Birne in Texas


Wer mit Amerika überhaupt nichts anfangen kann, sollte sich das Eintrittsgeld sparen: David Byrne spielt in seinen TRUE STORIES den augenzwinkernd-ironischen Reiseführer durch Reagans Vereinigte Staaten. Und wie sich Deutschland auf die Lindenstraße reduzieren läßt, versammelt der Chefdenker der Talking Heads die USA im texanischen Städtchen Virgil.

David Byrne glaubt sich selbst kein Wort: „Obwohl der Film .Wahre Geschichten‘ heißt, bin ich untröstlich, zueeben zu müssen, daß viele der Geschichten erfunden sind. Ich hübe die Ideen zwar aus Zeitungsartikeln, Büchern und Zeilschriften, in denen es angeblich um echte Leute geht, aber ich habe mich von diesen Geschichten eigentlich nur anregen lassen. Aber die Überlegung, daß das vielleicht alles wahr ist, gibt dem Film wohl noch einen besonderen Reiz. Wir haben uns bei den Numeri der Figuren von den echten Leuten in den Artikeln inspirieren lassen; ein paar Figuren sind Kombinationen tatsächlicher Personen; und die echten Leute wohnen selbstverständlich nicht alle in einer Stadt. Wissen Sie, ich hin nicht mal sicher, wie verläßlich diese Zeitungsartikel sind. Und um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Das ist mir auch ganz egal. Wichtig ist, daß man merkt, daß ich sie für wahr gehalten habe, als ich sie gelesen habe.“

Das merkt man allerdings. Und man glaubt diesem adretten, hageren Herrn im schwarzen Anzug jedes Wort. Obwohl ihm das Agieren vor der Kamera schwerer gefallen ist als das Regieführen, wirkt David Byrne als Erzähler, Fremdenführer so seriös wie die amerikanische Ausgabe von Mamis liebstem Deutschlehrer. Er sitzt in einem unglaublich roten Cabriolet und chauffiert uns durch Virgil und Umgebung.

Erste Station: die Firma Variocorp, ein Microchip-Hersteller vor den Toren der Stadt, finanzstark und einflußreich. Wir werden durchs Werk geführt, lernen den Spanier Ramon kennen und den dicken Louis Fine, der in der keimfreien Kammer arbeitet und eine Frau sucht. Sein Friday Night Fever kühlt er in einem Club, wo Byrne auch die „Lügende Frau“ {„Als ich in Vietnam Krankenschwester war, steckte ich mal mitten im Dschungel fest, mit einem echten Rambo und jede Menge andere schräge Vögel trifft, die schließlich alle zusammen „Wild Wild Life“ singen.

Dann sind da noch die „Süße Frau“ mit ihren Faible für aufeinander abgestimmte Pastelltöne, die „Faule Frau“, die den ganzen Tag im Bett liegt und für jede nur denkbare Verrichtung ein eigenes Maschinchen besitzt. Und Familie Culver: Verwaltungschef Earl Culver, seine Frau Kay (die beiden haben seit Jahren kein Wort mehr miteinander geredet) und ihre Kinder Linda und Larry. David Byrne besucht sie beim Abendessen.

Gleichzeitig bereitet sich Virgil auf die alljährliche „Celebration Of Specialness“ vor, gesponsort von Variocorp, mit Modeschau, Parade und abendlichem Open Air-Musik- und Show-Spektakel. Hier treffen sich die sparsam ausgelegten Handlungsstränge und bringen einmal begonnene Geschichtchen zu Ende, Louis Fine nimmt Voodoo-Zauber zu Hilfe und heiratet schließlich die „Faule Frau“, alle singen „People Like Us“, dann klingt’s langsam aus.

Handlung und logischer Ablauf spielen in den TRUE STORIES bloß extrem untergeordnete Rollen und wirken wie eilig gemachte Konzessionen an die klassische Spielfilm-Form. David Byrne hat etwas ganz anderes vor und die Informationen aus eingangs zitierten Artikeln zu einem wunderschön gemalten Amerika-Bild verdichtet. Ein Bericht zur geistigen Lage der Nation, in der Helmut Kohl seinen großen Bruder sucht, unter besonderer Berücksichtigung der VS-Normalos (der Leute, die sich bei uns „Dalli Dalli“ und Wim Thoelke anschauen würden). Byrne überzeichnet sie maßlos, indem er ihnen die Marotten schriftlich überlieferter Spinner verleiht.

Trotzdem bewegt er sich zwischen seinen Geschöpfen nicht wie ein Zoo-Besucher, sondern eher wie die Stadtmaus auf Stippvisite bei Gevatter Feldmaus. Er wird herumgeführt, man erklärt ihm die Zusammenhänge und läßt ihn ungehemmt teilhaben am bunten Spießerleben. Byrne ist interessiert, höflich und völlig emotionslos. Er ist nicht gekommen, um sich über diese Leute lustig zu machen — sie entlarven sich selbst.

TRUE STORIES ist ein sommerwarmer Sonntagnachmittags-Ausflug aufs Land, wo Onkel Byrne unseren staunenden Kinderaugen das wahre Amerika zeigt. Die Farben kann man fühlen, das Gras kann man riechen, die „Wahren Geschichten“ muß man glauben.

Die übrigen Talking Heads tauchen ebenfalls auf, am Rande, als Video im Fernsehen. Und die meisten Songs kennt man von ihrem ebenfalls TRUE STO-RIES betitelten Album, allerdings werden sie im Film von den jeweiligen Schauspielern interpretiert (u.a. vom 70jahrigen Pop Staples, dem Stammvater der Staples Singers). Diese Versionen sind um Längen besser als die der Talking Heads und auf keinem Album zu kriegen, auch nicht auf der Soundtrack-LP. Kinostart: Anfang März