Billy Idol
Ist es Mad Max? Ist es der Exterminator? Wenn Billy Idol in Pose geht, bleibt kein Auge trocken. Immerhin war es nicht zuletzt die gestylte Macho-Optik, die Billy in den USA zum neuen Idol werden ließ. Mit Hilfe des ehemaligen Kiss-Managers Bill Aucoin hat sich der einstige Punk zum properen Popstar gemausert. Was hinter der kunstvollen Fassade steckt, wird der 28jährige Engländer erst noch beweisen müssen. Singles wie "Dancing With Myself", "Rebel Yell" und "Eyes Without A Face" jedenfalls waren ein vielversprechender Anfang. Mit Idol, der im November erstmals auf Deutschland-Tournee kommt, sprachen wir in seiner Wahlheimat New York.
Tagträume, Alpträume, seltsame Assoziationen von phantastischen Bildern …“
Billy Idol rasselt die Liste der Situationen ab, die seine Muse auf Hochspannung bringen. Mit schwungvollen Handbewegungen unterstreicht er seine Worte und schlägt zur zusätzlichen Betonung lautstark auf den Tisch.
Wir sitzen zum Dinner in einem eleganten Restaurant auf Manhattans West Side – und Idol, sehr zum Befremden eines Raumes voll gutbetuchter Stammgäste, kann sich für dieses Thema spontan erwärmen. Der 28jährige Sänger, mit REBEL YELL allerorten hoch in den Charts, liebt es nun einmal, über sich selbst zu reden. Mehr noch: Er ist ein geborener Redner, der wie ein Wasserfall sprudelt und mittlerweile die ungeteilte Aufmerksamkeit der Anzug-und-Krawatten-Gesellschaft besitzt.
Ohne sich davon auch nur im geringsten ablenken zu lassen, legt er weiter los: „Weißt du, das besondere ist die Art und Weise, wie mir die Dinge durch den Kopf schießen – urplötzlich, blitzartige Bilder! Besonders wenn ich Angst habe, wenn es mir dreckig geht oder wenn ich etwas wirklich Verrücktes denke, explodieren diese Bilder und Situationen in meinem Kopf. Es ist fast wie ein Traum, fast wie ein Blackout. Du wirst geradezu überwältigt vom Fluß dieser Bilder. Dich auf diese Dinge einzulassen, kann manchmal der reinste Horror sein. Doch wenn
sie dann auf dich einprasseln, kannst du sie fast mit Händen fassen. Das ist irgendwie schon wieder verlockend, weil die Idee so rein und spontan ist…“
Das ist der ästhetische Faden, der sich offensichtlich durch REBEL YELL und Idols Musik hindurchzieht. Finster und zwielichtig, aber gleichzeitig voller Kraft und Leben lockt er mit eindringlichen, Doors-ähnlichen Tönen. Er drängt den Hörer dazu, aus dem Schatten herauszutreten und das Leben mit Feuer und Bravour zu bestehen. „In gewissem Sinn ist die Band brutal zu dir“, beschreibt Idol die schonungslose Attacke des Albums, „aber auf der anderen Seite sagen wir dir die Wahrheit, daß die Dinge im Leben nun mal so sind.“
Idol benutzt abwechselnd die Worte „wir“, „die Band“ und „ich“. Für eine derart exaltierte und egozentrische Persönlichkeit teilt er die Anerkennung erstaunlich großzügig. Seit er seine frühere Gruppe, die britische Punkband Generation X, aufgelöst hat und in die Staaten übersiedelt ist, hat sich Idol kontinuierlich einen eingeschworenen Clan von Betreuern und Musikern aufgebaut, zu dem er sich uneingeschränkt loyal verhält – von dem er aber auch die gleiche Loyalität und Hingabe erwartet. Zu seiner „Familie“ gehören Manager Bill Aucoin, der frühere Mastermind von Kiss; Produzent Keith Forsey, Gitarrist und Co-Autor Steve Stevens sowie der Rest der Gruppe: Keyboarder Judi Dozier, Bassist Steve Webster und Drummer Thommy Price.
Von Anfang an war es Teil von Idols doppelbödigem Charakter, Rebell und Outsider zu sein – gleichzeitig aber das Bedürfnis zu haben, dazuzugehören. Sein Vater war Vertreter; folglich verbrachte Idol seine Kindheit unterwegs im Süden Englands, zwischendurch auch einmal vier Jahre in Amerika, auf Long Island.
An die Schulzeit hat Idol keine allzu angenehmen Erinnerungen – Phantasie und Wissensdurst waren groß, doch für das akademische Klein-Klein war er einfach nicht geschaffen. Er besuchte diverse Institute mit so wohlklingenden Namen wie Worthington High School For Boys, Ravinbourne School For Boys, Orpington College For Further Educatiuon und Sussex University – und flog aus allen wieder raus.
„Wie oft in meinem Leben haben die Leute versucht mich kaputtzumachen“, sagt Idol. „Und ich rede hier nicht von Kritikern! Ich rede beispielsweise von so einer Möse von Manager, der dir erzählt, daß er sich unheimlich für dich einsetzt und dann plötzlich dich total daran hindert, deiner Kunst nachzugehen. Und dir obendrein nicht mal das Notwendige zum Leben läßt.
Uah, ich kann diese Scheiße nicht vergessen, ich kann die Tatsache nicht vergessen, daß mich Lehrer durchgeprügelt haben, weil ich nicht den Eindruck erweckte, als wollte ich meine Schularbeiten machen. Immer, wenn ich meinen Neigungen nachkommen wollte, dröhnten sie alle gleich los: Nein, das geht nicht, das kannst du nicht machen!“ Um diese Erfahrungen vergessen zu machen, hat Idol inzwischen „Ja, du kannst!“ zu seinem Schlachtruf erkoren. Die anarchistische, rebellische Seite des Rock ’n‘ Roll, wie sie Gene Vincent oder Lou Reed verkörperten, war es zunächst, die Idols Phantasie beflügelte.
1976 gründete er mit Souxsie Soux (von den Banshees) und drei anderen Kids aus Bromley eine beinharte Fan-Gruppe, die bei sämtlichen Sex Pistols-Gigs zur Stelle war. „Natürlich hatten wir zu dieser Zeit auch unsere eigenen Gruppen“, erinnert sich Idol. „Es hat mich immer genervt, wenn man mir unterstellte, nichts anderes zu tun, als den Sex Pistols nachzulaufen.“
Nachdem er auch von der Uni geflogen war, stieß er kurz zu Chelsea, einer der frühen Punk-Gruppen. Eine Lektion hatte Idol gelernt: Die Kontrolle wollte er nicht aus der Hand geben.
„Als Tony James und ich einstiegen, hatten wir schon ein paar Songs beisammen und haben sie sofort Chelsea untergejubelt. Natürlich war es von vorneherein unser Ziel, die Songs zu schreiben; das ist die beste Waffe im Kampf gegen die Plattenfirma. Sie können dich nicht über die Klinge springen lassen, wenn du deine eigenen Songs schreibst. Der Manager kann sich nicht irgendeinen x-beliebigen Sänger an Land ziehen, weil: Nur Billy Idol singt wie Billy Idol! Und nur Billy Idol kann seine eigenen Songs schreiben!
Das gehört einfach dazu, wenn du dich von den Schmarotzern unabhängig machen willst, wenn du dein eigenes Leben leben willst, wenn du darauf verzichten willst, bei fremden Leuten deinen Stoff aufzutanken. Das ist der einzige Weg, um die Macht von Anfang an in deiner Hand zu halten.‘
Nach ein paar Monaten formierte Idol mit Tony James Generation X – eine Gruppe, die sich 1977 gleich einer Handvoll von Hitsingles erfreuen konnte. Anders als die Sex Pistols und andere Hardcore-Punks waren Generation X keine krampfhaften Nihilisten; auf einer ihrer bekanntesten Singles („Ready Steady Go“) schreit Idol ausgelassen „Well, I was in love with the Beatles!“
Drei Alben später waren Generation X dank Management-Problemen und der immer größer werdenden Kluft zwischen Idol und Bassist James am Ende. Aber sie hatten einen grandiosen Abgang: mit ihrer großartigen Single „Dancing With Myself“, die glatt und gelungen in Idols Solo-Karriere überleitete.
Als Gen X endgültig das Zeitliche segneten, packte Idol seine sieben Sachen und zog nach Manhattan. „Ich wollte nach neuen Musikern Ausschau halten“, erzählt er. „Ich habe jahrelang in London herumgehangen – es war eine geschlossene Gesellschaft, in der sich nichts bewegte.“
Auftritt Steve Stevens, ein New Yorker Gitarrist, der eine untergehende Truppe namens Fine Malibus verließ, um bei Idol einzusteigen. Nach „neun Monaten Herumtrödeln“ begannen Idol und Stevens ernsthaft zusammenzuarbeiten. 1982 veröffentlichte Idol sein erstes reguläres Album, mit so bekannten Nummern wie „Come On, Come On“, „Hot In The City“ und dem donnernden Discotheken-Hit „White Wedding“.
Auf REBEL YELL aus dem letzten Herbst schlägt das Gespann Idol/Stevens dann mit Volldampf zu: Acht der neun Songs haben sie zusammen geschrieben – und die metallische Lyrik des Gitarristen paßt hervorragend zu Idols aufgeputschten Hymnen ans wilde Leben.
Idols spöttische Arroganz und die sexuellen Macho-Posen in seinen Videos haben gleichermaßen für Diskussionen gesorgt. In „White Wedding“ rammt er seiner Braut den Ring so über den Finger, daß er blutet; in „Dancing With Myself“ hängt eine Frau in Ketten.
Zu seinen Verteidigung führt Idol an, daß der blutende Finger die Idee der betreffenden Schauspielerin war – und daß die Dame in Ketten Oktobriana verkörpert, eine Symbolfigur für den Freiheitskampf während der Russischen Revolution von 1917, deren Bild Idol auch als Tätowierung auf den linken Arm
trägt.
„Ich hatte gehofft“, seufzt Billy, „daß die Leute kapieren würden, daß ,White Wedding‘ ja gerade die Angst zeigt, einer Frau wehzutun. Obendrein handelt es nicht von mir – das sind konkrete Charaktere, aber nicht Billy Idol! Ich sag halt bloß: ‚Schaut, wie grausam die Leute zueinander sein können, wie sie sich irren können – und wie aufrichtig sie gleichzeitig in ihrer Grausamkeit sein können‘. Letztendlich geht es wohl um diesen ständigen Lebenskonflikt, daß Konventionen und Institutionen keine Sicherheit bieten können…“
„Du kannst mir glauben: Ich stehe nicht auf Gewalt, ich mag es nicht, daß Menschen sich wehtun, wie es das Video zeigt.“
Dabei spielt er im Video seine Rolle allerdings so eindrucksvoll, daß man sich fragen muß, ob nicht doch etwas vom wahren Billy Idol da durchschimmert…
Er bestreitet das aufs Heftigste: „Ich habe keine Angst vor Frauen“, erklärt er. „Ich hab gar nicht das Bedürfnis, sie zu schlagen, sie abzufucken oder zu dominieren. Ich muß bloß darauf achten, daß ich im Verhältnis zu Menschen immer der bleibe, der ich bin. Darum habe ich auch tolle Beziehungen zu Frauen gehabt, weil ich einfach ich selber war – und das war’s, was sie an mir gemocht haben …“
Tatsache ist: Billy Idol liebt Frauen. Nach seinem Konzert kümmert er sich hingebungsvoll um alle, die ihn auf sich aufmerksam machen wollen. Obwohl er seit einiger Zeit eine feste Verbindung pflegt, trägt er keinerlei Scheuklappen.
„Richtig mit Sex angefangen habe ich eigentlich erst mit 24“, grinst er verlegen. „Naja, ich war vorher nicht gerade eine Jungfrau, aber erst mit 24 hat Sex mit Frauen richtig Spaß gemacht.“
Seitdem hat er „einiges über Verblendung und Hörigkeit gelernt und herausgefunden, wie Liebe schal werden kann und wie es laufen sollte.“
Er gibt auch zu, zwei Abtreibungen auf dem Gewissen zu haben. „Ich möchte lieber nicht, daß ein Kind das mitmacht, was ich grade tue“, meint er. „Das wäre dasselbe, als würde man einen Hund in einem Apartment mitten in New York halten.“
Billy Idol wohnt in New York, mitten im Greenwich Village. Er betont, ängstlich darauf bedacht zu sein, daß ihm der Star-Trip nicht zu Kopfe steigt, ihn von den Fans entfremdet und zu einer „fiktiven Person macht, mit dem Verhalten und allen Eigenschaften von Leuten, die das wirkliche Leben nicht mehr, verstehen. Denn dann wäre ich wohl auch nicht mehr in der Lage, all diese Eindrücke zu reflektieren.
Die Leute wollen eine echte Person, sie wollen keinen aufgedonnerten Popstar, der nichts zu sagen hat. ,Das ist bloß Billy – Mensch, der ist echt wie wir, bloß daß er’s auf Platten machen kann.‘ Die meisten Musiker halten sich für was Besonderes, wenn sie erstmal ein paar Jahre im Rock ’n‘ Roll stecken. Sie glauben, daß sie so gottverdammt talentiert sind; daß Songschreiben etwas ganz besonderes bedeute.
Natürlich finde ich es toll, Songs zu schreiben, natürlich ist es toll, in einer Gruppe zu sein, natürlich habe ich viel Schwein gehabt, aber ich habe ja auch dazu beigetragen, daß die Sache für mich ins Rollen kam.“
Idols steigende Popularität macht es Zusehens schwieriger, in seiner Wahlheimat ein normales Leben zu führen. Schon der Gang zum Lebensmittel-Laden kann da ein Hindernislauf werden „Aber ich bin halt ein Teil von New York“, grübelt Billy. „Ich habe die New Yorker Art nicht übernommen, ich hab meinen Akzent nicht gewechselt. Ich muß nicht jeden mit, Yo sweethaaht‘ begrüßen. Viele Leute sehen mich an wie ,Du Freak mit deinen komischen Haaren und diesem englischen Akzent‘. Aber das bin ich nun mal – und scheiß drauf.“
Und Billy Idol wäre nicht Billy Idol, würde er nicht Dinger bringen wie neulich in einem schummrigen Nachtclub namens Silver Dollar in Michigan: Plötzlich überkam ihn der unwiderstehliche Drang, auf die Bühne zu stürmen, wo sich die lokalen Langweiler gerade pflichtbewußt durch ihr Bar-Repertoire schleppten.
Also sind wir in der Bar auf die Bühne gesprungen und haben auf Teufel-kommt-raus gespielt. „White Wedding“, „Dancing With Myself“ und „Rebel Yell“. Thommy, der neue Drummer, er war vorher bei Mink DeVille, hätte sich zuerst fast in die Hose gemacht, weil die Leute natürlich durchdrehen, wenn sie sowas nicht gewöhnt sind, besonders Amerikaner, um ganz ehrlich zu sein.
Aber die Leute mögen mich nun mal, ich bin ein Punker, ich bin total drauf- und wenn keine Monitore da sind, sing ich eben so.“