirklich so, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen, nur weil beides Obst ist.