Barclay James Harvest
Im elften Jahr ihres Bestehens produzierten Barclay James Harvest kürzlich ihr zwölftes Album. Nach langem und langsamem Aufstieg in die Gilde der besser verdienenden Rockbands genießt das Quartett mittlerweile jenen gewissen Status, der auch der neuen LP automatisch zum Erfolg verhelfen dürfte. Vor Veröffentlichung der Platte luden Barclay James Harvest ein in ihr Strawberry Studio in Stockport/Manchester - zu einem lockeren Gespräch und sachdienlichen Hinweisen.
Der BJH-Kenner wird erstaunt fragen, wieso die Band ihr Doppelalbum „Live Tapes“, das doch gerade vor drei Monaten erschienen ist, im Nachhinein noch durch eine Journalisten-Runde promoten wollte. Von wegen: Die „Live Tapes“ sind schon wieder alt, denn im September erblickt bereits eine neue Studio-LP das Licht der Plattenläden „XII“, so der schlichte Titel. Macht sich die Band nicht durch die Vielzahl ihrer Plattenveröffentlichungen selbst den Markt kaputt? „Nö, wieso“, gibt sich Keyboardspieler Woolly Wolstenholme erstaunt, „der Markt müßte ausreichend groß sein. Außerdem, die Platte ist einfach fertig, die muß jetzt raus, zumal wir im Oktober eine Deutschland-Tour starten, da wollen wir den Fans wieder etwas anbieten. Und daneben ist doch Sache, daß die letzte Studioplatte „Gone To Earth“ schon ein knappes Jahr ist.“
Laut Woolly stellten die Live-Tapes eine Bestandsaufnahme dar, die sich vom aktuellen Studio-Sound der Gruppe leicht unterscheidet: Live spielt man Keyboard-betonter, um den vollen Eindruck der ursprünglichen Songs zu imitieren. Genau hier aber, an dem ausufernden Einsatz der Tasteninstrumente, störten sich bislang viele Kritiker! „Ja, ja, der alte Vorwurf“, lächelt Woolly, der eigentlich Betroffene. „Wir haben jedoch einen spezifischen Sound kreiert, eben den BJH-Sound, an dem uns jeder erkennt – und der steht nun mal genau so. Andererseits sind die Studioalben meist weniger von den Keyboards geprägt, wie auch die jetzige Platte.“
Space-Geflirre
In der Tat, „XII“ nimmt Wolstenholme einiges von seiner Bedeutung auf der Bühne. Da klingen sogar ganze Gitarrensoli durch oder führt gar eine Mundharmonika die Melodielinie eines Songs, wenngleich immer noch mit künstlichen Strings unnötig unterlegt. Elf Songs haben BJH für das Album eingespielt, einen namens „Science Fiction“ sogar mit angedeutetem Space-Geflirre untermalt; bei einem weiteren Stück fühlten sich zwei ebenfalls anwesende Funkkollegen an den Westcoast-Sound erinnert, ein dritter schob die Eagles als Vergleich nach. Zwar konnte ich selbst diesen Parallelen nicht folgen, doch wenn die Funkleute solches empfanden, werden’s manche Fans wohl auch so fühlen. Also: BJH vollziehen auf ihrer kommenden LP einen leichten Schwenk zu bisher nicht benutzten Stilformen wie Westcoast-Sound. Woolly Wolstenholme schien mir bei Nennung dieser Parallele allerdings leicht irritiert…
Gleichwohl: „XII“ bringt generell die gleiche Musik, an der BJH-Freunde und BJH-Feinde wie bisher ihr jeweiliges Mütchen kühlen können. Manche werden wieder bei der dem Bombast zugewendeten Phrasen in Verzückung geraten, andere die LP mit Freude in die Sparte „anspruchsvolle Hintergrund-Musik“ einordnen. Doch an Woolly die Frage, ob Textzeilen wie „Ich war weggeworfen worden, ohne jede Hoffnung umherzudriften, mein einziger Freund war ein Boot“ wohl sinnvoll oder nicht doch prätentiiös seien! „Ah, prätentiös, schönes Wort, hmmm. Nein, der Song mit den Zeilen handelt von dem Gegensatz zwischen Alt und Jung und überhaupt….“ Würdest du sagen, eure Worte drücken so etwas wie message aus? „Oh ja, könnte man behaupten. Zudem entsteht bei uns meistens die Musik zuerst, dann werden passende Texte gefunden, und das ist dann auch oft eine Frage der Wortmelodie. Also daß der Klang der gesungenen Texte zur Atmosphäre der Musik paßt.“
Wie die LP-Hitliste zeigt, genießen BJH bei uns in Dschörrmenie große Beliebtheit: Während die Band in England relativ wenig zählt und etwa von „Gone To Earth“ rund 60000 Exemplare absetzen konnte, erzielte sie hierzulande den zweieinhalbfachen Umsatz – und die Entwicklung läßt statistisch darauf schließen, daß der zwar langsame, aber stetige Trend weiterhin für Woolly, John Lees, Mel Pritehard und Les Holroyd spricht. Wieso steht die Band bei uns so hoch im Kurs? „Zunächst mal hab‘ ich darauf keine Antwort“, gesteht Woolly, „das Einzige, was ich mir denken könnte: Die Deutschen lieben Dramatisches, besitzen einen gewissen Hang zum Pathetischen, so in der Art von Wagner oder Gustav Mahler. Und unsere Musik besteht nun mal teilweise aus dramatischen Effekten, das ist ganz klar.“
Teutscher Tief sinn
Mithin wäre damit der Erfolg von Barclay James Harvest, aber auch von Yes, Pink Floyd und Konsorten erklärt: Offenbar neigt ein Teil des deutschen Publikums dazu, sich von Klängen zwischen Lohengrinade und Rockhymnus einwickeln zu lassen. Was mit pseudokulturellem, möglichst gar klassischintellektuellem Anspruch daherkommt, wird konsumiert, so lange es nur pathetischen Eindruck erweckt; wie dies geradezu symbolisch der Ludwig van Beethoven in seinem 1810er-Hit „Symphonie Nr. 5 c-moll op. 67“ gezeigt hat: Das „Da Da Da Da“ mit dem Melodieschwenk nach unten. Das erschüttert.
Doch Albernheit (?) beiseite: Barclay James Harvest mögen bombastisch und prätentiös klingen – so lange es den Leuten gefällt, soll die Band auf diesem Trip weiterreiten. Und ich persönlich habe sowieso kein Recht, BJH herunterzuputzen – wo ich doch die alten Moody Blues-Platten immer noch mag …..