Popkolumne, Folge 107

Bewerbung bei Köln 50667 – Paulas Popwoche im Überblick


Paula Irmschler über Donte Colley, Coronaflucht ins Fernsehen, Avicii, einen Antifafilm, „Ginny & Georgia“ und einen Dating-Podcast.

Als die Tage die Impfungen mit AstraZeneca gestoppt wurden, vermeldeten einige Leute, jetzt reiche es ihnen wirklich, ab sofort wären sie auch Team Zynismus, langsam hielten sie es nicht mehr aus und so weiter. Verständlich. Ich höre und lese oft in den letzten Tagen, es sei nun auch für wirklich jede Person der Zeitpunkt gekommen, komplett Banane zu werden. Und tatsächlich ist jede Diskussion, sogar jede Kommunikation, auf einem Reizlevel angekommen, das gefährlich und traurig ist. Als ich letztens jedoch meine Facebook-vor-einem-Jahr-Erinnerungen las wurde mir klar: Es war schon da so. Das macht es nicht besser, ohgottohgott. Aber es gibt Leute, die noch können. Kommt auf unsere Schultern.

TikTok der Woche: Donte Colley

Wer sich nicht in Donte Colley verliebt, sollte meiner Meinung nach schnellstens für eine Impfung priorisiert werden. Colley versetzt Tanzvideos mit übertrieben kitschigen Empowerment-Notizen und twerkt so zumindest ein paar graue Wolken aus dem Raum. Und die Klamotten sind auch nachahmungswürdig. Danke, neue Generation, eure Copy-Mechanismen sind irgendwie die naisesten.

@dontecolley💕 you have come so far !!! #fyp♬ original sound – dontecolley

Serien ohne Corona

Man könnte diese Zeit aber auch anders bewältigen, so wie ich es vorhabe: Bei „Köln 50667“ oder „Berlin Tag & Nacht“ einziehen. Ich hab da in letzter Zeit mal ab und an reingeklickt: Es. gibt. kein. Corona. Es wird Kaffee getrunken, Party gemacht, zum Frisör gegangen und geschnackselt als wäre es 2019. Natürlich werden die eigentlich verbotenen Sachen nur angedeutet, zum Beispiel zeigt man von einem Club nur alles hinter der Bar und die zuschauende Person soll sich die Party dazu vorstellen, aber trotzdem. Es ist irgendwie ein bisschen lustig, weil sich die Macher:innen da offenbar in eine Sache reingeritten haben, aus der sie jetzt nicht mehr rauskommen. Letztes Jahr beschlossen sie halt, dass es in den Serien kein Corona gibt und jetzt wollen sie nicht mehr zurück- oder eher vorrudern. Bezeichnend, weil halt viele nicht dachten, dass alles so lange dauern würde. Und natürlich peinlich für Serien, die besonders authentisch wirken wollen. Bei GZSZ gibt es im Übrigen auch kein Corona, aber da findet ja eh alles in dieser Polly-Pocket-Häuserkulisse statt. Na ja, ich geh da jetzt jedenfalls hin. 

Melancholie der Woche: Avicii

 Ab und an denke ich an Avicii und werde sehr traurig. Über die Doku, die 2018 kurz vor seinem Tod auf Netflix erschien, hat Laura Aha hier geschrieben und sich mit dem Thema Mental Health im Popbusiness beschäftigt. Aviciis Superhit „Levels“ wird demnächst 10 Jahre alt. Dieses verdammte Lied, das ich früher so nervig fand und höchstens mal ironisch angeDÖPT hab, weil ich mich zur Erscheinungszeit unbedingt gerade abgrenzen wollte von Mainstream und scheinbar „oberflächlicher“ Musik. Ein Lied, das ich erst heute so liebe, wo ich den Künstler dahinter besser checke und schätze. Vor allem weiß ich heute noch mehr als ohnehin zu schätzen, wie wichtig diese kollektiven Musikmomente sind und was für eine Kraft sie haben. Wie gern würde ich jetzt mit irgendwelchen Leuchtarmbändern um den Händen mit viel zu vielen Menschen in einer Halle stehen, viel zu teures Becherbier trinken, einen Arm um links und rechts legen und Richtung Bühne grölen. Katharsis, erinnert ihr euch? Danach würden wir rausgehen und alle wissen Bescheid. Ach, komm zurück, Avicii und kommt zurück, all ihr anderen, die es nicht ausgehalten haben, wir brauchen euch. Nicht auf der Bühne, sondern im Publikum.

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Film der Woche: „Und morgen die ganze Welt“

Der Antifa-Film von Julia von Heinz kam in die Kinos, als die gerade wieder schließen mussten. Beworben wurde er relativ unangenehm, der Trailer wurde von Linken kritisiert und auch Beteiligte des Filmes waren wohl nicht so glücklich damit. Alles wirkte erstmal wie die gute alte, abgedroschene Erzählung über die Antifa: Unschuldiges Mädchen wird über einen Boy angefixt und kommt dann in eine gefährliche und fehlgeleitete Welt, in der man zwar erstmal was Gutes will, aber irgendwann selbst gewalttätig und böse wird und das ist dann ungefähr genauso schlimm wie das was die Nazis machen.

Da sich von Heinz in Interviews aber differenzierter äußerte, wollte ich meinen Hass erstmal wegdrücken und mir das Ding ansehen. Leider gab es den Film ewig nicht online, aber jetzt schon, zum Beispiel bei Amazon Prime. Und JA: Es ist ein guter Film. Es geht tatsächlich um eine blonde junge Frau (Luisa), die zu ihrer Freundin in ein Hausprojekt zieht und bereits vorher antifaschistisch tätig war. Typen spielen nebenbei eine Rolle und das ist vor allem dort wesentlich, wo sie rummackern oder an Erwartungen an sie scheitern. Luisa radikalisiert sich nicht unbedingt, was ihre Einstellung betrifft, nur ihre Mittel werden härter, weil sie verzweifelt ist.

„Und morgen die ganze Welt“ dreht sich vor allem um diese Verzweiflung darüber, zu wenig ausrichten zu können, die linke Menschen in Deutschland sicherlich alle gut kennen. Es gibt eine Szene, in der sie auf einem Nazikonzert ist und spürt, dass sie in diesem Moment nichts ausrichten kann, dass diese Schweine ihren Scheiß durchziehen werden. Und es wird in dieser und vielen anderen Szenen ebenfalls klar, dass Luisa und die meisten ihrer Freund:innen eben nicht betroffen sind von Rassismus und Antisemitismus. Dieses Bubbleproblem bringt von Heinz in diesem Film so gut auf den Punkt, wie bisher selten jemand. Also: never judge a movie by its trailer.

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Serie der Woche: „Ginny & Georgia“

Ich erfuhr von dieser Serie, weil sich Taylor Swift über einen Witz in ihr aufregte, der ungefähr so ging: Tochter Ginny sagt zu Mutter Georgia, dass diese doch mehr Männer gehabt habe als Taylor Swift. Tatsächlich eher ätzend. Und dann wurde die Serie noch angepriesen als eine modernere Version der „Gilmore Girls“. Ich erwartete also ein easy-watching-Erlebnis einer Staffel mit kurzen Folgen. Aber nee. Die Folgen gehen alle eine Stunde. Und es passiert zu viel.

Erstmal wollen sie tatsächlich dieses Gilmore-Feeling erzeugen: Mutter alleinerziehend, Tochter als Teenagerin bekommen, ziehen in eine Kleinstadt, irgendwas bahnt sich mit dem Cafébetreiber an. Dann will die Serie aber noch ALLES ANDERE sein. Ein bisschen „Mean Girls“, ein bisschen „Desperate Housewives“, ein bisschen „13 Reasons Why“. Es deutet sich ein Krimi an, der dann aber wieder ein paar Folgen ruht, es geht ein bisschen um Rassismus, es geht um Intrigen in der Kleinstadt. Man könnte das alles gut zusammenwerfen, es gelingt allerdings nur so mittelgut. Teilweise vergisst man Handlungsstränge wieder, weil die Serie zu viel wechselt zwischen lustiger Sitcom, Drama und ebenjenem Krimi. Bis auf die Tochter Ginny sind die Figuren auch oft nicht greifbar und widersprüchlich, man checkt sie nicht. Etwa in der neunten Folge groovt sich „Ginny & Georgia“ aber ein und wird richtig spannend – dann ist sie jedoch nach der nächsten schon wieder vorbei. Ich warte auf die zweite Staffel und habe Hoffnungen.

„Ginny & Georgia“ auf Netflix: „Gilmore Girls“ für die Generation Z

Podcast der Woche: „1000 erste Dates“

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Oh, dieser Podcast schließt eine Lücke von der ich nicht wusste, dass es sie gibt. Anna Dushime trifft in „1000 erste Dates“ Menschen, die von ihren ungewöhnlichen ersten Dates erzählen. Es sind, soweit man weiß, keine Promis, man kann sich mit seiner eigenen Geschichte auch bewerben. Und es ist richtig wholesome, auch wenn es manchmal schmerzhaft ist, sie anzuhören, weil man sich vielleicht erinnert. Es sind Geschichten über sexuelle Eskapaden, Peinlichkeiten, furchtbaren Liebeskummer und richtig schlimmes Verhalten des Gegenübers. Das Tolle ist, dass die meisten Geschichten schon eine Weile zurückliegen und die Erzählenden es mit Abstand betrachten und erzählen, was sie von diesen Erfahrungen gelernt haben oder was es ihnen längerfristig gebracht hat. Unbedingt mal reinhören!

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