Baby Dee
Die Un(be)greifbare lädt den Unfehlbaren zum Wechselbad der Gefühle ins Berliner Berghain.
Ziemlich schnell versteht man, warum dem 58-jährigen Transgender-Wesen trotz besserer Songs der Mainstream-Erfolg des artverwandten Kollegenfreunds Antony Hegarty bislang verwehrt geblieben ist. Und warum sich daran vorerst auch nichts ändern wird. Daran, dass Baby Dee, die sich selbst als Frau versteht, wie eine apokalyptische Putzfrau aussieht, liegt es nicht. Das kann man dem von Trash-Kultur geformten Massengeschmack des 21. Jahrhunderts schon zumuten. Singende Säge, Harfe und Querflöte im Popkontext: auch leicht zu verarbeiten. Ein Gitarrist mit weißen Tennissocken zu Sandalen: schon schwieriger, aber auch daran gewöhnt man sich.
Das Problem ist vielmehr dieses irre, nicht nachvollziehbare Lachen, das Baby Dee ab und an von sich gibt. Als käme es aus dem Mund des Horror-Clowns Pennywise. Dazu unvermittelte Tonartwechsel, das völlige Verstummen gerade noch lautstark vorgetragener Lieder, die Verkettung von tief berührenden Stücke wie „Safe Inside The Day“ mit Unterstufen-Humor wie dem des „Piss Pot Song“ – Textauszug: „And though I know I sometimes piss a lot and even sometimes miss the pot / I’m not the only piss pot in the house“. Baby Dee ist nicht zu greifen. Was will die? Was soll das? Die Masse schätzt die Verwirrung nicht.
Anders die gut zweihundert Leute, die an diesem Abend hierhergekommen sind. Die genießen ihr Wechselbad, schluchzen und schmunzeln abwechselnd. Die Konzertmitte überrascht mit einem Gastauftritt von David Tibet und Michael Cashmore, den beiden Köpfen der britischen Experimentalrock-Legenden Current 93. Tibet war es, der Baby Dee vor zehn Jahren dazu ermutigte, ihre schrägen Lieder aufzunehmen. Ihre erste Platte Little Window erschien dann auf Tibets Label Durtro. Heute spielen sie gemeinsam das dramatische Current-Stück „Murderer“.
Nach dem Gastspiel witzelt Dee: „Auch wenn ihr mich hasst – dass ich coole Freunde habe, müsst ihr mir schon anrechnen.“ Zum Finale widmet Dee dem an diesem Tag in Berlin weilenden Papst – der +1 auf der Gästeliste steht, aber nicht auftaucht – den Song „You Must Not Pee In The House Of God (Unless It’s An Emergency)“. Danach ein Stück, der vom Plan Gottes handelt. Der Plan Gottes besteht laut Dee darin, uns allen den Arsch zu braten. Halleluja!