Konzertbericht

Beyoncé und Jay-Z in Berlin: Performte Liebe


Beyoncé und Jay-Z inszenieren sich im Olympiastadion als mächtigstes Pop-Paar unserer Gegenwart. Aber wie viel kapitalistisches Spektakel verträgt eine Ehe eigentlich? Und wie viel Lovestory eine Stadionshow?

18 Jahre Beziehung, zehn Jahre Ehe, drei Kinder, eine (vermeintliche) Fast-Scheidung, die große Versöhnung. So sehen sie aus, die Eckdaten dieser Lovestory, nicht irgendeiner Lovestory, sondern der des größten Pop-Paares der Gegenwart: Beyoncé und Jay-Z sind zusammen aufgestiegen, als Team, als Ehepaar, jeder mit seinen eigenen Stärken und Hits, aber seit ihrer ersten gemeinsamen Single „Bonnie & Clyde“ (2002) sind ihre Erfolge zu einer symbiotischen Angelegenheit geworden: Die Beziehung hat ihre Karrieren geformt. Und gleichzeitig haben sie ihre Liebe für den Musikmarkt verdinglicht, perfekt inszeniert, in sorgsam kuratierten Bildern und Texten für den Massenkonsum verpackt. Und zwar drei Alben lang: Sie, die ihm auf LEMONADE seine Untreue ankreidete und schließlich verzieh, er, der sich auf 4:44 reuevoll und familienverbunden gab und schließlich beide zusammen, als Joint Venture unter dem Namen The Carters, als demonstrative Einheit auf dem gerade erschienenen EVERYTHING IS LOVE.

Intimer Auftakt vor 60.000 Zuschauern

Ihre Liebe ist ihre Ware – auch und besonders beim Konzert am Donnerstagabend im Berliner Olympiastadion. Beim ersten von zwei deutschen Terminen ihrer „On the Run II“-Tournee inszenieren sich die beiden Stars als unerschütterliche Einheit – im romantischen und wirtschaftlichen Sinne. Hand in Hand betreten sie pünktlich um 20 Uhr die Bühne. Amerikas inoffizielles Königspaar, Queen Bey und ihr „CEO of HipHop“, eröffnet ganz ikonografisch: Über die riesigen Bühnenleinwände flimmern Familien- und Urlaubsbilder aus Jamaika, Szenen einer Liebe, die sich erstaunlich intim für eine Stadionshow anfühlen. Dann hält die Leinwand-Beyoncé im goldenen Pharaonengewand die beiden einjährigen Zwillinge Rumi und Sir Carter im Arm. Und die echte singt stimmt ihrem Mann „Holy Grail“ an.

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Natürlich muss man an diesem Abend unter dem von der Olympiaarchitektur oval beschnittenen Sommerhimmel, unter dem Beyoncé und Jay-Z zusammen und einzeln eine lange Reihe ihrer größten Hits spielen, an „Apeshit“ denken: Immer wieder erinnern die bildgewaltigen Visuals an das dazugehörige, symbolisch aufgeladene Video, in dem sich die beiden im Louvre als Powerpaar in die kunstgeschichtliche Ahnengalerie des alten Europas einschreiben. Erstaunlich ist es deswegen schon, dass weder „Apeshit“ noch irgendein anderes Stück der neuen Platte Teil der Setlist ist. Man kann das als die ultimative Abgezocktheit interpretieren: „Wir spielen keinen neuen Hit, wir haben genügend andere.“ Oder EVERYTHING IS LOVE war dann doch eher ein kleiner Werbe-Scoop, um die Ticketverkäufe für die nicht ganz gefüllten Stadien anzukurbeln. 60.000 Zuschauer, wie in Berlin, muss man aber trotzdem auch erstmal zusammenkriegen.

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Beyoncé und Jay-Z – das bedeutet nicht nur doppelte Kaufkraft, sondern auch doppeltes Charisma und doppeltes Repertoire. Beyoncé vollführt jeden Ton, jede kleine Bewegung mit dem Charisma und der Genauigkeit einer perfekten Performerin. Wie ein Chamäleon wechselt sie zwischen der wildgewordenen Lust von „Drunk In Love“ und „Naughty Girl“ zur gebieterischen Wucht von „Formation“, zur romantischen Ballade („Resentment“) und zur feministischen Powergeste: „Who run the world? Girls!“ Jay-Z ist im Wechsel mit ihren weißglühenden, exakt durchchoreografierten Bühnenperformances die Lässigkeit in Person. Dass er nicht überstrahlt wird, liegt zum einen an seinem eigenen Arsenal aus HipHop-Hits („Niggas In Paris“, „Big Pimpin’“, „Fuckwithmeyouknowigotit“) und zum anderen daran, dass er in den 135 Minuten der Show mehr Kostümwechsel durchläuft als seine Frau. Zu „99 Problems“ trägt er eine kugelsichere Weste. Auf der Leinwand dazu: Mugshots berühmter Musiker, Bowie, Jagger, 50 Cent. Eine weitere Ahnengalerie.

Sie sind schon süß, die Zwei

Umgeben und umspielt werden die beiden Superstars von 17 Tänzerinnen und einer 26-köpfigen Band, die in einem gigantischen Setzkasten übereinander stehen. Und immer mal wieder schweben sie auf einer riesigen Plattform über das Publikum. Alles ist big, big, big. Trotzdem vermisst man ein wenig die politische Wucht von Beyoncés Coachella-Auftritt, diese besondere Machtdemonstration als Frau und als Afroamerikanerin, die sie – auch zusammen mit Jay-Z – in den letzten zwei Jahren perfektioniert hat. Stattdessen gibt es eben ganz viel performte Liebe. Und einen verspiegelten Thron, auf dem sie beide sitzen, jeder auf einer Seite, Rücken an Rücken. Und als großes Finale „Forever Young“, bis alle Handylichter funkeln und sie wieder Hand in Hand verschwinden.

Zwei, drei Momente gibt es dann aber doch an diesem Abend, gegenseitige Blicke und Gesten, in denen man ihnen diese konsumierbare Liebe tatsächlich glauben kann. Sie sind – und das kann man mal in seiner ganzen schönen Einfachheit sagen – schon irgendwie süß zusammen, die Zwei. Das wiederum ist eigentlich alles, was man von einem Pop-Spektakel verlangen kann. Die Wahrheit kennen ohnehin nur die Performer. And the show must go on.

Weiterer Termin am 3. Juli in Köln, RheinEnergieStadion

Setlist

  1. „Holy Grail“  (Beyoncé & Jay-Z)
  2. „Part II (On the Run)“ (Beyoncé & Jay-Z)
  3. „Bonnie & Clyde“ (Beyoncé & Jay-Z) / Beach Interlude („When The Lights Are Low“ von The Paragons)
  4. „Drunk in Love“ (Beyoncé)
  5. „Diva“ / „Clique“ (Beyoncé)
  6. „Dirt Off Your Shoulder“ (Jay-Z)
  7. „On to the Next One“ (Jay-Z)
  8. „Fuckwithmeyouknowigotit (Jay-Z)
  9. „***Flawless“ / „Feeling myself“ (Beyoncé)
  10. „Naughty Girl“ (Beyoncé)
  11. „Big Pimpin‘“ (Jay-Z) / Jamaica Interlude („Bad“ von The Bug)
  12. „Run This Town“ (Jay-Z)
  13. „Baby Boy“ (Beyoncé)
  14. „Mi Gente“ / „You Don’t Love Me (No, No, No)“ (Beyoncé)
  15. „Bam“ (Jay-Z)
  16. „Hold Up“ / „Countdown“ (Beyoncé)
  17. „Sorry“ (Beyoncé) / Bar Fight Interlude
  18. „99 Problems“ (Jay-Z)
  19. „Ring the Alarm“ (Beyoncé)
  20. „Don’t Hurt Yourself“ (Beyoncé)
  21. „I Care“ / „4:44“ (Beyoncé & Jay-Z)
  22. „Song Cry“ (Jay-Z)
  23. „Resentment“ (Beyoncé) / Running Interlude
  24. „Family Feud“ (Beyoncé & Jay-Z)
  25. „Upgrade U“ (Beyoncé & Jay-Z)
  26. „Niggas in Paris“ (Jay-Z)
  27. „Beach Is Better“ (Jay-Z)
  28. „Formation“ (Beyoncé)
  29. „Run the World (Girls)“ (Beyoncé)
  30. „Public Service Announcement“ (Jay-Z) / Ballet Interlude („Four Women“ von Nina Simone)
  31. „The Story of O.J.“ (Jay-Z)
  32. „Déjà Vu“ (Beyoncé & Jay-Z)
  33. „Show Me What You Got“ / „Crazy in Love“ (Beyoncé & Jay-Z)
  34. „Freedom“ (Beyoncé)
  35. „U Don’t Know“ (Jay-Z) / Baptism Interlude
  36. „Young Forever“ / „Perfect Duet“ (Beyoncé & Jay-Z)
Kevin Mazur Getty Images For Parkwood Entert