„Better Call Saul“: Rasante Fahrt ins Verderben – Unser Fazit zur Netflix-Serie
Man rutscht nicht unbewusst in die Kriminalität, man rast mit jeder kleinen Entscheidung sehenden Auges hinein – bis es kein Zurück mehr gibt. In einem nervenaufreibenden Finale hat die fünfte Staffel von „Better Call Saul“ nicht nur alle Figuren mit dieser Erkenntnis kalt erwischt, sondern auch uns. Ein Staffelfazit voller Spoiler.
„Wir alle fällen unsere Entscheidungen. Und diese Entscheidungen führen uns auf eine Straße.“ Es ist eine recht einfache Metapher, die der allzeit unaufgeregte Mike (Jonathan Banks) gegen Ende dieser Staffel wählt, um Jimmy (Bob Odenkirk) zu verdeutlichen, wie tief er nun im kriminellen Spiel steckt, aus dem kein Manöver hinausführt. Aber wie treffsicher diese Metapher ist, wird nicht nur Jimmy – inzwischen praktizierender Saul Goodman – plötzlich klar, sondern auch den Zuschauer*innen.
„Better Call Saul“ hat uns lange in Sicherheit gewogen. Als von Vince Gilligan und Peter Gould erdachtes Spin-off und Prequel zum Geniestreich „Breaking Bad“ war diese Serie von Anfang an ein interessantes, aber zunächst zurückhaltendes Wagnis. Die Geschichte um Jimmys Verwandlung in Saul Goodman wurde in den ersten drei Staffeln recht gemächlich als Underdog-Dramedy erzählt. Zwar war die Unterwelt von Albuquerque durch die Machenschaften der Salamancas und dem widerwillig mit ihnen assoziierten Ignacio „Nacho“ Varga (Michael Mando) immer präsent, aber berührte sich nur punktuell die Haupthandlung. Diese drehte sich vor allem um Jimmys schwierige Beziehung zu seinem älteren Bruder Chuck (Michael McKean). Da wir zudem wussten, auf was für ein grandios erzähltes, brutales Desaster „Breaking Bad“ hinausgelaufen war, schlich sich schnell das Gefühl ein, eigentlich von nichts mehr in „Better Call Saul“ umgehauen werden zu können. Ab der vierten Staffel – nach Chucks Ableben – wendete sich das Blatt. Und eine neue Figur wurde zum Katalysator der gesamten Erzählung.
Grenzgänger Lalo Salamanca
Charmant, herzlich und ungeheuer gerissen – einen dauergrinsenden Kriminellen wie Lalo Salamanca (Tony Dalton) hat man wohl in keiner Serie zuvor gesehen. Schon zu seiner Einführung in der zweiten Hälfte der vierten Staffel von „Better Call Saul“ offenbarte er sich als würdiger Gegner für den kühl kalkulierenden Gus Fring (Giancarlo Esposito), dessen geheimem Laborbau er dicht auf der Spur war. In dieser fünften Staffel stürzt Lalo fast alle Figuren ins Chaos: Nacho wird von Gus Fring seinetwegen brutal unter Druck gesetzt und muss mit riskanten Manövern das Vertrauen seines neuen Chefs gewinnen. Jimmy wird widerwillig zum Rechtsberater von Lalo und unterstützt ihn damit unbewusst dabei, Gus‘ Drogengeschäfte zu sabotieren. Dies führt wiederum zu kurzen (aber gern gesehenen) Gastauftritten von DEA-Agent Hank Schrader (Dean Norris).
Als Gus gemeinsam mit Mike einen Plan entwickelt, um sich Lalo in der zweiten Staffelhälfte endgültig zu entledigen, führt dies dazu, dass Jimmy Lalo als Anwalt zur Seite stehen muss. Und damit überschreitet er endgültig und unwiderruflich eine letzte moralische Grenze: Er vertritt einen Kartellangehörigen, der zu Recht eines Mordes beschuldigt wird. Es ist kein Zufall, dass die Kamera bei der Verhandlung immer wieder einen Schimmelfleck an der Decke des Gerichtssaals erfasst und später eine groteske Spiegelung von Jimmys Gesicht fokussiert, als er die fassungslosen Angehörigen des Opfers beobachtet. Der Übertritt ins Verderben ist vollzogen, aus Jimmy ist nun endgültig Saul Goodman geworden. Ein Anwalt, der sich gegen eine beachtliche Gage bereit erklärt, in die Wüste des Grenzgebietes zu Mexiko zu fahren, um sieben Millionen US-Dollar (in bar) für Lalos Kaution abzuholen und sich dabei plötzlich in einem von Vince Gilligan fulminant inszenierten, quälenden Höllenmarsch wiederfindet. Ein Anwalt, der von Lalo künftig als „Freund des Kartells“ betrachtet wird. Die Geschehnisse um Lalo sorgen schließlich für ein nervenaufreibendes Staffelfinale in Mexiko, indem diese Figur tatsächlich den Angriff eines Ermordungskommandos überlebt. Wer aufgrund einer eindeutigen Äußerung von Gus in „Breaking Bad“ dachte, Lalos Ende sei besiegelt, wurde nun entweder eines Besseren belehrt oder auf die nächste Staffel vertröstet.
Blinder Fleck: Slippin‘ Kimmy
Doch dieser Triumph eines spät in „Better Call Saul“ erschienenen Bösewichts ist nicht einmal die größte Überraschung dieser Staffel. Es ist die unerwartete Verwandlung von Kim (Rhea Seehorn) in eine ebenfalls moralisch flexible Figur. Zeigte sie sich in der ersten Folge dieser Staffel noch irritiert von Jimmys beruflichem Alter Ego Saul Goodman, griff sie bald auf seine trickreichen Gaunereien zurück, um die aggressive Großbank Mesa Verde, und damit ihren eigenen Klienten, in die Schranken zu weisen. Dies war natürlich nicht das erste Mal, dass sie mit Jimmy krumme Dinger ausgeheckt hat – man denke zurück an ihren gemeinsam vollführten Trick, um Huell (Lavell Crawford) vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren. Aber in der aktuellen Staffel mischt sich zunehmend etwas in Kims Handlungen, das man so nicht von ihr kannte: eine trotzige Selbstgerechtigkeit. Diese bringt sie nicht nur dazu, in einem der wohl angespanntesten und wahnsinnigsten Momente dieser Staffel Lalo Salamanca eine Standpauke zu halten, sondern auch gut gemeinte Ratschläge als Kriegserklärungen zu betrachten.
Dass sie am Ende dieser fünften Staffel mit dem erstaunten Jimmy einen perfiden Angriff auf den etwas glatten, aber keineswegs bösartigen Howard Hamlin (Patrick Fabian) plant, ist einerseits tragisch und ernüchternd, verweist aber auf Illusionen, denen wir zu Unrecht erlagen: Kim galt lange als Lichtgestalt von „Better Call Saul“, die trotz gelegentlicher Lust am Risiko eine stets stabile Sicht auf Richtig und Falsch zu haben schien. Doch noch vielmehr ist sie konsequent, wie ein bitterer Flashback in ihre Kindheit zeigt. Lieber geht sie in der dunklen Kälte allein zu Fuß nach Hause als in den Wagen ihrer angetrunkenen Mutter zu steigen. Der Fakt, dass sie keine Rolle in „Breaking Bad“ spielte, ließ vermuten, dass sie aufgrund dieser konsequenten Haltung Jimmy irgendwann verlassen oder schlimmstenfalls sterben würde. Stattdessen heiraten die beiden in dieser Staffel auf ihren Wunsch hin, damit sie niemals gezwungen werden kann, gegen ihn auszusagen. „Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Aus meinen eigenen Gründen“, entgegnet sie Howard, als der sie vor Jimmys Einfluss warnen will. Zugleich entgegnet sie es uns allen, die wir uns sorgten, dass Jimmy sie ins Verderben stürzen könnte. Das kann sie wohl sehr gut allein und selbstbestimmt – ähnlich wie Wendy in der aktuellen „Ozark“-Staffel.
Asphalt der Entscheidungen
„Und da ist nichts, rein gar nichts, was wir dagegen machen können“ – so endet Mikes anfangs zitierte Straßenmetapher-Rede. Es geht darin um all die auch unbedeutend erscheinenden Entscheidungen, die auf die Straße der Kriminalität führen, auf der sich irgendwann keine Abzweigung mehr findet. An diesem Punkt ohne Wiederkehr befinden wir uns nun am Ende der fünften Staffel von „Better Call Saul“. Dies sollte angesichts des Prequel-Status dieser Serie kaum überraschen. Und doch ist es erschütternd, plötzlich festzustellen, welche Charaktere hier unterwegs sind und auf was für Situationen sie zurasen. Wie ungeheuer spannend es in dieser vorletzten und bislang besten Staffel von „Better Call Saul“ zugeht, ist wiederum den vielen klugen Skript-Entscheidungen von Vince Gilligan, Peter Gould und ihrem großartigen Autor*innen-Team zu verdanken, die mich mit Vorfreude, Ungeduld und etwas Besorgnis auf die finale Staffel warten lassen.
Alle Episoden der fünften Staffel von „Better Call Saul“ sind auf Netflix verfügbar.